Film

Reichshauptstadt – privat
von Horst Königstein
DE 1987 | 57 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
12.11.1987

Diskussion
Podium: Horst Königstein
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Esther Baron

Protokoll

Der Protokollantin sei die Vorbemerkung erlaubt, daß die Diskussion ob der späten/frühen Stunde eher assoziativer als stringent logischer Natur war und hier dementsprechend wiedergegeben wird.

Zu Beginn beteuerte Werner Ruzicka, es handle sich beim Vorführtermin zu solch vorgerückter Stunde um einen vereinbarten Kompromiß. Die Cassette war im Sender liegengeblieben und zu spät eingereicht worden. Der Film solle keineswegs als „Nachtasyl“ an den Rand des Festivals gedrängt werden.

Horst Königstein ging von der eigenen Erfahrung aus und bemerkte, im Kopf setze man sich am Abend eines Festivaltages das Gesehene zu einem neuen Film zusammen. Die Grenzen seien dann eher fließend.

Als sein Film im Fernsehen gelaufen sei (24.10.87), sei auf der Titelseite einer Fernsehzeitschrift „Denver“ mit einer neuen Serie angekündigt worden.

Zum ersten Mal sei es ihm möglich gewesen, zusammen mit Wolfgang Menge einen Film zu erstellen.

Eine akademische Diskussion sei ja gut und schön, aber doch lediglich ein Thesenabtausch über die Rezeption in geblümten Wohnzimmern. Entscheidend sei doch der Kontext, in dem sich dies abspiele. Er habe, trotz 17-jähriger Arbeit im Sender, jedes Mal bei der Ausstrahlung Herzklopfen und müsse gestehen, daß ihn die Prozentzahl der Zuschauerbeteiligung immer noch interessiere.

Dietrich Leder fragte nach der Intention: Ob der Blick Königsteins auf die Jugendlichen vor 40 Jahren ein rein melancholischer gewesen sei, was für Königstein die eigentliche Faszination des Sujets ausmache.

„Ihre Unschuld“ war die lakonische Antwort.

Ein Zuschauer: „Oder ihre Dussligkeit?“

Nein, so Königstein weiter, das Projekt stelle den eher verzweifelten Versuch dar, das Ende des Erzählbaren herauszufinden und der Frage nachzugehen, warum wir in diesem Lande Probleme mit der Liebesfähigkeit hätten. Diesem Thema könne man sich nicht didaktisch, sondern nur über den Versuch der Erinnerung annähern. Die KDF (Kraft durch Freude)-Reisenden seien keineswegs „dusslig“ gewesen, hätten durchaus Informationen erhalten, aber – wie bereits der Arzt im Film gesagt habe – seien diese ins „eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus gegangen “. Der Kriegseinbruch sei als „surprise“ erlebt worden. Die Dramaturgie des Films sei sozusagen die Dramaturgie der Ereignisse.

Ihm sei es darum gegangen. die Fotoalben noch einmal aufzuschlagen.

Angela Hardt bemerkte, daß diese Erinnerungen geradezu aus den Leuten heraussprudeln würden. (Werner R.: „Die leuchten richtig.“) Ja, so Königstein, er habe durch den Film etwas „angepickt“, was durch das „Traumschiff“ nur angedeutet worden sei.

Aus dem – um diese Zeit schon stark reduzierten – Publikum kam das Apercu, daß das Bedürfnis, vor der Kamera von seinen Erinnerungen zu reden, nicht zuletzt mit der Tatsache erklärbar sei, daß diese Menschen auch bei der Entnazifizierung hätten schweigen müssen. Auffallend sei ihre Fröhlichkeit, trotz einer anderen Sexualmoral als der heutigen. Königstein bestätigte: Systeme könnten sich nur deshalb erhalten, weil sie so viele Nischen beherbergten.

Angela Hardt erwähnte diesbezüglich die privaten Feste, die im Dritten Reich neben den offiziellen stattgefunden hätten, was auch im Film deutlich geworden sei. Die 50er-Jahre seien da wesentlich steifer gewesen. So lasse sich auch teilweise die Verwunderung der Elterngeneration über die Nachkriegskinder erklären, daß diesen trotz ihrer Jugend die Fröhlichkeit abhanden gekommen sei. Bis zum Kriegsende seien die Feste noch von einer Art „natürlicher Geschlechterspannung geprägt gewesen“. Königstein schlug vor, den Begriff „Trauerarbeit“ in diesem Sinne durch „Freudearbeit“ zu ersetzen.

Werner Ruzicka warf ein, daß die Sinnlichkeit und Körperlichkeit der damaligen Zeit besonders gut durch Super 8-Parts und einmontierte Farbphotos sichtbar geworden sei und nannte das Photo mit dem Mädchen im Bikini. Die Farbe, das Leuchten sei sozusagen die Farbe der Erinnerung. Heute könne man nur, ergänzte Angela Haardt, einen fortschreitenden Prozeß der Liebesunfähigkeit registrieren. Besonders das Lied am Ende „In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine“, gesungen von Heike Falkenberg, hätte ihr sehr gefallen, sie an Brechtsche Lieder erinnert.

Gegen Ende kam W.R. auf die Interviewparts mit der depressiven Frau zu sprechen. lhr habe man die Belastung deutlich angemerkt. Königstein relativierte dies. Die Frau habe sich auf der KDF-Fahrt eher deshalb einsam gefühlt, weil sie sich zu schade für diese Welt erachte. Trotz einer eigenen Über(selbt)einschätzung mache sie sich im Gespräch unsäglich klein. Ihr Verhalten sei auf einer KDF-Reise, „WO eine Betriebsnudel die andere jagte“, besonders auffallend gewesen. W.R. versuchte dies damit zu erklären, daß sie mit damals 24,25 Jahren einige Jahre älter gewesen sei als die meisten jungen Frauen auf dem Schiff.

Die Diskussion mündete in einen längeren Dialog zwischen dem Regisseur und Dietrich Leder, der gegen 2h35 Privatissime-Züge annahm und deshalb – trotz all seiner kreativen, assoziativen Tiefe – von der Protokollantin hier unterschlagen wird.