Protokoll
„Flüchtigkeit“ erwies sich als das Wort der (Diskussions-)Stunde und wurde als Begriff durchaus kontrovers immer wieder aufgegriffen. Für die beiden Filmemacher war zunächst die F l ü c h t i g k e i t der erzählten Momentaufnahmen von U-Bahn-Fahrenden, -passanten, -„bewohnern“ und -profis (wie dem BVG-Abfertigungspersonal oder Kontrolleuren) von Bedeutung. Sie hätten die Geschichten „auf sich zukommen lassen“, Spontanes sei entstanden, unerwartete Situationen eingetreten und teilweise hätten vorhandene Klischees revidiert werden müssen. Das ursprüngliche Konzept des Drehbuchs, dokumentarisch mit Archivaufnahmen und ähnlichem zu arbeiten, hätte sich nach und nach v e r f l ü c h t i g t. Das Filmteam ließ sich überraschen, sammelte IMPRESSIONEN auf den U-Bahnhöfen zwischen Zoo und Schlesischem Tor.
Einem Mitglied der Medienwerkstatt Franken erschien dieses Impressionieren ein Manko, das für den f l ü c h t i g e n Eindruck des Films verantwortlich sei. Man steige als Zuschauer in ihn (den Film) ein und steige aus, wie in die U-Bahn eben. Andere Stimmen lobten hingegen die Intensität der Bilder, die nicht nur alteingesessene Berliner U-Bahnfahrende anspreche. „Hier zeigt sich, daß die Leute außer dem ständigen (750 Jahre) Feiern ganz normal weiterleben.“ (Elfriede Schmitt). Anerkennung gelte auch dem Verdienst des Films, “das soziologische Phänomen der Ansammlung herausgearbeitet zu haben“, verlautbarte ein anderer.
Ebenfalls kontrovers wurde die Tatsache erörtert, daß sich die nur allzu häufig erlebte Langeweile und Stummheit des alltäglichen U-Bahn-Fahrens v e r f l ü c h t i g t habe, das heißt nicht sichtbar geworden sei. Die Kommunikation an solch einem Ort wie dem der U-Bahn hatte die meisten Zuschauer überrascht. Die Filmemacher räumten denn auch ein, daß dieses Bild der Interviewbereitschaft nicht ganz repräsentativ sei. Es habe durchaus lakonische Statements gegeben („Fahren Sie regelmäßig U-Bahn?“ „Ja.“), die beim Endschnitt nicht mehr berücksichtigt wurden.
Das Auslassen „unfertiger Szenen“ sowie abgebrochener oder unterlassener Interviews (z.B. erscheint eine Opernbesucherin am U-Bahnhof „Deutsche Oper“ elegant gekleidet im Bild, ohne interviewt zu werden.) wurde teilweise bemängelt. Auch sei das Bedrückende, beispielsweise die alltägliche Angst von Frauen oder alten Menschen, nicht „rübergekomnen“. Die Filmemacher erklärten dies mit der Tatsache, während des Drehens nur peripher (z.B.in der Schlägereisequenz der Jugendlichen) mit solchen Momenten konfrontiert worden zu sein.
Allzu beschönigend empfand eine Zuschauerin den dramaturgischen Einsatz der Musik. Mit Hilfe der Saxophonparts Francois Galvanis sei versucht worden, „eine Geschichte zusammenzukleistern“, wo keine vorhanden sei. Die Musik vermittle sozusagen einen neuen Mythos, eine neue, nicht nachvollziehbare Melancholie. Adler verteidigte die Filmmusik: Der Saxophonist Galvanis sei mit der Stadt tief verbunden und er selbst fühle die U-Bahn-Atmo adäquat in der Musik widergespiegelt. Dem Vorwurf, lediglich Exoten gezeigt zu haben und damit ein falsches Berlinbild zu vermitteln, widersprach Claire Doutriaux, die Vertreterin von La Sept, aufs energischste. “Endstation Schlesien“ sei ein legitimer, durchaus einfühlsamer, schöner Blick auf Berlin.
Die von Adler und Reinel geschilderten Produktionsbedingungen entkräfteten die Kritik am „belehrenden“ Kommentar („ein touch von Industriefilm“). Der Film, zunächst ohne Auftrag auf eigenes Risiko hin abgedreht, wurde nach einer ersten Materialsichtung von Radio Bremen als zu den üblichen Jubelfilmen alternativer Beitrag zur 750-Jahr-Feier mit 70.000-80.000 DM plus Beistellung finanziell unterstützt. Der Bremer Produzent, sehr angetan vom gesichteten Material, stellte gar eine neu gekaufte Videoanlage zur Verfügung. Er machte allerdings zur Auflage, den Kommentar auch für Nichtberliner verständlich zu machen und dachte dabei beispielsweise an das Einmontieren von Stadtplänen. Gegen Letzteres konnten sich die Autoren erfolgreich zur Wehr setzen. Auch die BVG zeigte sich kooperativ und stellte einen „Persilschein“ für zwei Drehmonate aus, eine nicht selbstverständliche Geste, die die Dreharbeiten ungemein erleichterte.
Gegen Ende der der Diskussion kam man auf den Nachspann zu sprechen, der zwar die BVG namentlich erwähnt, die übrigen Beteiligten jedoch vernachlässigt habe.
Die Autoren erwiderten, daß für sie im Film selbst, also implizit, selbstverständlich eine Danksagung an alle Vorgestellten enthalten sei.