Protokoll
Daß regionale Identität bedeutsam für Widerstand ist, ist für Bertram Rotermund von der Medienwerkstatt Freiburg ein oft wiederauffindbarer Zusammenhang. Daher fand er es auch nur richtig dies im Film zu zeigen. Fraglich war ihm dennoch, ob der Film mit der Entrüstung der Leute vor Ort einsetzen solle und ob mit der Nennung von ‚Heimat‘ nicht auch reaktionäre Tendenzen anklingen. Seinen Eindruck, daß der Film den Arzt an den Bauzaun begleitet, um so eine Verbindung zwischen bürgerlicher Bevölkerung und Autonomen im Film auszuweisen, beschrieb er in einem solidarischen Gestus. Bertram Verhaag bekundete daraufhin, daß er die Sequenz mit der Bevölkerung, worin diese ihre Stärke und Starrheit gegenüber den mächtigen Politikern in München bekunden, einfach gefühlsmäßig an den Anfang des Films gesetzt habe, vielleicht auch deshalb, weil er diese Kraft der Leute bislang noch nirgends erlebt habe. Aus diesem Grund wollten sie auch das 1985 begonnene Projekt über den vorgestellten Film hinaus noch Jahre fortsetzen. Er wisse zwar, daß in den anderen Filmen zu Wyhl und Brokdorf vor zehn Jahren bereits dieselbe Kraft gezeigt worden sei und daß sich lediglich im engen Umkreis Veränderungen ergeben hätten und nie darüber hinaus. Aber gerade aus diesem Wissen heraus hätten sie den Film gemacht, in der Absicht, den Leuten außerhalb Identifikationsmöglichkeiten zu geben.
Bertram Rotermund erinnerte an seine Frage, weshalb die Autonomen am Bauzaun nicht zu Wort kommen, was er als Manko empfinde. Verhaag erläuerte daraufhin, daß die Aktiven am Bauzaun sich nicht filmen haben lassen wollen, was auch damit zusammenhänge, daß eine Langzeitdokumentation des ZDF für die Leute vor Ort enttäuschend ausgefallen war. Dieser Unmut über die Medien zeige auch der Film, in der Szene, in der er dokumentiere, wie die WAA-Gegner ein Kamerateam des BR abdrängen. Doch Bertram Rotermund wollte präziser wissen, ob es konzeptionell angelegt gewesen war oder ob es ihnen nicht gelungen wäre, die Autonomen in den Film zu integrieren. So nachgefragt verwies Verhaag darauf, daß sie vorhaben, sieben Jahre zu filmen und durchaus beabsichtigen würden, die „Chaoten“ (O-Ton) gleichfalls zu befragen. Nur sie hätten für diesen Film den für einen Dreh hinreichenden Kontakt nicht aufbauen können und die Autonomen daher nur in der Spiegelung über die Oberpfälzer gezeigt.
Einwände wurden aber auch dahingehend geäußert, daß ausschließlich WAA-Gegner unter der Oberpfälzer Bevölkerung gezeigt worden sind. Verhaags Zurückweisung, daß die Befürworter in der Bevölkerung nur TV-Argumente bis hin zu primitiven Äußerungen wie „vergasen“ nutzen würden, war etlichen Zuschauern eine unzureichende Begründung. Diese Unterstellung wurde von den Kritikern des Films abgelehnt, denn Geschichte, Wandlungsprozesse und Risse in der glatten Fassade der Gegenschaft seien eingefordert worden. Als nach Reaktionen von Leuten außerhalb der Region auf den Film gefragt wurde, verwies Bertram Verhaag auf seine Kinomobil-Tour in der Oberpflaz und auf die angereisten Gäste aus Wyhl und Brokdorf, um der Kritik, daß der Film die Erfahrungen anderer regionaler Gegnerschaften nicht aufnehme, zu begegnen.
Die Erläuterungen zur Musik des Films, die in der Diskussion immer wieder angesprochen wurde, wollten diese einer Thematisierung entziehen. Warum der Aufschrei der Musik bereits den ersten Bildern des Films angelegt sei, warum Rio Reiser so früh vorgestellt wurde, oder warum Konstantin Wecker im Film auftrete? Diese Fragen beantwortete Betram Verhaag mit Hinweisen auf eigene Vorlieben und der Faktizität des Widerstandskonzertes. Der Kritik, daß der Film auf der Ebene der Musik mit kommerziellen Standards kokettiere, hielt er die Verwendung von Originalgeräuschen als Basis der Komposition entgegen. Dennoch verweigerte sich Bertram Verhaag einer detaillierten Diskussion der Musik. Zum einen deshalb, weil ihm der Vorwurf, daß die Musik „Zuckerguß“ sei, unsachgemäß erschien, zum anderen weil die Musikverwendung sowie Weitwinkel und Schnittweise der Bauzaun-Szenen dazu dienen würden, die Gewalt vor Ort dem Zuschauer zu vermitteln, die durch pures Ablichten nicht sichtbar werden würde. Von anderen Zuschauern wurde die Musik als „Kriegstrommel“ bezeichnet, die den notwendigen Aufforderungscharakter habe, den Zuschauer einzunehmen für den Widerstand.
In der Diskussion zwischen den Zuschauern gab es hierzu – je nach Dikussionsinteresse – zwei Standpunkte. Für die einen war es wichtig auch filmische Mittel zu benennen und zu kritisieren, auch deshalb, weil sie die Realität als eine sich wandelnde begriffen. Die anderen fanden die Kritik an Musik und der Hermetik der gezeigten Welt gegenstandslos, weil man sich entscheiden müsse, ob man gegen die WAA sei oder nicht. Der beschwörende Klang der Musik gebe daher die Realität wieder. Bertram Verhaag wies in dieser sich grundsätzlich gebenden Debatte daraufhin, daß er im Film den Widerstand so gezeigt habe, wie er sei, auch wenn der Film am Schneidetisch entstanden sei. Das Problem habe für ihn darin bestanden, einen packenden, eineinhalbstündigen Dokumentarfilm zu schaffen. Dies meinte er, sei ihm gelungen durch den Verzicht auf einen chronologischen Aufbau und die Entfaltung eines dramaturgischen Bogens.
Dennoch wollte Bertram Verhaag von den Zuschauern hören, wie deren Gesamteindruck des Films sei. Hierüber zeigten sich einige Diskutanten erstaunt, weil sie die Diskussion an Details für gleichermaßen wichtig erachteten. Für die anderen war der Inhalt dieses Propagandafilms, wie sie ihn lobenden qualifizierten, zu brisant, um über filmische Mittel zu diskutieren. Doch dieser Haltung widersetzte sich der Filmemacher. Zwar gestand er ein, daß die Entscheidung zur WAA existentiell sei, doch für ihn sei das Filmemachen gleichfalls existentiell. Nur mittlerweile waren die Fronten ausgebildet. Der Film, der der einen Gruppe als Aufruf zum Widerstand, ja sogar zum bewaffneten Kampf galt, war natürlich nicht mehr zu diskutieren, weil er „in Mitten der Welt“ sei. Die Unsicherheit des Regisseurs, ob der Film so gelungen sei, wurde daher nicht verstanden, da angesichts der Militarisierung des Staates ein breites Bündnis von Nöten sei, zu deren Schaffung der Propagandafilm diene.
Mit dem Hinweis, daß die Basis der Synthesizer-Musik das Lied „We shall over come“ sei, wollte Oskar Hall die Diskussion wieder auf den Ausgangspunkt zurückführen und dieselbe versachlichen. Als aber Ralf Müller seinen Vorwurf, dies sei Zuckerguß, erneuerte, kritisierte Bertram Verhaag die Duisburger Filmdiskussionen. Er führte an, daß die Regisseure hier kein Feedback auf ihre Filme erhielten, daß jedoch außerhalb der öffentlichen Diskussion die Filmemacher über das gemeinsame Problem, den Verkauf der Filme, reden würden. Karl Saurer intervenierte, daß die Diskussion am Detail, was bemängelt worden war, ein Annäherungsprozeß an den jeweiligen Film sei. Klaus Stanjek unterstützte Bertram Verhaag in seiner Kritik der Diskussion, indem er sie als unsolidarisch qualifizierte. Als er auf Nachfrage hin, die Diskussion zu „Operation Ernte“ als Beispiel nannte, widersprach ihm Thomas Giefer. Er habe die Kritik an seinem Film nicht als Ausdruck von Konkurrenz erlebt. Er sei durchaus fürs „Knüppeln“, denn scharfe Kritik bringe einen weiter. Gerd van Eist erläuterte daraufhin, daß man nur bei Filmen, in die die Realität hineinmarschiert sei und man wisse, wo der Filmemacher stehe, man sich solidarisch zeige. Den von Bertram Verhaag geforderten Gesamteindruck qualifizierte Ralf Müller als Publikumsreaktion und plädierte erneut für eine Diskussion am Detail, für ein Hinterfragen von Mittel und Mittelverwendung.
Zum Abschluß des Protokolls – mittlerweile war die spannende Diskussion auf Einzelbeiträge reduziert; es war bereits 2:00 morgens – seien noch zwei Aussagen zum Film erwähnt. Bertram Verhaag verwies gegen die Sichtweise, daß der Film Realität abbilde, auf den artifiziellen Entstehungsprozeß. Er habe aus den Bildern, die sie in einem Zeitraum von zwei Jahren aufgenommen hatten, eine Geschichte gemacht, indem er verdichtet habe, das zufällige Material spannender gemacht habe.
Thomas Giefer kritisierte gegenüber der breiten Zustimmung, die der Film gefunden hatte. das Fehlen von Widersprüchen. Ihm genüge das „warme Gefühl der Solidarität“ nicht, das den Film bestimme.