Film

Mein Tag im Dunkeln
von Werner Zeindler
DE 1986 | 32 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
11.11.1987

Diskussion
Podium: Werner Zeindler, Eva Schaaf (Schnitt)
Moderation: Bertram Rotermund
Protokoll: Ricarda Wojewski

Protokoll

W. Zeinlder schilderte zu Beginn ausführlich die Produktionsbedingungen.

Bei einem SDR-Wettbewerb für Menschen ab 60 Jahre mit dem Titel „Ein Stück aus Ihrem Leben“ ging eine Toncassette G. A. Oedemanns an die Redaktion, kurz vor Abgabeschluß. Diese Toncassette konnte zuerst nicht in den Wettbewerb aufgenommen werden, da sie formalen Kriterien (gefordert war ein getipptes Manuskript) nicht entsprach. So tippte eine Sekretärin, die von dem von G. A. Oedemann selbstbesprochenen Band fasziniert war, dieses ab, sodaß es in den Wettbewerb miteingehen konnte.

Diese von dem blinden Mann besprochene Cassette habe ihn selbst – so Zeindler – erschüttert. Er sei tief beeindruckt gewesen von der Bedeutung seiner (Oedemanns) Worte, auch der Gedanken. Die Cassette mit dem Titel ‚Mein Tag im Dunkeln‘ wurde Grundlage des Films.

Es entstand die Überlegung den Film mit Schauspielern oder mit G.A. Oedemann als Protagonist zu realisieren. Zeindler entschloß sich mit G.A. Oedemann zu arbeiten. Er besuchte ihn vorher einige Male und reduzierte sein – Team auf sechs Mitglieder, um den blinden Mann in seiner kleinen Wohnung nicht zu überfordern. Damit das Geschehen in der Wohnung während der Drehtage für ihn nachvollziehbar wurde, erklärte sie ihm alles genau.

Aus dem ursprünglich vorgesehenen Fernsehspiel wurde ein Dokumentarfilm, der in vier Tagen gedreht wurde.

Zeindler sei fasziniert von dem Leben in dem Gesicht des alten Mannes, der seit über 10 Jahren blind sei und so kein Kamerabewußtsein habe.

Er habe bewußt strukturiert, um den Tagesablauf G.A. Oedemanns adäquat darzustellen. Eine Form mußte gefunden werden, die vergleichbar den Vorbereitungen eines Spielfilms war, so arbeitete er u.a. mit präzis gestalteten Tableaus. Der Tagesablauf des alten Mannes bestehe vorranig aus Nachdenken, Dasitzen und der Kommunikation über sein Tonbandgerät; er würde unterbrochen durch die Besuche der Nachbarin, des Zivildienstleistenden und des Bruders. Diese Besuche wurden auf besonderen Wunsch G. A. Oedemanns in den Film aufgenommen.

Den O-Ton habe er um der Authentizität willen belassen. ln diesem Zusammenhang nennt ein Zuschauer auch die Wohnung Oedemanns als authentisch und das vom vielen Ertasten abgegriffene Türblatt als schönstes Bild.

Die drei Uhren (ihr Ticken) und die wechselnden natürlichen Lichtverhältnisse (Tag/Nacht) seien die einzigen Mittel zu zeigen, daß es in diesem Raum äußeres Leben gibt (Zeindler).

Der Film – so W. Ruzicka – hebe die Zeit durch Schnitt und Ton auf; er sei ein Kontinuum und ermögliche eine Versenkung im Zwischenraum von Leben und Tod. Dieser Film habe ein Bild geschaffen; Blindheit als meditative Vorstufe zum Tod. B. Rotermund, der eingangs erwähnte, daß ihn der Film stark berührt habe, merkte an, daß reales- Leben fehle und dies zu einer Aufhebung der Zeit führe.

Für G. A. Oedemann sei die Figur des Brandner Kasper die Verkörperung der Unsterblichkeit des Todes, erläuterte Zeindler. Mit dieser Figur führe er (Oedemann) ein Selbstgespräch, trete in ein dialogisiertes Selbstgespräch mit dem Tod und spiele selber mit dem Tod, ergänzt B. Rotermund. (Die Sage erzählt, daß der bayr. Bauer Brandner Kasper mit dem Tod um sein Leben spielte und der Tod verlor fürs Erste das Spiel.)

Es kam die Vermutung auf, daß G. A. Oedemann die Bänder abhöre. Dies fand keine allgemeine Zustimmung, vielmehr wurde bemerkt, daß der blinde Mann durch den Dialog mit dem Tonband etwas Eigenes, Außergewöhnliches gefunden habe. Allgemeiner Konsens bestand darüber, daß dieser Mann nicht verbittert sei.

Zeindler vertrat die Ansicht, daß dieser Mann mit seiner Behinderung lebe und zitierte ihn: „Ich bin allein, aber nicht einsam“ (G. A. Oedemann). Ein Zuschauer zweifelte dies an und fragte, ob der Mann nicht aus Einsamkeit blind geworden sei; er lobte den Film, da er in keinster Weise voyeuristisch sei. Es galt Voyeurismus zu verhindern, denn dies wäre zu oberflächlich und plakativ, so Zeindler. Das Weinen des alten Mannes hätte er nur zeigen können, wenn es sich aus dem Zusammenhang ergeben hätte, es aus der Filmhandlung verständlich gewesen wäre.

Das Weinen als Zeichen der Erschütterung vermißte eine Zuschauerin, wohingegen W. Ruzicka in dem Augenausdruck des Mannes dies dennoch gegeben sah.

Auf die Frage, was sich für Zeindler durch den Film verändert habe, erwähnte er die Bewußtwerdung der Zeit, des Jetzt. Dieser Zustand, dieses Alter habe keine Zukunft, dieser Mann lebe jeden Moment sehr intensiv. Er (Oedemann) habe andere Zeitmaßstäbe, das Jetzt sei entscheidend; Weisheit im jetzigen Moment, denn er (Oedemann) lebe mit der Hoffnung auf einen erfüllten Augenblick.

Abschließend erklärte W. Ruzicka den Film als ein dreißigminütiges dokumentarisches Kunstwerk.