Protokoll
Die Moderatorin – sichtlich bewegt von dem Film, ebenso wie das fast sakral ruhige Publikum – wollte von Katrin Seybold und Melanie Spitta wissen, woher sie immer die Kraft nähmen, sich dem emotional doch sehr belastenden Thema des Schicksals der Sinte zu widmen.
Katrin Seybold: Ihre Energie sei anfangs dem schieren Unglauben entsprungen – so im Fall einer zwangssterilisierten Sintezza, die für ihr Entschädigungsverfahren die Zeugenaussage des Arztes gebraucht hätte, der sie im Dritten Reich sterilisiert habe. Nach einem Jahr Wartezeit habe der geantwortet, ihm fehlten Zeit wie Erinnerungsvermögen – und das Gericht sei nicht auf die Idee gekommen, ihn vorzuladen, die Frau habe keine Entschädigung erhalten. Aufgrund entsprechender Papiere habe sie ersehen können, daß diese Geschichte wahr wäre, später sei deutlich geworden, daß dies kein Einzelfall sei. Aus Unglaube sei dann Wut geworden, die noch von etwas anderem genährt werde: Viele Wissenschaftler würden sich mit den Sinte beschäftigen, mit ihren Sitten und Gebräuchen oder mit der Menstruation von Sinte-Frauen – aber sie als Filmemacherinnen müßten hingehen und die für die Sinte eigentlich wichtige Arbeit leisten.
Melanie Spitta: Schon als Kind habe sie das starke Bedürfnis gespürt, sich gegen Unrecht zu wehren. Allerdings wäre es schön, wenn Energie für die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Sinte auch von Medizinern, Anthropologen und anderen Wissenschaftlern käme – Energie zu töten hätten sie ja genug gehabt.
Der Film sei durch eine Reise mit Sinte nach Auschwitz zustandegekommen; auf ihr habe sich herausgestellt, daß u.a. für Entschädigungsverfahren wichtige amtliche Dokumente schlichtweg verschwunden wären – daraufhin hätten sie das Thema mit verschiedenen Sinte gemeinsam aufgegriffen.
Für eine Finanzierung sei keine Fernsehanstalt zu gewinnen gewesen, die Ablehnungen wurden lediglich formal begründet, z.B. „das Thema (Sinte) schon mal gehabt zu haben“. Daraufhin habe Katrin Seybold die Produktion selbst übernommen. 80.000.- DM hätten aus einer Kurzfilmprämie und einer Prädikats-Förderung zur Verfügung gestanden, 200.000.- DM von der Low Budget Förderung (vor der Novellierung der Richtlinien; jetzt wäre das nicht mehr möglich gewesen), 30.000.- DM vom Hamburger Filmbüro und 80.000.- DM Eigenanteil, der inzwischen jedoch erheblich überschritten worden wäre.
Es gäbe jetzt einen Sender, der sich für den Film interessiere, jedoch nur für eine 45-Minuten-Fassung; wenn, dann wollten sie ihn jedoch in voller Länge ans Fernsehen verkaufen. Das FWU lasse seit fünf Monaten nichts von sich hören, bei Inter Nationes habe jemand am Telefon mit müder Stimme abgewinkt: „Nicht schon wieder dieses Thema!“, beim Goethe-Institut habe zwar jemand Interesse, nur müsse Inter Nationes ihn kaufen…, doch immerhin wolle der Basis Film Verleih „Das falsche Wort“ in sein Programm aufnehmen, habe der Film aus Hamburg eine Verleihförderung erhalten und sei er mit dem Prädikat „Besonders wertvoll “ ausgezeichnet worden. Fazit: Noch sei es so, wer den Film sehen wolle, müsse sich anstrengen.
Ihre Arbeitsweise sei von zwei unterschiedlichen Herangehensweisen geprägt gewesen: Beide hätten sich mit den gleichen Akten beschäftigt, doch während Melanie Spitta den Dingen nachgegangen wäre, die ihr Volk beträfen , habe Katrin Seybold sich um die Angelegenheiten der Deutschen gekümmert. Melanie Spitta habe die Erzählungen der Sinte gekannt und in den Akten rote Fäden zu ihnen gefunden – zuvor habe niemand die Geschichte von den abgenommenen Papieren und verschwundenen Dokumenten glauben wollen.
El friede Schmitt: Besonders wütend habe sie gemacht, daß deutsche Behörden sich bei Entschädigungsanträgen auf die jeweils unterschiedlich gültigen Gesetze berufen würden, daß obendrein nach dem Krieg die gleichen Personen als Gutachter in Sinte-Fragen aufträten, die bereits unter den Nazis als Gutachter gegen die Sinte angetreten wären.
Die Filmemacherinnen: Sie hätten den Film im Landesentschädigungsamt Bayern gezeigt, alle Mitarbeiter hätten ihn gesehen und wären sehr ergriffen gewesen; der Amtsleiter habe ihnen berichtet, das Amt versinke in Akten, bei denen abgelehnte Anträge auf Entschädigung überprüft werden müßten – doch diese seien immer korrekt geführt, die Gesetze beachtet. Nur, so Melanie Spitta, diese Gesetze seien nie für Nichtseßhafte gemacht worden, nicht unter Berücksichtigung der Identität und Kultur der Sinte, sondern durch die Gesetze würde die Lebenspraxis der Sinte kriminalisiert, würden sie zu Asozialen gestempelt.
Die Ignoranz setze sich fort, bemerkte ein Zuschauer; die Vorurteile, die vor und während des Faschismus geherrscht hätten, bestünden immer noch – Zigeuner seien Kriminelle, Asoziale, Arbeitsscheue. Man setze sich mit ihrer Kultur nicht auseinander und nähme sie nicht ernst: so würde die Zigeuner-Hochzeit nach wie vor nicht als echte Trauung akzeptiert.
Die Filmemacherinnen: Für die Deutschen hieße „Arbeit“ einzig „geregelte Arbeit“, sprich Fünftagewoche, lohnabhängige Arbeit. In der Familie zu arbeiten, eine Wandergewerbe zu betreiben oder mit Musizieren Geld zu verdienen, werde einfach nicht akzeptiert, so wie man die anderen Regeln der anderen Kultur nicht zur Kenntnis nähme. Unterstützung fänden die Sinte auch nicht in der Öffentlichkeit und in den Medien.
Eine Kontinuität der Vorurteile gäbe es auch bei Gerichten, bei der Kripo, bei Wissenschaftlern: Die Justiz sei ja nie entnazifiziert worden, die – für die Sinte zuständige – Kripo sei. mit Ende des Dritten Reiches nicht wie andere Polizei-Organisationen aufgelöst worden, mithin hätten die alten als neue Zigeuner-„Fachleute“ weitergearbeitet; bei Wissenschaftlern habe es das gleiche Phänomen gegeben – und so habe vor Gerichten jeweils Gruppensolidarität geherrscht, die Täter hätten nicht zu Opfern werden sollen. Es mache im übrigen seinen Sinn, wenn Verfahren aufgrund fehlender Beweismittel und Zeugen verschleppt würden: das reduziere das Problem auf ein biologisches, da die Leute allmählich wegstürben.
Ein Zuschauer äußerte unter Verweis auf die Filmwoche sein Interesse, auch über Probleme der formalen Seite des Films zu reden. Der Film sei eine Schuldzuweisung, und – immerhin lebten wir in einem Rechtsstaat – ihn habe gestört, daß der Film keine Stellungnahme „der anderen Seite“ beeinhalte.
Das Auditorium reagierte auf diese Pluralismus-Forderung mit leicht tumultartiger Empörung.
Melanie Spitta: In ihrem Leben seien deutsche Beamte viel zu oft zu Wort gekommen, als daß sie ihnen in ihrem – von einer Sintezza gemachten – Film einen Platz einräumen würde.
Ein anderer Zuschauer: Er könne „Das falsche Wort“ nur mit „Es ging Tag und Nacht liebes Kind“ vergleichen; letzterer hätte ihn an keiner Stelle „losgelassen“, während dieser hier bei ihm immer wieder Distanz geschaffen hätte – et~ durch sehr viele sehr ähnliche Fotos, z.B. von den Sinte vor den Wagen in Marzahn; die Fülle der Informationen hätte die Konzentration erschwert und das Pathos der Musik und der Sprecherin habe er als zuviel, als nicht notwendig empfunden.
Die Filmemacherinnen: Gerade die Fotos und insbesondere die aus Marzahn seien für Sinte ungeheuer wichtig, weil sie darauf Familienangehörige wiedererkennen könnten. Die Fülle der Informationen sei eine ganz bewußte Entscheidung – zur Zeit sei eine Diskussion über die Sinte in Gang, deshalb hätten sie so viele Beweismittel wie möglich präsentieren wollen. Der Film sei ein Mittel der politischen Beweisführung. Und das mit dem Pathos – es bliebe dem Redner überlassen, so zu empfinden.
Jemand fügte hinzu: Er halte “Pathos“ an dieser Stelle für einen falschen Begriff; wenn man ihn allerdings im ursprünglichen Wortsinn von “Leiden“ verstünde, dann sei Pathos dem Film wohl angemessen.
Ich breche an dieser Stelle das Protokoll ab, da von der scheinbaren Frage nach Formelementen ausgehend ein Tumult innerhalb des Publikums entstand, der teilweise in rüde Beschimpfungen zwischen Einzelpersonen, zum Teil weit unter der Gürtellinie, überging. Ich habe keine Lust, diesen üblen wie sinnlosen Teil des Gesprächs zu dokumentieren.