Film

Geb. 1899, Alfred Sohn-Rethel, Sozialphilosoph
von Günther Hörmann
DE 1988 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 12
11.11.1988

Diskussion
Podium: Günther Hörmann, Detlef Saurien (Forschungs- und Entwicklungsinstitut Film/Fernsehen an der Universität Bremen)
Moderation: Werner Ružička, Dietrich Leder
Protokoll: Conny E. Voester

Protokoll

„Alfred Sohn-Rethels Theorie zu illustrieren hätten wir uns nicht getraut.“ Günther Hörmanns Porträt eines der bedeutenden linken Theoretiker des zwanzigsten Jahrhunderts bleibt – bis auf einige wenige „Miniaturen“ und einen knappen Kommentar – beim Versuch, die Person vorzustellen. Das verwendete Material wurde in verschiedenen Zusammenhängen und zu unterschiedlichen Zeiten gedreht. Das Gespräch mit Alfred Sohn-Rethel in Birmingham wurde 1971 geführt, ein zweites von Hörmann in Bremen 1980 als er Material sammelte für einen Film über Faschismus und dazu den Faschismustheoretiker Sohn-Rethel zu Wort kommen lassen wollte. Die Feststellung, daß es versäumt wurde, die „Frankfurter Schule“ zu porträtieren, war dann ausschlaggebend dafür, 1987/88 ein zweites Gespräch zu führen, um wenigstens mit einem der letzten Lebenden einen zaghaften Versuch zu unternehmen, dieses Versäumnis wettzumachen.

Die Form des Films, der zum größten Teil aus den biografisch geführten Interviews besteht sowie Ausschnitten aus der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Bremen und Oskar Negts Laudatio, einem Symposion zum Thema der Tauschabstraktion und einem zurückhaltenden und präzis formulierten Kommentar mit bildhafter Illustration, erklärt sich also vor allem aus der Entstehungsgeschichte. Nicht ganz unerheblich ist auch das geringe Budget. Insgesamt hat die Herstellung des Films ca. 30 – 40.000 DM gekostet (ohne Berücksichtigung der Gehälter der Institutsmitarbeiter). Radio Bremen hat den Film mitfinanziert und auch gesendet, aber mehr auf der Basis eines „Freundschaftsdienstes“, denn Fernsehanstalten haben an einem solchen Porträt kein Interesse („Für ‚Die Zeugen des Jahrhunderts‘ beispielsweise wollen die immer nur jemand, der sowieso schon bekannt ist“).

Wer erwartet hatte, jemandem „beim Denken zusehen zu können“, kam nur teilweise auf seine Kosten. Die Gesprächspassagen in Birmingham haben eher Vorlesungscharakter. Erst im dritten Gespräch ergibt sich die Chance zur Assoziation und damit auch die Möglichkeit zu zeigen, was es heißt, geistig zu arbeiten. Die kurze Szene allerdings, während der Sohn-Rethel im Birmingham-Gespräch sein Manuskript sucht, führt momentartig vor Augen, wie sich geistige Arbeit material organisiert.

Viele zeigten sich angetan bis begeistert vom Film; wohl auch, weil die wenigen Kennerinnen der Materie sich in ihrer Auffassung, daß es unerläßlich ist, kritische linke Theoriebildung zu betreiben, durch die Klarheit der vorgeführten Denkmuster bestätigt und ermutigt sahen.

Einige Äusserungen ließen ein starkes Interesse daran erkennen, die Theorie filmisch bearbeitet zu sehen und begrüßten die Versuche, die Günther Hörmann bescheiden als „Miniaturen“ bezeichnete, „in denen angedeutet werden sollte, in welche Richtung das Denken und die Fantasie gehen können.“ Das Bildmaterial zum Rüstungs-Komplex wurde als zu platt und fragwürdig kritisiert, hingegen die verwendeten Fotos, insbesondere das aus Alexander Kluges Privatbesitz stallende Pin-Up für Intellektuelle mit Adorno im Badeanzug, und andere Aufnahmen/Filmausschnitte fanden viel Beifall.

Als unzureichend empfand ein Zuschauer die Beschränkung auf Sohn-Rethels Marx-Exegese; andere hätten sich mehr bohrendes Nachfragen gewünscht bei der Charakterisierung von Adorno („Wen hat der noch alles weggebissen?“) und längere Vortragspassagen. „Es ist an der Grenze dessen, was zumutbar ist“ entgegnet Günther Hörmann, „man hört dann nicht mehr zu. Wir brauchten ein Pausenzeichen und als solche fungieren dann die Miniaturen.“

Es sei allerdings auch die größere Leistung, zu versuchen, seine Theorie zusammenzufassen, als ihn ausführlich zu Wort kommen zu lassen, fand ein Zuschauer, denn immerhin handle es sich um einen letzten Versuch einer Universaltheorie, in die alle Phänomene integrierbar sein sollen. Es sei in der Tat eine umfassende Denkleistung. ein Blick in die Zukunft wie es andere Theorien nicht leisten, ergänzte Günther Hörmann. „Sohn-Rethel versteht, was heute passiert – aber es kommt nichts Neues hinzu.“ „Seine Theoriearbeit hält ihn am Leben, er will unbedingt sein Werk überarbeiten.“

Als tragisch und verblüffend empfanden andere Zuschauer die Beschreibungen, in denen Sohn-Rethels Lebensweise erkennbar wurde. So trifft man ja in der Äusserung, er habe nichts von den Kindern gehabt, weil er nicht aus seinem Zimmer kam wie auch in der – auch für das Team überraschenden – Enthüllung, daß Adorno einen Brief von Sohn-Rethel zurückgehalten haben muß, von dem Sohn-Rethel sagt, er habe nicht nur in Grundzügen den ersten brillanten Entwurf seiner eigenen Theorie enthalten, sondern möglicherweise Walter Benjamins Leben gerettet, auf eine bittere Lebenserfahrung, die als tiefe Verletzung Sohn-Rethels Lebensweg entscheidend geprägt hat. Als geradezu dramatisch vermittelt sich auch der historische Moment in dem der Abschluß des Hauptwerks von Sohn-Rethel („Geistige und körperliche Arbeit“) zeitgleich zum Tod. Adornos stattfindet, dem Einzigen, von dem sich Sohn-Rethel verstanden fühlte. So nimmt denn auch das Phänomen, daß mit dem Fortschreiten des Lebensalters die Verbreitung der Theorie zur Aufgabe überhaupt wird, nicht weiter Wunder.

Sohn-Rethels Personenbeschreibung von Walter Benjamin, die so noch nicht gegeben worden sein dürfte, ermöglicht es im übrigen auch, ein früheres Bilderverbot, Dichter und Denker gemeinsam mit einem Hund über einen Rasen oder eine Promenade zu jagen, aufzuheben. Wer den alten, von körperlichen Beschwerden schier unbeweglichen Mann sieht. Sitzend in einem Parkambiente, erinnert sich unweigerlich an die wenige Minuten zuvor gehörte Beschreibung von Walter Benjamins Gehbehinderung. Die eindringlichen Großaufnahmen von Sohn-Rethels Gesicht bleiben respektvoll und unaufdringlich; einen Beitrag zu dieser schützenden Distanz leisten sicherlich auch die „Miniaturen“.

Ob es geplant sei, eine Sohn-Rethel-Theorie zu verfilmen? Nein, dies sei auch in direkter Form nicht beabsichtigt. Ob es geplant sei, die ehemalige Kooperation von Gewerkschaften und Sozialwissenschaften wieder aufzunehmen? Sinnvoll sei dies allemal, aber das Bremer Institut habe dies 15 Jahre gemacht und das sollten jetzt andere machen. (Noch einer, der was hinter sich lassen möchte.) Ob geplant sei. die Porträtreihe mit anderen noch Lebenden der „kritischen Theorie“ fortzusetzen? Wohl kaum. Es läge auch nicht in ihrem Interesse, daß sich womöglich als ihr Motto herumspräche: „Überall wo wir filmen, wird der Betrieb geschlossen.“ (Saurien)