Film

Ziele: Die Schulung
von Harun Farocki
DE 1987 | 44 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
10.11.1987

Diskussion
Podium: Harun Farocki
Moderation: Dietrich Leder
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

Mit dem Hinweis von Dietrich Leder auf die Form des öffentlichen Redens, die in ihrer aktuellen Kieler Erscheinung Nachdenken provoziere, war das Thema der Filmdiskussion genannt. Seine Information zur Sendezeit, 20.15h ARD, blieb unbeachtet in der regen Diskussion über Darstellungsformen der Macht, Veränderungen öffentlicher Präsentation und personaler Verkaufsstrategie.

Harun Farocki beschrieb sein Erstaunen über die Theorielosigkeit bzw. Ideologielosigkeit der Teilnehmer des von ihm gezeigten Managerseminars der Akademie für Führungskräfte in Bad Harzburg. Bemerkenswert fand er, daß lediglich beim Thema Auto, nicht aber zur Todesstrafe, die Teilnehmer des Rhethorikseminars sich persönlich äußerten. Anscheinend, so seine Vermutung, habe eine Entideologisierung stattgefunden. Und in den Formen der Äußerungen ließe sich eine Ubiquität ausmachen, was darin hörbar sei, daß einer der Teilnehmer, ein ehemaliger Polierversuche, seinen rheinischen Dialekt zu vermeiden. Die angesprochene Entideologisierung war für Farocki auch darin erkennbar, daß solche Seminare den Teilnehmern die Sicherheit vermitteln, nicht zu jedem Thema, das das Fernsehen tagtäglich liefere, eine Meinung haben zu müssen.

Gegen diese These der Entideologisierung wandte ein Zuschauer ein, daß das im Film gezeigte Seminar von mittleren Führungskräften besucht worden sei, die noch angepaßt werden müßten. Daß es sich hierbei um einen Initiationsritus handle, unterstrich auch Farocki und verwies mit diesem Terminus auf seine Absicht ethnographische Filme über die Bundesrepublik drehen zu wollen.

Mit der Behauptung, daß der Filmemacher eine Faschistenschule abgebildet habe, ohne diesen Charakter der Veranstaltung auszuweisen, bekam die Diskussion eine Härte, die sich in Anwürfen und Ablehnung äußerte. Die meisten Diskutanten waren nicht bereit, das im Film gezeigte Verhalten mit der Kategorie zu belegen. Harun Farocki wollte diese Qualifizierung auch deshalb nicht gelten lassen, weil er bei den Probanden des Seminars kein Weltbild habe ausmachen können.

Die Selbstverständlichkeit der Seminarteilnehmer, sich vor einer Fernsehkamera zu präsentieren, rief Erstaunen hervor. Die Bereitschaft der Dargestellten begründete Harun Farocki teilweise mit der Aufforderung des Seminarleiters zur Präsentationspflicht der Teilnehmer als Lernergebins des Seminars. Ob sie sich sowieso so zu verhalten wünschten wie Dr.Grimm im Fernsehen oder ob dies Auftreten des Verkaufsgeistes in der BRD einfach erstaunen läßt, wurde nicht weiter klassifiziert.

Im weiteren Verlauf der Debatte wurde versucht, diese Unklarheit in der Bewertung zum einen der Gestaltung des Films anzulasten, zum anderen hierfür soziohistorische Erläuterungen einzubringen. Es wurde bemängelt, daß der Film die Inhalte der Schulung nicht aufzeige, wodurch das äußere Verhalten, das dort eintrainiert wird, dazu verleite, die Teilnehmer als Opfer einer Tortur wahrzunehmen. Zudem sei es falsch, sich den Inhalten dieser Rhethorikübungen zu verschließen, da diese zielgruppenorientiert bestimmt seien. Dieser Behauptung widersprach Farocki, er habe mit Ausnahme innerbetrieblicher Seminare in keinem dieser Seminare erkennen können, daß die Inhalte mehr seien als Material für die Einübung von Verhaltensweisen. Desweiteren wurde das aufgekommene Mitleid mit den dargestellten Seminarteilnehmern über die distanzierte Haltung von Farocki begründet. Die Distanz ließe auf eine Interesselosigkeit gegenüber den Gezeigten schließen und bedinge, daß sie wie Exoten oder Tiere im Zoo erschienen, wurde kritisiert. Daß die Schüler dieser Darstellungsweisen nicht in ihren Machtpositionen gezeigt werden, obwohl man über den Trainer erkenne, daß die propagierten Methoden nichts taugen, was dem Film eine Beliebigkeit gebe, wurde bemängelt. Gegen die Intention von Harun Farocki, Zeitströmungen auszumachen, wurde das Sujet gesetzt. Ein Seminar mit mittleren Führungskräften zeige lediglich die Einübung von Entsolidarisierung und überhaupt sei ein Seminar ein veralteter Ritus.

Gegen den Vorwurf, sich auf das Seminar begrenzt zu haben, setzte Farocki sein Wollen nach Konzentration. Über den Verweis auf seine älteren Arbeiten wurde der Verdacht geäußert, daß er in das Argument kein Vertrauen mehr habe, und er sich daher auf die Wiedergabe äußerer Strukturen in seinem Film begrenze. Diese grundsätzliche Kritik entschärf Farocki mit der Gegenüberstellung von Relativismus und Staunen. Das Staunen über Zustände erbringe durchaus Inhalte. Auffallend sei doch, daß gegenüber Vorurteilen und älteren Darstellungsweisen dieser gesellschaftlichen Klasse nicht etwa der FDP-Thatcherismus propagiert werde, sondern Formalisierungen des Selbstverkaufens. Also sich durchaus sozial Wichtiges in der Beobachtung eines solchen Seminars zeige. Dieses Selbstverkaufen, das Sei-positiv des Seminars wurde denn auch in zahlreichen Beiträgen als tägliche Erfahrung besannt. Auch die dumpfe Mechanik und Banalität der eintrainierten Gesten wurde in ihrer normativen Macht beschrieben, so daß die anfängliche pauschale Ablehnung und Verurteilung in ein Reden über diese Verhaltensformen wechselte. Und erneut wurde darauf verwiesen, daß es nicht eine notwendige Änderung des Verhaltens sei, die eine Anpassung bedinge, sondern eine Entscheidung für oder gegen Teilhabe. Bezogen auf den Film wurde dann der Einwand wiederholt, daß ohne das, was außerhalb des Systems ist, das System nicht sichtbar wird.

Die soziologische Beobachtung, daß die neuen Formen der Präsentation das Bewußtsein über die Formhaftigkeit verschwinden ließen und somit die Konfrontation mit Macht verändert, bescheinigte dem Film seine Relevanz.

Ohne daß alle Einwände und Anmerkungen ausführlichst debattiert worden waren, endete zu später Stunde die engagiert geführte Diskusssion von ZIELE: DIE SCHULUNG, ein Film, der offensichtlich viele Zuschauer herausgefordert hatte.