Film

Nachtjäger
von Johann Feindt
DE 1988 | 81 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
1988

Diskussion
Podium: Johann Feindt
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Wie die Diskussion zeigte, war vielen Zuschauern die Abfolge der einzelnen Sequenzen unklar geblieben. Die Struktur des Films sprach Dietrich Leder eingangs an, als er beschrieb, daß der Film sich erst Helmut Jülicher zuwendet, dann einem anderen Pressefotografen begleitet und schließlich schreibende Kollegen dieser beiden in Vordergrund rückt. Seine Mutmaßung, daß die Bauweise des Films durch die Produktionsweise und -bedingungen des Films bestimmt sei, veranlaßte Johann Feindt zu einen ausführlichen Beschreibung des Entstehungsprozesses.

Er war nach Köln gekommen im Verlauf seiner Recherche über Nachtfotografen, dabei habe er Helmut Jülicher kennengelernt. Dieser sei der einzige seines Metiers, der von einem Verlagshaus ausschließlich in dieser Funktion beschäftigt sei. Doch zu Beginn der Dreharbeiten, einige Monate später, habe der Neven-Dumont-Verlag die 15jährige Nachtarbeit dieses Fotografen in einen Schichtdienst gewandelt. Dennoch habe er anfänglich sein Vorhaben, einen Nachtfotografen bei seiner Arbeit zu begleiten, realisiert, wenn auch am Ende der drei Wochen mit kleinerem Equipement. Doch nichts war passiert, so daß er auch aus Kostengründen dieses Unterfangen habe abbrechen müssen. Daraufhin habe er sein Konzept verändert. Er wollte nun nicht nur die Fotografen des Schreckens begleiten, sondern ihre schreibenden Kollegen gleichfalls zeigen. Innerhalb dieses Plans habe er schließlich als Schwierigkeit erfahren. die Arbeit der Zeitungsleute getrennt von der Stadt, in der sie leben und Arbeiten, darzustellen. Und letztlich habe er sich entschlossen, auch im Film aufzuzeigen, daß es ein wechselseitiges Verhältnis gebe zwischen der Gesellschaft, in der diese Journalisten und Fotografen leben und für diese sie arbeiten, und ihnen. Diese Entscheidung wiederum habe ihm das dramaturgische Problem aufgezwungen, ohne eine Hauptfigur den Film zu gestalten. Er habe nunmehr ständig schauen müssen, welche Teile des Films traurig wirken, welche lustig und wie diese ohne eine Leitfigur miteinander in Korrespondenz zu bringen seien. Es habe ein Jahr beansprucht, die vielen Personen im Film so zu verbinden, daß sie als Familie erscheinen.

Abgesehen von der Bekundung eines Zuschauers, für den der Film richtig anlegt war, da er den Weg gefunden habe vorn Material des Themas zum Thema bzw. von den Akteuren zur Stadt. zeigten sich andere verwirrt angesichts der Bilder von Köln und vom Karneval in bezugauf das Thema des Films. Ein weiterer Zuschauer äußerte den Eindruck, daß der Film nur abgestumpfte Menschen zeigen würde, die auf Sensationen lauern. Die Filmmusik würde diese Empfindung so stark unterstützen, daß man das Gefühl vermittelt bekomme, die Zeitungsleute würden selbst das Unglück herbeiführen, auf das sie warten.

Daß diese angesprochene Abgestumpftheit der Journalisten im Film enthalten sei, ohne-diskutiert zu werden, bejahte Johann Feindt. Jedoch würde der Film auch die drei Parameter von Arbeit: Technik, Moral und Geld aufzeigen. Er habe beabsichtigt, nicht jemandem den schwarzen Peter zuzuschieben, sondern habe daraufhinweisen wollen, daß die Gesellschaft so funktioniert. Der Film biete Anlaß, darüber zu reflektieren, warum das so ist. Die moralische Entrüstung wie nach dem Gladbecker Geiseldrama führe zu nichts Anderem, als daß genauso weitergemacht werde. Die Frage danach, ob es denn nicht interessanter gewesen wäre, den Film eben während der Zeit des Geiseldramas zu machen, beantwortete Johann Feindt schlicht mit dem Hinweis, daß er damals nicht mehr dagewesen sei. Hierüber sei er aber auch froh, weil er so außerhalb dieser speziellen Situation auf andere Fragen habe eingehen können.

Einen für den Film günstigen Zeitpunkt der Aufnahmen gehabt zu haben, wurde durch Gisela Tuchtenhagen bestätigt. Für sie besitze der Film eine Ruhe, der es ermögliche, sich auf die Stadt einzulassen, die Nächte mitzudurchleben. Die Thematisierung der Filmbilder löste mehrere Mutmaßungen und konkrete Nachfragen zu einzelnen Bildern aus. Es wurde nach der Funktion des Bildes gefragt, das ein Kleinkind in einem Laufwagen unter der Zoobrücke zeigt. Für den Filmemacher ist dieses Bild Indiz für die Gesellschaft, in der die Fotografen arbeiten.

Und es wurde der Verdacht diskutiert, daß der Film sich desselben Reizes bediene, den die Boulevardpresse ausschlachte. Zwar stünden die Bilder der. Pressefotografen im Film außerhalb der Tagesaktualität, dennoch gebe es Einstellungen, die nur das Leid der Leute aufzeigten, wie Werner Ruzicka bemerkte. Diesen Einwand kommentierte Johann Feindt mit der allgemeinen Feststellung eines litauischen Dokumtentarfilmers, der gesagt habe, daß es für einen Dokumentaristen nichts gebe, wo er nicht hinschauen dürfe. Und mit der Beschreibung der Mutter des jungen Mannes, der wahrscheinlich seine Freundin getötet hat, begründete er ihre Aufnahme in den Film. Ihre distanzierte Sprechweise habe es ihm ermöglicht, das Gespräch zu zeigen. Generell, so bekundete er, könne man sich jedoch des moralischen Drucks nicht entledigen. Es bliebe immer die Frage der Publikation. Trotz dieser Einlassungen des Filmemachers wurde behauptet, daß er Bilder im Film ähnlich wie die Boulevardpresse benützt habe und daß seine Fragen an die Pressefotografen letztlich sein eigenes Problem seien. Dieser Vorhaltung entgegnete er mit dem Hinweis auf den grundsätzlichen Unterschied in der Verwendung des Bildmaterials. In seinem Film seien die Bilder nicht als dramaturgisches Element eingesetzt, sondern sind Gegenstand der Erzählung. Die Bilder der Fotografen sind im Film zum Denken der Fotografen zugeordnet, erscheinen nach seinen eigenen Bildern. Akzeptiert wurde diese Beschreibung von Johann Feindt jedoch nicht. Denn, so wurde weiterargumentiert, gehe er weit über die Zeitung hinaus, wenn er mehrere Bilder des toten Mädchens zeige und nicht nur das eine, das die Zeitung publizierte. Diese Sequenz entzog er der Debatte über Schreckbilder. Er habe mit dieser Abfolge der Bilder versucht, das Mädchen etwas lebendiger werden zu lassen und sie so aus der Reduktion der Schreckensfotografie herauszunehmen. Daß man hierbei sehe, wie die Journalisten arbeiten, welche Auswahl sie treffen, war für andere Zuschauer das Maßgebliche dieser Sequenz, die wie der Film im ganzen die Arbeitsweise der Zeitungsleute zeige.

Dieses Lob wurde in der regen Diskussion von anderen Zuschauern dementiert. Die Kamera zeige lediglich die Objekte der Pressefotografen; nie deren Reaktion, so daß die Haltung dieser zu ihrer Arbeit indifferent bleibe. Dem widerstritt Johann Feindt, indem er seine Darstellungsweise beschrieb. Er zeige das Gesicht der Fotografen, worin man sehe, was sie tun. Die Fotos würden hinreichend deutlich machen, welch schreckliche Situationen die Fotografen erleben. Wie bereits mehrfach stritt Gisela Tuchtenhagen für den Film. Der Filmemacher würde sich nie über die Fotografen erheben und zeige, wie belastend diese Arbeit sei.

Andere wiederum kritisierten, daß der Film zu entschieden die Arbeit der Fotografen zeige. Ein sehr negatives Bild von ihnen vermittle; sie als unmoralisch ausweise. Diesem Eindruck versuchte Johann Feindt zu relativieren. Er mache keine Schuldzuweisung, auch wenn er ihnen Verantwortung gebe. Dies könne er auch nicht, da er – jedenfalls beim Kölner „Express“ – erfahren habe, daß nicht falsch recherchiert oder Falsches publiziert werde, einzig in der genrespezifischen Sprache. Sein Vorhaben sei zudem gewesen, zu fragen, wie es dazukommt, daß es für diese Sensationsberichterstattung einen Markt gibt.

Diese Moraldebatte beendete Werner Ruzicka, indem er sie als bigott diffamierte. Denn allem voran stehe unsere Schau- und Leselust und dem Dokumentarfilmer könne daher die Moral nicht abverlangt werden. Darüberhinaus sei jedes Bildmaterial auch lnformationsmaterial.

Danach kam die Diskussion wieder auf die Eingangsfrage nach der Struktur des Films zurück. Unklar war vielen noch immer, trotz der Erläuterung von Johann Feindt, was der Film erzähle. Die Bilder, die nicht die Fotografen, die Zeitung betreffen, blieben vielen unzusammenhängend. Daß manche Einstellung irritiere, war Johann Feindt nachvollziehbar. Dennoch insistierte er auf seinem Konzept, zu zeigen, in welchem Panoptikum sich die Fotografen bewegen. So sei für ihn der Karneval zur Metapher der Maskerade geronnen. Und er habe seine Ratlosigkeit zeigen wollen die Harun Farocki in seinem Film intellektueller als Grenzen der Aufklärung benenne. Wiederum war es Gisela Tuchtenhagen, die sich anerkennend über den Film äußerte. Gerade die Bilder von Stadt und Karneval, die den anderen unverständig waren, weil sie den Zusammenhang zur Sensationsfotografie nicht herstellen konnten, hatten, für sie die Qualität, vieles entdecken zu können und machten den Film zu einem über Gesellschaft. Eben darum entgleite dem Film sein Thema wurde kritisiert. Dem Film fehle eine Linie, die eine Anordnung der Einstellungen erkennen lasse, so daß keine Zuordnung möglich sei. Wenn aber die einzelnen Szenen zu viele Funktionen hätten, sei der Film lediglich als Bilder und Musik ästhetisch rezipierbar und insofern eine Reduktion. Dem Verlangen nach eindeutigen Verweisen setzte Johann Feindt die Vielfältigkeit der Realität entgegen. Daß der Titel des Films eine Eindeutigkeit behaupte, bedauere er. Dieser sei jedoch wesentlich durch die Redaktion bestimmt.