Film

Identity-Kid … für meine Väter
von Ed Cantu
DE/US 1988 | 55 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
12.11.1988

Diskussion
Podium: Ed Cantu, Marian Kiss (Mitarbeit, Schnitt)
Moderation: Bärbel Schröder
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

„Das wird langweilig , die REDEN jetzt nur“, meinten die Kinder des Filmemachers, nachdem sie gerade „Identity Kid“ zum wiederholten Male gesehen hatten (und bevor die folgende charmante Diskussion begann).

Die Frage nach dem „Buch“: Wie man denn ein DREHBUCH schreiben könne, für solch eine filmische Odyssee?

Es habe kein Drehbuch gegeben, sondern nur einen vorher erstellten Text (“der aus dem Stehgreif heraus wahrscheinlich sentimentaler geworden wäre“) und eine „glückliche Konstellation von fähigen Leuten“ (mit einem Drehverhältnis von 50:1).

Die VORARBEITEN in Berlin hätten sich sehr schwierig gestaltet: An wen solle man sich auch wenden, wenn man jemanden suche? Das Rote Kreuz sei eine Möglichkeit, aber die falsche, wenn man nur den Namen einer Person hat und nicht mal ein Geburtsdatum oder einen -ort. Man könne auch zum Wahrsager gehen, erzählte Ed Cantu, der einem 200 Mark abknöpfe für die Prognose: „Sie stehen unter Spannung. Sie sind sehr aufgeregt, aber fahren sie mal und sie werden finden.“ Eine phillipinische Wahrsagerin habe ihm dann allerdings alles vorausgesagt, auch viele Dinge, die im Film fehlen.

„Du bist die adäquate Verlängerung des Films „, sagte Werner Ruzicka und wollte das ausdrücklich als Kompliment verstanden wissen.

Ein anderer sprach der Cutterin Marian Kiss Komplimente aus: der Film sei gut erzählt und in der Struktur der Erzählung glaubwürdig.

Ed Cantu sieht seinem Film exemplarisch für eine Arbeitsweise, um vorn klassischen Drehbuch wegzukommen und einen Film durch Montage zu lösen. „Das Gute an diesem Film ist, daß er wahr ist, daß er wirklich wahr ist“, ergänzte Marian Kiss, „wenn er nicht wahr wäre, hätten wir vieles noch eleganter machen können.“

Gefragt nach der STRUKTUR seines Films, warum denn soviel über die Bilder rübergesprochen werde, und etwa der Stiefvater nie zu Wort komme und kaum zu sehen sei, erklärte Ed Cantu, daß er gerade von seinem Stiefvater sehr viel Bild- und Tonmaterial gehabt, aber hier eine dramaturgische Entscheidung getroffen habe: Diese komplizierte Geschichte auf verständliche Weise zu erzählen, sei ihm nur durch REDUKTION möglich gewesen, und er führte das Problem der drei Väter an: sein Vater, sein Stiefvater und er selbst als Vater seines Sohnes, In diesem Wust könne der Zuschauer sonst leicht die Unterscheidung nicht mehr klarkriegen.

Hier wurde jene vorgezogene Szene gelobt (im ansonsten chronologischen Fit.), als der Stiefvater mit Cantus Sohn fischen geht: Diese kurze Szene sage alles über den Stiefvater.

Ein anderer fand den Film überzeugend wegen der STILSICHERHEIT, mit der auch für schwierigste Situationen eine entsprechende Form gefunden „wurde, wie etwa in jener Bootsfahrt mit der Mutter, als das Tonband einfach vergessen“ werde anzustellen: das sei das Brilliante an diesem Film, daß die Geschichte etwas simples erzähle, aber durch Text 1 Bild, Inszenierung und Montage auf eine selten prägnante Art und Weise.

Neben dem Väter-Problem stand auch der filmische Umgang mit der Mutter zur Diskussion: Sie werde nur sehr distanziert gezeigt, und ob Ed Cantu denn nicht wütend auf sie gewesen sei, als er die wirkliche Geschichte zwischen ihr und seinem Vater erfahren habe?

„Es geht nicht darum, die Mutter oder meine Großmutter in die Pfanne zu hauen“, sagte Ed Cantu, sondern darum, gewisse Tabus zu durchbrechen. Ich habe jetzt begriffen, was die Zeiten damals bedeuteten, für Deutsche und Amerikaner, für Frauen und Männer.

Im Film fehle auch jene Szene, als er seine Mutter wiedertraf, nachdem er seinen Vater gefunden hatte. Er habe ihr eine Mappe mit Fotos gezeigt und sie sei völlig ausgeflippt: „Aha, da isser also dieser Scheißkerl! Ed Cantu hatte im Raum ein Tonband versteckt und wollte ihre Reaktionen aufnehmen, um sie vielleicht später zu „benutzen“. Aber dann ging draußen ein Hagelsturm los – „und Hagelstürme gibt es in Texas nur alle Jubeljahre!“ – da habe er geahnt, daß man manche Sachen besser nicht dokumentieren sollte: „Auf diese Art jemanden in die Pfanne zu hauen … Nein.“

Marian Kiss kam auf den Begriff des MYTHOS zu sprechen: Das Vorhaben, diesen Film zu machen, sei schon seit vielen Jahren dagewesen, und im Grunde drehe sich „Identy Kid“ um die Frage „was es heißt, von jemandem ein Bild zu haben“ oder „das Foto als Phantasievorstellung“. Erst als das klar gewesen sei, als sie wußten, wie man dafür Bilder finden kann, haben sie mit dem konkreten Film begonnen.

Jemand zeigte sich irritiert, daß sich Marian Kiss auf den “Mythos“ beziehe, denn gerade wenn man Mythen aufkläre, wie in diesem Film, dann seien sie doch (l.,reg.) Es wurde an Ed Cantu die Frage gestellt, was denn gewesen wäre, wenn er seinen Vater gefunden hätte?

Das könne er nur theoretisch beantworten, und erzählte von einem anderen Film, den er mal gesehen hatte, wo sich Vater und Kind nach einer noch viel längeren Suche auf einem Sofa gegenübersitzen und einfach nur „Ja … hallo“ sagen: „Was bis dahin aufregend, spannend, interessant war, wurde plötzlich unglaublich banal. Vielleicht hätte ich ihn sterben lassen, in meinem Film. Nein, das doch nicht, aber ich bin irgendwie froh, daß er tot ist.“

Auf die Frage, was er nach so einem Werk noch machen könne, erklärte Ed Cantu, daß er mit diesem autobiografischen Film noch längst nicht alles gesagt habe: Früher habe er Geschichten geschrieben, aber jetzt will er weiterhin auf dem „quasi-dokumentarischen“ Feld arbeiten.

Man müsse den Dokumentarismus grundsätzlicher diskutieren, nicht nur die Frage nach Wahrheit sei wichtig, sondern auch, wie man unterhalten und vermitteln könne.

Es gab keinen Widerspruch zu „Identity Kid“.