Protokoll
Das Programm vom Mittwoch präsentiert vor allem Fernsehproduktionen, weshalb Dietrich Leder einleitend darauf hinwies, daß Eva Hoffmann nicht nur Filmemacherin sei, sondern auch Redakteurin in der Abteilung Kultur, Bildung und Gesellschaft beim ZDF. Und wenn man über Fernsehproduktionen, -probleme oder -themen spreche, auch der Sendeort dieses Films, Dienstags 19.30h beachtenswert sei. Es ist ein Sendeplatz, der von verschiedensten Redaktionen beliefert wird, ohne einen eigenständigen Redakteur, offen für dokumentarische Arbeiten.
Mit der Frage nach den spezifischen Problemen und Annäherungsweisen an fremde Kulturen forderte Dietrich Leder dann Eva Hoffmann, die bereits mehrmals in Pakistan gedreht hatte, auf, ihre Arbeitsweise zu beschreiben.
Ihre Filmarbeit im Norden Indiens begründete sie schlicht mit ihrer Neugier an fremden Kulturen. So richtig erkannt habe sie erst nach der Übersetzung. was sie dort während der dreiwöchigen Dreharbeiten gemacht habe, weil diese ihr erst verständlich gemacht hatte, was die Leute gesagt hatten. Die Übersetzung des 300stündigen Tonmaterials wurde in einer ersten Fassung in 14 Tagen, nachdem das Team bereits abgereist war, vor Ort gemacht, um gegebenenfalls bei den Leuten nachfragen zu können. In der Bundesrepublik wurde anschließend durch einen indischen Studenten, der Bahari spricht, eine erneute Übersetzung bei der Ankoppelung des Ton- an das Bildmaterial vorgenommen. Das ZDF war nicht in der Lage, die weitere Zusammenarbeit mit Kiran Bhatia, der Dolmetscherin aus Indien, in Mainz zu finanzieren. Mittels der zweiten Übersetzung wurde das Tonmaterial Halbsatzweise durchnummeriert, und nachdem der Schnitt fertiggestellt war, wurde die Fassung nochmals von dem Übersetzer überprüft.
Da das Dorf Kumahra schwer erreichbar ist und keine Möglichkeiten der Übernachtung bietet, war Eva Hoffmann vor den Dreharbeiten ein paarmal für Stunden dort gewesen. Während der Dreharbeiten hatte sie nur zwei Mal im Dorf genächtigt und auch die anschließende erste Übersetzung wurde nicht im Dorf gemacht. Die Vorführung des Films fand gleichfalls in einem Nachbarort vor kurzem statt, die trotz eines eineinhalbstündigen Fußwegs von einigen Dorfbewohnern mehrmals besucht wurde. Eva Hoffmann begründete das Interesse der Leute aus Kumahra zum einen damit, daß dies ein Farbfilm ist, wohingegen eine Dorffamilie mittlerweile – während der Dreharbeiten noch nicht – einen Schwarzweiß-Fernseher habe, zum anderen mit dem Reiz, sich selber, das eigene Milieu zu sehen.
Nach diesen Ausführungen wurde gefragt, ob der Film dem Zuschauer Einsicht biete in Vorkommnisse, die die Dorfbewohner normalerweise nicht sehen und ob sie keine Skrupel gehabt hätte, dies zu filmen. Skrupel habe sie keine gehabt, erläuterte Eva Hoffmann, da sie gar keine Zeit gehabt hätte, darüber nachzudenken. Sie wären so fasziniert von den Hochzeitsfeierlichkeiten gewesen, an denen 200 Leute teilgehabt hätten, und zudem seien sie aufgefordert worden, zu drehen. Auch hätten sie selber von der Hochzeitgar nichts gewußt und hätten die Familie vorher nicht gekannt. Ganz allgemein hätten sie keine Probleme gehabt, akzeptiert zu werden. Im Nachhinein habe sie sich zwar überlegt, die Szene aus dem Film zu nehmen, in der dem Bräutigam nur für die Kamera von den Anwesenden selbst der Flitter hochgehoben wird, der sein Gesicht verdeckt~ da diese Offenlegung nicht Teil der Zeremonie sei. Sie habe die Szene nun aber doch im Film belassen.
Nachdem kritisch angemerkt worden war, daß im Film die Hochzeit stärker als Trauerfall denn als Neuanfang montiert sei, wies Eva Hoffmann auf die ·Länge des Films hin, der schon eine halbe Minute über der Fernsehnorm liege und auf den Film selbst, der nur die Familie der Braut zeige, weil diese in dem Dorf lebe. Aufgrund dessen habe sie nunmehr vor, einen Film über eine Hochzeitsfeierlichkeit zu machen.
Anmerkungen und Fragen, die das Verhältnis von Realität dort und europäischem Einfluß oder eine europäische Sicht jener Welt ansprachen, thematisierten auch die Gesprächsführung von Kiran Bhatia. Eva Hoffmann beschrieb daraufhin ihre Mitarbeiterin als gläubige Hinduistin, gelernte Sozialarbeiterin, aus einem Diplomatenhaushalt kommend, die in Deutschland gelebt hatte und einen Mann aus einer niedereren Kaste geheiratet hatte. Da sie, wenn auch abgesprochen, die Interviews selbständig führte, kämen sicherlich Themen in die Gespräche, die ihrem Hintergrund entsprechen. Andererseits wird die Kastenproblematik im Gespräch mit den Frauen aus der Hirtenkaste besprochen, weil sie, Eva Hoffmann, das wollte. Die Dorfbewohner hätten wohl vorab mit Europäern Kontakt gehabt, weil in jener Region ein deutsch-indisches Aufforstungsprojekt durchgeführt worden war. Eine Infrastruktur, die in der Region Tourismus ermöglichen würde, gibt es nicht. Die Zuschauerempfindung, daß der arme Bauer unblaubwürdig in seinen Äußerungen sei, ließ Eva Hoffmann auf eine mitteleuropäische Mentalität schließen. Auch die Sicht, wonach die dargestellte Dorfwelt zu schön, zu wenig beschwerlich oder arm wirke, wollte sie nicht als Kritik am Film diskutieren.
Die Kameraarbeit bzw. die Zusammenarbeit mit der Kamerafrau Nurith Aviv beschrieb sie hingegen ausführlich. Die Arbeit von Nurith Aviv war natürlich durch die Sprachsituation behindert, weshalb sie manchmal nachziehe. Absprachen habe es kaum gegeben, da sie der Kamerafrau gar nicht sagen könne, was sie tun solle. Und zudem sei sie aufgrund früherer Zusammenarbeit mit Gisela Juchtenhagen gewohnt, daß die Kamerafrau eigenständig arbeite. Die Arbeitsweise von Nurith Aviv sei zwar eher spielfilmorientiert; sie drehe weitesgehend mit Stativ, sei bereit zu inszenieren und arbeite viel mit Licht, was die Kopie nicht zeige, dennoch sei sie zufrieden.
Auf die Frauengruppe von Ratni angesprochen, erläuterte Eva Hoffmann, daß diese Gruppen ein Versuch der indischen Innenpolitik seit Ghandi und Neru sei, um Kräfte in den Dörfern zu mobilisieren. Sie bekämen von der Regierung etwa Samen zur Anlage von Gemüsegärten oder kleine finanzielle Hilfe zur Befestigung der Dorfstraße. Jedoch würde diese Gruppe das Kastensystem nicht überwinden, da es normal sei,außerhalb der Häuser, Mahlzeiten oder Zeremonien kastenübergreifend miteinander zu sprechen. Daß Ratni so aktiv sei, begründete sie mit der 30jährigen Militärzeit von Ratnis Mann, weshalb diese allein im Dorf lebte. Auch habe sie erst mit 34 Jahren ihre Kinder geboren, obwohl sie bereits mit 16 verheiratet worden war.
Daß der Film zuviel zeige, keine Intensität biete, weil er sich verzettle, wollte Eva Hoffmann nicht einfach „Fernsehzwängen“ zuweisen. Obwohl natürlich die Anstalten keine Recherche ermöglichen, die es erlauben würde, sich etwa auf eine Familie zu konzentrieren. Desweiteren erzwinge die Kürze der Recherche, sich auf Autoritäten vor Ort einlassen zu müssen. Und weil sie das nicht wolle, könne sie sich nicht auf wenige begrenzen. Denn damit Vertrauen und Intimität entstehe mit anderen als den hierarchisch hochstehenden Personen, ist die Recherchezeit zu kurz. Teilweise würde noch während des Drehs recherchiert.
Den Vorwurf, daß im Film zu vieles kommentiert werde, was zu Dopplungen von Bild und Ton führe, bestritt Eva Hoffmann. Der Kommentar sei in ihrem Film vor allem dann gesetzt, wenn sie befürchtet hätte, es könne beim Zuschauer ein falscher Eindruck entstehen. Was von den meisten Zuschauern so auch akzeptiert worden war. Dennoch beschrieb sie Einengung durch das Fernsehen. Nicht realisierbar schien ihr zu sein, in fünf Jahren erneut einen Film über Kumahra zu machen, da hausintern Solches Ansinnen mit dem Verweis darauf, daß man das schon gehabt hätte, erledigt wird.
Dieser pessimistischen Sicht widersprach Dietrich Leder abschließend. Er habe den Eindruck, daß sich in den Anstalten durchaus etwas verändere, wenn darum gemeinsam gerungen werde.