Film

Vergessen kann ich das nie
von Quinka Stoehr, Kay Ilfrich
DE 1986 | 100 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 10
05.11.1986

Diskussion
Podium: Quinta Stoehr, Kay Ilfrich
Moderation: Bärbel Schröder
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

Die Beschäftigung mit dem Fall der zwei Frauen aus Lauenburg habe sich, wie Quinka Stoehr einleitend berichtete, aus ihrer Arbeit in der Kieler Notrufgruppe für vergewaltigte Frauen ergeben. Während der Kieler Revisionsverhandlung gegen den in erster Instanz verurteilten Angeklakten habe die Gruppe, von Frau Ritzka um Hilfe gebeten, mehrere Aktionen zur Unterstützung und Betreuung der betroffenen Frauen durchgeführt: Das Erlebnis dieser Verhandlung, in der sich die beiden Frauen durch die Strategie der Verteidigung und die Argumentation des Gerichts nachträglich in die Rolle der Täterinnen gerückt sahen, habe sehr wesentlich das Motiv bestimmt, das Stoehr/Ilfrich bewogen habe, diesen Film (der ihre erste Erfahrung mit dem Medium darstelle) herzustellen: Es sei darum gegangen, diesem als exemplarisch erkannten Fall von Vergewaltigung und deren juristischer Beseitigung das ihm gebührende Maß an Öffentlichkeit zu verschaffen.

Im Lauf der Vorarbeiten, so erläuterten Stoehr/Ilfrich weiter, habe sich ein enges Verhältnis zu Vera Ritzka ergeben; oft hätten sie ihre Protagonistin in Lauenburg besucht, lange und ausführlich mit ihr gesprochen und auch die Verhältnisse dieser Kleinstadt durchdrungen. Deren schier unbeschreiblicher Sumpf habe nicht zuletzt den „Fall“ mit geprägt, nicht lediglich die Gerichtsverhandlung, sondern auch die Berichte darüber beeinflußt etc.

Einigen anerkennenden Stellungnahmen, die der 100minütigen Dokumentation bescheinigten, den Fall in eindrucksvoller Weise aufgerollt zu haben und Frau Ritzka genügend Rune und Zelt gelassen zu haben, die Geschichte der Vergewaltigung von ihrem Anfang an zu entwickeln (so Bärbel Schröder), mischten sich der Diskussion sehr schnell kritische Stimmen bei, die insbesondere dem Kommentar des Films vorhielten, zugunsten allgemeiner Einschätzungen die O-Ton-Erzählungen der Protagonisten allzu oft zu unterbrechen. Zwar sei der Inhalt des Kommentars nicht falsch, aber – so bemerkte vor allem Angela Haardt – die Wahrheit könne Frau Ritzka persönlich sicherlich besser formulieren. Die von Stoehr/Ilfrich gewählte Form, tellweise über laufende Statements hinwegzukommentieren, verrate ein mangelndes Vertrauen in die subjektive Ausdruckskraft der Protagonistin.

Kay Ilfrichs Entgegnung, durch den Kommentar habe man Ergänzendes bringen, auch den gesellschaftlichen Zusammenhang des Falles akzentuieren wollen, wollte nur ein Teil des Publikums akzeptieren. Den erläuternden Hinweis, Vera Ritzka habe teilweise so mühsam rekonstruieren müssen, was geschehen war, daß der Kommentar hier strukturierende und unterstützende Funktion habe übernehmen müssen, ohne aber ihre Erzählungen etwa zu verkürzen, nahmen einige Diskussionsteilnehmer auch zum Anlaß, ihre Kritik noch pointierter vorzutragen.

Nach A. Haardts Ansicht sage Frau Ritzka selbst alles, was zum Verständnis des Falls erforderlich sei; weder müsse man – da es sich doch um einen exemplarischen Fall handle – diesen noch politisch aufbereiten, noch solle man der Frau ihre Umständlichkeit nehmen – zumal erst diese Umständlichkeit ihrer eigenen Rekonstruktion einen Blick freigebe auf das, was ein solcher „Fall“ mit einer Frau anstelle. Von anderen Teilnehmern der Diskussion unterstützt wurde ihre Kritik am handwerklichen Verfahren, das die sich erinnernde Frau zumindest tendenziell erneut zum Objekt mache. So werde – wie andere Zuschauer bemängelten – die Möglichkeit unterbunden, eine Beziehung zu der Protagonistin aufzunehmen.

Massiven Widerspruch gegen solche Kritik erhoben nicht nur Stoehr/Ilfrich selbst. sondern auch große Teile des Publikums. Diese Gegenkritik, die sich bisweilen prononciert auf (nicht-mediale, ja: unmittelbare) Erfahrung im Umgang mit dem gesellschaftlichen Tabuthema ‚Vergewaltigung‘, auf Kenntnis der Opfer und auf eine direkte oder allgemeine Betroffenheit berief, attestierte im Gegenzug zur – wie man vermutete – Kritik der Medienprofis dem Kommentar und der Schnittregie, sie habe der Frau wie den Zuschauern eher manche mit dem Thema notwendigerweise verbundene Peinlichkeit erspart. Kommentare und Schnitte hätten dazu beigetragen, eine Distanz wiederherzustellen, die erforderlich sei, um. was geschildert werde, überhaupt zu ertragen.

Stoehr/Ilfrich wandten sich massiv gegen die Kritik, ihr Film behandle die Frau als Objekt. uÜberkommentierungen von Gesprächspassagen und Unvermitteltheit von Schnitten führten sie selbstkritisch auf ihre eigene Unerfahrenheit mit filmischem Handwerk zurück: Sie hätten einfach keine anderen Bilder gemacht, auf die sie Kommentare hätten legen können; ebenso seien sie zu ungenau gewesen in den Gesprächen mit Vera Ritzka, dadurch ausgeufert, dadurch in Schnittprobleme geraten… – Sie legten aber großen Wert auf die Feststellung, ihrer Protagonistin durch den Kommentar nichts weggenommen zu haben und auch im übrigen nichts weggelassen zu haben. Das Bestreben sei im Gegenteil gewesen, diese Frau zu Wort kommen zu lassen und die ihr widerfahrene Ungerechtigkeit zu brandmarken.

Die Debatte spitzte sich zu, als – vermittelt über kritische Stellungnahmen zur Vernachlässigung filmischer Mittel – die hinter dieser Vernachlässigung vermutete Haltung der Filmemacher thematisiert wurde.

Kay Ilfrich beantwortete einen Hinweis aus dem Publikum, die Bilder des Films hätten zu dessen Wirkung nichts beigetragen. eher sei das Gegenteil der Fall, mit der dezidierten Feststellung, für ihn stelle sich die Berechtigung des Films darüber ein, daß man ihn ansehen könne und dabei die Geschichte des Falles mitbekomme. Der Film diene vornehmlich als Diskussionsanlaß.

Gerade dadurch aber, wurde ihm entgegnet, stelle man die Frau in Dienst, man instrumentalisiere, indem man V. Ritzka „als Fall“ nehme und ihr gleichzeitig nicht zutraue, sich selbst zu vertreten.

Als Beispiel für die vermutete Haltung der Filmmacher wurde hier vor allem auf jene längere Passage des Films hingewiesen, in der die Kieler Notrufgruppe für vergewaltigte Frauen ausführlich mit einer Selbstdarstellung zu Wort kommt. Diese Passage erbringe für das Verständnis des exemplarischen Falls Ritzka/Lauenburg nichts, weise andererseits aber auf das Ziel einer lndienstnahme der Frau für nicht vermittelte Zwecke hin.

Generelleres leitete aus diesem Beispiel ein Gesprächsteilnehmer ab, der im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die Stoehrs/Ilfrichs Film seinen Zuschauern bereite. ihn überhaupt zuende anzusehen, dem Film reine Zielgruppenorientierung attestierte: Nur die, die sich für betroffen hielten, so sein Statement, folgten dem Film über die volle Länge; ein weniger motiviertes Publikum werde aufgrund der gravierenden filmischen Mängel eher eine ablehnende Haltung einnehmen.

Damit war das vermutlich entscheidende Dilemma der Diskussion über Stoehrs/ Ilfrichs Film allerdings freigelegt (ein Dilemma, das sich in das Protokoll hinein verlängert): Das gesellschaftliche Tabu ‚Vergewaltigung‘ amalgamiert alle Einschätzungen, mit denen argumentativ umzugehen noch möglich wäre, zu unversöhnlichen Standpunkten, mehr noch: zu unvermittelbaren „Haltungen“, die einander ausschließen, ohne sich aufeinander zu beziehen.

Nicht ohne Grund wirkt dieses Protokoll umständlich und überlang.

– Ende der Abschweifung.

Die Frage nach der Zielgruppe wurde für „dumm“ erklärt. Die Zielgruppe bestehe schlicht in ALLEN: Frauen, die von Vergewaltigung täglich bedroht und betroffen seien – Männern, die sich hier einer Auseinandersetzung nicht entziehen könnten: die müßten – ob sie wollten oder nicht – sich auseinandersetzen. Sei auch – wie eine Frau aus der Duisburger Notrufzentrale erklärte – zu konzedieren, daß diesem Film (wie auch anderen Filmen zum Thema ‚Vergewaltigung‘) die Vermittlung subjektiver Betroffenheit und Erfahrung der Frauen einerseits und der gesellschaftlich-allgemeinen Bedeutung andererseits nicht hinreichend gelungen sei, so berechtige dieser Umstand doch niemanden, dem Thema sich zu entziehen.

Zugespitzter antwortete eine andere Frau dem Beitrag eines Zuschauers, der seine Kritik an der Haltung der Filmemacher mit der Bemerkung abschloß, er habe sich regelrecht disziplinieren müssen, sich diesen Film zuende anzusehen: Wer bei so einem Thema ‚rausgehe, solle mal bei sich selbst einiges hinterfragen.

Eine weitere Diskussionsteilnehmerin unterstellte den Kritikern der filmischen Umsetzung schöngeistige Blindheit: Sie habe den Eindruck, jene, die in dieser Diskussion die filmische Leistung kritisierten, wollten den ’stinkenden Inhalt‘ nicht zur Kenntnis nehmen, ihnen scheine da das Glanzpapier zu fehlen.

Sowohl gegen diese Position wie auch gegen die zuvor häufig geäußerte Unterstellung einer instrumentalisierenden Haltung der Filmmacher gegenüber ihren Protagonisten stellten sich Dietrich Leder und Karl Saurer, deren Beiträge um eine klare Unterscheidung zwischen den offensichtlichen handwerklichen Mängeln des Films und der Haltung, der Anstrengung der Filmmacher bemüht waren.

Dietrich Leder hob hervor, daß es sich bei den Mängeln um handwerkliche Schnitzer handle, die Erstlingen unterlaufen, nicht etwa um Haltungsdefizite. Der Film sei Dokument der Anstrengung seiner Macher, sich dem Tabu ‚Vergewaltigung‘ konkret zu stellen, sich zu trauen, dies durchzuarbeiten und auch: sich zu trauen, den Fall ins Allgemeine zu wenden. Insofern stelle der Film geradezu eine Verpflichtung dar, nehme er doch andere Filmemacher, die vorgeblich bessere Arbeiten ablieferten, in die Pflicht: Wer stelle sich denn ~ diesem Thema.

Quinka Stoehr und Kay Ilfrich gingen gegen Ende der Diskussion noch einmal auf die handwerklichen Mängel ihres Films ein: Sie selbst sähen große Lücken, es sei aber immer noch besser, mit geringen Fertigkeiten den Film zuendezubringen als ihn gar nicht zu machen. Quinka Stoehr zeigte sich erstaunt darüber, daß einige Zuschauer Langeweile empfunden hätten; sie selbst, die sie über Jahre hinweg an diesem Film gearbeitet habe, mache das Produkt immer noch betroffen bis an die Grenze des Erträglichen. Wahrscheinlich liege dieser Wahrnehmungsunterschied aber darin begründet, daß ‚hier‘ Filme ganz anders gesehen und beurteilt würden.

Kay llfrich akzeptierte über weite Strecken die Kritik, soweit sie das Handwerkliche betraf: Sie wollten nicht die Naivität zum Programm erheben. Freilich wäre die Alternative gewesen, den Film gar nicht zu machen.

Den Schluß der Diskussion bildeten Schilderungen der Schwierigkeiten, den Film in Kiel uraufzuführen. Es sei zu teilweise heftigen Reaktionen gekommen, die vor allem darum bemüht gewesen seien, vom Thema ‚Vergewaltigung‘ weg und zu rechtlichen Fragen den Film betreffend hinzukommen.