Film

Drachenfutter
von Jan Schütte
DE 1985 | 14 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 11
12.11.1987

Diskussion
Podium: Jan Schütte
Moderation: Elfriede Schmitt
Protokoll: Dietrich Leder

Protokoll

Komplimente zu Beginn und gleich an zwei Adressen: Einmal wurde der Auswahlkommission der Dank dafür ausgesprochen, daß sie einen und zwar diesen Spielfilm ins Programm aufgenommen hätte, der „es von einer anderen Seite her zeigt“. Dann wurde der Film und sein Regisseur gelobt, besonders die Art und Weise, wie hier vom Leben der Flüchtlinge in einer Spielhandlung erzählt würde, fand große Anerkennung. Das sich anschließende Gespräch kreiste zu einem großen Teil, wie Schütte zu den Elementen seiner Filmerzählung gekommen sei, und wie sich seine Spielfilmarbeit von seiner (bisherigen) Dokumentarfilmarbeit unterscheide. Es herrschte eine ruhige und gelassene Atmosphäre, in der man sich des Filmes wie grundsätzlicher Probleme des Filmemachens gemeinsam, trotzunterschiedlicher Auffassungen, zu vergewissern trachtete. Das gilt es als Qualität dieses Gespräches festzuhalten, das zahlreiche Minuten nach Mitternacht sein Ende darin fand, daß der letzte Film des Programmtages angekündigt wurde.

Der Reihe nach: Jan Schütte berichtete zunächst von der Entwicklungsgeschichte des Films. Er habe vorher einen kürzeren Dokumentarfilm mit dem selben Titel über die Lage eines pakistanischen Rosenverkäufers in Hamburg gedreht, eine Art konkreter Beobachtung. Mit dem Ergebnis des Filmes wäre er nicht zufrieden gewesen, weil vieles auch aus Gründen des Schutzes dokumentarisch mit den politischen Flüchtlingen nicht zu drehen war, oder nicht verwendet werden durfte. Aus der Unzufriedenheit heraus habe er dann auf der Grundlage der erlebten und recherchierten Geschichten zur Form der Fiktion und Inszenierung gegriffen. Erst habe er sich überlegt, ob er mit Laien arbeiten soll, dann habe er sich entschlossen, doch mit Schauspielern zu arbeiten. Die Hauptrollen seien mit Profis, viele Nebenrollen mit Laien besetzt worden. Seine beiden Hauptdarsteller habe er nicht in der Bundesrepublik, sondern in Großbritannien über eine Agentur gefunden. Sie seien mit dem Leben als politische Flüchtlinge durchaus vertraut gewesen, so sei einer von ihnen in Uganda geboren, das er im Alter von zehn Jahren verlassen mußte. Er sei mit der Familie erst nach Indien, später nach Pakistan geflohen, ehe er im Alter von 15 Jahren nach Großbritannien gekommen sei. Den Schauspielern habe das Drehbuch in englischer Fassung vorgelegen, sie hätten dann ein halbes Jahr Deutsch gelernt, ehe sie dann während der Dreharbeiten die Dialoge in ihrem Deutsch improvisiert hätten. Schütte: „Ich kann auch keine Dialoge im gebrochenen Deutsch schreiben!“ Zwischenruf: Es gäbe durchaus Kollegen, die dies könnten, und zwar ungewollt.

Grundsätzlich gelte, daß es für jede Figur ein authentisches Vorbild gebe, so wie jeder Vorgang im Film durchaus authentisch sei, auch wenn oft Situationen modifiziert, Geschichten zusammengezogen worden seien. Auch die Abschiebeszene stimme, es käme regelmäßig vor, daß zwischen Verhaftung und Abschiebung nur wenige Stunden lägen. Er kenne den Fall eines Türken, fügte Schütte an, für den das Ticket bereits zu einem Zeitpunkt bestellt worden wäre, zu dem noch nicht einmal sein Verfahren eröffnet worden sei. Selbstverständlich enthalte sein Film ein Stück Utopie. Generell habe er „keinen Spielfilm über das Asylanten-Problem machen wollen, sondern die Geschichte der beiden Leute erzählen wollen“. Auf den Einwand, einiges am Film sei nicht realistisch (Energiereichtum der Protagonisten im Vergleich zur real in den Lagern existierenden Lethargie; die Unmöglichkeit, grundsätzlich ohne Arbeitserlaubnis Arbeit zu finden; die Frage nach den politischen Hintergründen der Flucht, et.) ging Schütte differenziert ein. Erst einmal sei es so, daß aus über 30 Ländern Menschen in die Bundesrepublik fliehen, die höchst unterschiedliche Formen von Reaktionen auf unser Asylsystem hervorbrächten. Das könne man nicht einfach generalisieren, sein Spielfilm tue es auch nicht, er erzähle eine mögliche, auf tatsächlichen Begebenheiten beruhende Geschichte. Zur Frage der Arbeitssituation erklärte Schütte, daß im Film durchaus unterschieden sei zwischen den einzelnen Figuren. Und in der Wirklichkeit sei es ja durchaus so, daß einzelne Flüchtlinge auch ohne Arbeitserlaubnis illegal arbeiten würden, einfach auch um aus ihrer Lage herauszukommen. Zum politischen Hintergrund erklärte Schütte: „Ich denke schon, daß er da ist, daß sich der Film zunächst einmal darauf einläßt, daß die Flüchtlinge jetzt hier sind. Je mehr man mit ihnen im Film erlebt, desto härter ist doch für den Zuschauer der Einschnitt, wenn einer von ihnen wieder wegmuß.“ Der Titel stamme im übrigen aus einer Berliner Redensart aus den zwanziger Jahren, nach der angetrunkene Männer gerne ihren Frauen Rosen von ihren nächtlichen Unternehmungen mitbrachten, als „Futter für ihren Drachen“.

Auf eine Publikumsnachfrage, ob er die Unterschiede zwischen dokumentarischer und inszenatorischer Filmarbeit näher bestimmen könne, präzisierte Schütte seine Aussagen. Für ihn habe der Schritt zum Spielfilm eine Befreiung bedeutet. Die Dokumentarfilmkamera beispielsweise habe stets etwas Fremdes an sich, Zerstörerisches wäre vielleicht zu hart ausgedrückt. Sie dränge irgendwo ein, wo sie durch ihre Anwesenheit gerade das verändere oder irritiere, weshalb sie überhaupt eindringe. Dieser Zweifel am dokumentarischen Arbeiten zeige die Grenzen auf, hebe aber seine Bedeutung nicht auf. Er werde auch weiterhin dokumentarisch arbeiten. Und: „Ich könnte mir nicht vorstellen, nur erfundene Geschichten zu erzählen.“ Ein Zuschauer ergänzte, daß man im Dokumentarfilm mit den Lücken, dem Nicht-Erzähl- oder Nicht-Zeigbaren leben müsse, während man sie im Spielfilm füllen könne. Schütte: Sicher, im Dokumentarfilm sei oft soviel weg, „daß es richtig wehtut“. Dafür wirke er aber oft stärker, aber es sei doch die Banalität festzuhalten, daß jeder Film Film und nicht Realität sei. In diesem Spielfilm hätten sie während der Dreharbeiten oft genug Abschied von den konstruierten Sachen nehmen müssen, weil sich in der Arbeit mit den Darstellern etwas völlig anderes ergeben hätte, so sei beispielsweise die Dialogantwort auf die Frage „Wo kommt Ihr her?“ vom Darsteller gekommen, der sie real mit dem Satz „Wir kommen aus Klein-Flottbek“ formuliert habe.

Zur Produktion: Schütte erklärte, daß er über kein großes Budget verfügt hätte, daß es aber groß genug war, alle Beteiligten gut zu bezahlen. Der Löwenanteil der Mittel stamme vom Kleinen Fernsehspiel des ZDF, das nach Gesprächen zu eine begrenzte Kinovorabspiel bereit gewesen sei. Auf die Frage, warum er nicht versucht habe, diese Frist zu erweitern – „Drachenfutter“ soll im nächsten Frühjahr im ZDF ausgestrahlt werden -, antwortete Schütte, daß er erst einmal skeptisch gewesen wäre, ob er im Kino auch laufen könne. Dann hätte er schon großes Interesse daran, daß der Film auch im Fernsehen gezeigt werde.

Zur Musik: Er habe mit Claus Bantzer, der die Musik komponiert habe und von der Kirchenmusik herkäme, zunächst darüber gesprochen, daß er eine eher karge, denn weiche Musik haben wolle. Dann hätten sie gemeinsam verschiedene Fassungen erstellt und über den Film qelegt, so sei beispielsweise eine Fassung enthalten, in der Bantzer über der Klavierstimme noch leise mitgesummt, mitgesungen hätte. Allgemein: „Ich finde die Musik besser als den Film.“ Konkret: Er habe ja bislang noch nicht mit Musik gearbeitet, sei deshalb völlig überrascht, wie die Musik den Film verändere. Er beschrieb diese Veränderung am Beispiel der Szene, in der die beiden Hauptpersonen zum ersten Mal ihr Restaurant betreten. Diese (ihm im Drehbuch sehr liebe) Szene hätte bei den Dreharbeiten unheimlich an Qualität verloren. Das, worum es ging, schien in ihr nicht mehr enthalten. Durch den Einsatz der Musik wäre es dann doch wieder hineingekommen.

Zur Kamera: Er habe mit Lutz Konermann, der ja selbst mit seinem Spielfilm „Auf der Mauer“ 1982 in Duisburg zu Gast war, vier Jahre lang zusammengearbeitet. Bei den Dokumentarfilmen habe die Zusammenarbeit stets gut geklappt. Beim Spielfilm war es denn schwieriger geworden, weil Konermann sich ja selbst als Spielfilmregisseur begreife. Trotzdem sei er mit der Kameraführung durchaus zufrieden, sie sei so, wie er sie sich vorgestellt hätte. Schwarz-Weiß habe er gewählt, weil er sich die Geschichte nicht in Farbe habe vorstellen können, außerdem sei er Schwarz-Weiß-Fan, darüberhinaus sei Schwarz-Weiß einfach realistischer („Der Schwenk über die Reeperbahn wäre in Farbe einfach nicht gegangen.“) und für ihn als Anfänger leichter zu beherrschen: Der Farbfilm kostet mehr Geld und auch viel mehr Arbeit.

Zum Erfolg: Der Film käme im Ausland überraschend gut an. Er werde auch nicht als deutsche Geschichte angesehen. Er würde in der Schweiz, in Großbritannien, Belgien, Holland vermutlich laufen. Zur Zeit reise er noch von Festival zu Festival, übermorgen sei er beispielsweise in London. Auf die Frage, wie der Film nach Venedig auf das Festival kam, berichtete Schütte, daß Venedig gar nicht mal sein Traum gewesen wäre. Er wollte den Film zunächst nur in Locarno zeigen, die hätten den Film aber abgelehnt gehabt. Er habe dann noch eine weitere Kopie nach Italien geschickt, dort wäre sie auch angekommen, nur sei sie, als der Zeitpunkt der Sichtung nahte, verschwunden gewesen. Erst als das Programm schon stand, hätte sich die Kopie gefunden. Man habe den Film dann zum Abschluß der Sichtung angeschaut und wäre dann von ihm so überzeugt worden, daß man einen anderen, bereits ausgewählten Film seinetwegen herausgeschmissen und durch ihn ersetzt hätte.