Film

Menschen in Berlin
von Andreas Honegger

Screening
Duisburger Filmwoche 11
15.11.1987

Diskussion
Podium: Andreas Honegger, Marianne Skrezek (Ton, Text, Schnitt)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Esther Baron

Protokoll

Anfänglich äußerte eine Zuschauerin starke Kritik an der Bild- und Tonqualität des Films, die sie als extrem strapaziös empfunden hatte. Darüber hinaus würden in den Selbstdarstellungen der Portraitierten mit größter Ernsthaftigkeit unernste Dinge vorgetragen werden und so unreflektierte Sätze wie „Mein Bücherzimmer ist mein Konzentrationslager“ oder Begriffe wie „Kraft durch Freude“ fallen.

Ein anderer Zuschauer schloß an: „Warum habt Ihr gerade diese Leute dargestellt?“

Andreas Honegger begründete dies damit, daß er diese Leute tatsächlich kenne. Tonpassagen wie „Kraft durch Freude“ hätten nicht einfach herausgeschnitten werden können, ohne zu verfälschen. Schließlich sei es ja darum gegangen, die Personen so zu zeigen, wie sie sind, wie er sie gesehen habe. Der Film bereite insofern Schwierigkeiten, daß er zum eigenen Nachdenken auffordere.

Des weiteren wurde die eigene Stellungnahme der Filmemacher im Film vermißt. Der Titel „Menschen in Berlin“ wecke die Erwartungshaltung, “Repräsentanten“ dieser Stadt kennenzulernen; die hier Gezeigten gingen jedoch alle in eine Richtung. Der Film zeige in gewissem Sinne Privilegierte wie jenen jungen Mann, der vorgab, mit Gloria von Thurn und Taxis Haschisch geraucht zu haben. Diese Aussage sei im Film nicht hinterfragt worden.

Werner Ruzicka schloß mit der Bemerkung an, einige Berliner Filmemacher hätten die Vorstellung vorzeitig verlassen – nicht zuletzt, weil sie abreisen mußten – mit der Bemerkung, nun zurück in die Realität nach Berlin zu wollen.

Ein anderer hätte beklagt, so Ruzicka weiter, hier seien Personen in der Art und Weisegezeigt worden, wie man sich die Boheme vor zwanzig Jahren vorgestellt habe.-Berlin also als Stätte der frühen Lehr- und Wanderjahre?

Man zitierte aus der Produktionsmitteilug im Programmheft: „“Berlin als Akademie des Lebens, moderne Lehr- und Wanderjahre im Untergrund der Szene. So wurde Berlin zur Metapher einer Generation.“ Der Film demnach als exotischer Blick auf eine exotische Stadt…

Anja Friehoff warf ein, sie befürworte, daß Begriffe wie „Kraft durch Freude“ und „Konzentrationslager“ aufgetaucht seien. Im alltäglichen Milieu dürften bestimmte Begriffe ja ansonsten einfach nicht gesagt werden. Hier seien sie von einem provokanten Unterton begleitet gewesen. Der Satz „Ich liebe Aufmärsche“ sei innerhalb des Kontextes durchaus so zu verstehen, daß die Filmemacher sich dazu distanziert hätten. Den Einstieg der Tonmontage habe sie als interessant empfunden. Aber warum diese Beliebigkeit der Portraits? In jedem Berliner Szenefilm tauchten inzwischen Nick Cave oder Blixa Bargeld auf. Das sei doch im Prinzip vergleichbar den Fernsehspielen, wo Armin Müller-Stahl mitspiele. Den Lehrer habe sie jedoch interessant gefunden und die „schräge Sicht“ auf die Personen sei gut gelungen.

Andreas Honegger, der Schweizer ist, erklärte er habe  jemanden gekannt, als er nach Berlin gekommen sei. Die Portraitierten träten in der Reihenfolge auf, in der er sie kennengelernt habe. Er bewege sich tatsächlich in dieser Szene. Daß er manche(s) dabei nicht möge, sei offensichtlich. Einige der Gezeigten seien ganz schön gefährlich. Die Darstellungsweise könne man eventuell im Zusammenhang sehen mit Harun Farockis in Duisburg vorgestelltem Film („Ziele: Die Schulung“). Auch dieser könne sich zu einer direkten Stellungnahme nicht durchringen. Es handle sich bei „Menschen in Berlin“ um eine Collage, ein Bild. Größtenteils habe er spontan gedreht mit Ausnahme der Hunderennensequenz. Auch in der safersex-Disco habe er einfach gefilmt, nach einer halben Stunde sei er von den Tanzenden nicht mehr beachtet worden; da käme Authentizität in den Film.

Marianne Skrezek griff nochmals den anfangs gefallenen Begriff der Ernsthaftigkeit oder auch Schwermütigkeit auf, der z.B. an dem Leiden des 21jährigen Juden festgemacht werden könne. “Kraft durch Leiden“ schleiche sich in die heutige Realität ein und sei nicht  mehr wegzudenken. Altes Leiden sei vergleichbar mit neuem Leiden.

Unterbrochen (oder vertieft?) wurde die Diskussion durch ein „BildenthüIlungshappening“ eines ägyptischen Zuschauers, der die beiden Filmschaffenden in Duisburg kennengelernt und spontan eine Bildcollage zum Film mit den Inserten „Menschen in Berlin“ geschaffen hatte. Andreas Honegger zeigte sich erfreut und bedankte sich, das Forum schien ansonsten eher überrascht ob der Einlage.

Werner Ruzicka griff nochmals die Frage nach der Dramaturgie des Films auf: ein Nebeneinander von Menschen sei schwerlich in ein dramaturgisches Korsett zu zwängen.

Personen wie Blixa Bargeld oder Nick Cave gehörten eben als „Meilensteine“ zu Berlin, auch wenn ihre Einbeziehung in die Nähe von Klischees rücke, warf Marianne Skrezek ein.

Anja Friehoff ergänzte: der Film sei eben Geschmackssache. Das „Pseudo K. u. K.-Gespräch“ beispielsweise habe sie sehr komisch gefunden. Das sei in diesem Sinne nicht dokumentarisch, eher surrealistisch. Dafür müsse man „den Nerv haben“ oder eben nicht.

Inwieweit die Bezeichnung „Dokumentarspiel“ eine ironische sei, erkundigte sich Werner Ruzicka.

Marianne Skrezek erklärte: es ginge hier um eine Art von Spielen. Die Leute im Film hätten gerne gespielt. Sie bedauerte, daß vieles im Film aufgrund der zugegebenermaßen schlechten Ton- und Bildqualität (an Aussage) verlorenginge, den Zuschauer strapaziere und die Verständigung erschwere. Sie hätten leider unter miserablen Produktionsbedingungen arbeiten müssen. Sie sehe trotzdem die Bereitschaft beim Publikum, sich diesen Film anzuschauen.

Werner Ruzicka bedankte sich abschließend bei den Filmemachern für ihren Filmbeitrag, der als Angebot zum Assoziieren verstanden werden könne.