Film

Die Grenze
von Tomasz Magiersky, Alexander Honory
DE 1986 | 26 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 10
05.11.1986

Diskussion
Podium: Alexander Honory
Moderation: Pepe Danquart
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

Pepe Danquart stellte zu Beginn beide Filme unter die Motti „Deutschlandbilder“, „Grenze“, „Menschen“.

Deutschlandbilder verkörperten beide Filme, explizit thematisch der eine („UNTERWEGS …“), implizit der andere. Um Grenze gehe es auch in Schadts Film, wie auch in „DIE GRENZE“ Menschen, obwohl sie nicht gezeigt würden, sehr präsent seien.

Danquart schlug vor, beide Filme nacheinander zu diskutieren.

A. Honory stellte zunächst kurz das Motiv dar, das ihn und seinen Co-Autoren Magiersky bei der Arbeit an dem Film geleitet habe: Kernstück des Films sei eben dieser rote Strich, der die Hannoveraner Passerelle (B-Ebene am Hauptbahnhof) in perverser Weise für bestimmte Menschengruppen unzugänglich mache. Die rigide Bild-Ton-Trennung, die dem Film eine hermetische Wirkung verleiht, stehe im Zusammenhang mit dem Nicht-Darstellen, Nicht-Zeigen der Menschen (Berber. also; Stadtstreicher, die sich hier bisher aufhielten), denn es gehe um die Grenze. Anhand der Berbergruppe solle die Problematik einer ganzen, ausgrenzenden Architektur und Stadtplanung, die in der Perversion des roten Strichs, der unauffällig den öffentlichen Raum reguliert, gezeigt werden. – Diese Architektur sei eine Architektur der Trennung.

Es gab wenige Fragen zu „DIE GRENZE“ – offenbar war Quinka Stoehrs Eindruck. der vorherrschende: Stellvertretend äußerte sie sich anerkennend über die Wirkung des Films, die fast physisch schien – der Film sei gelungen, sie sei erschlagen, kaum auszuhalten sei die bedrückende Macht dieser Grenze, dieser Architektur. Ein anderer Zuschauer schilderte seine Seherfahrung: Er habe den Eindruck gehabt, der Raum der Passerelle sei immer enger geworden, als drückten die Wände den Betrachter zusammen.

Im Unterschied zu diesem Film, dem man – so Pepe Danquart – seine intensive Vorbereitung ansehe (Honory gab ca. 3 Monate nur für die Kontaktaufnahme mit den Berbern an). erscheine „UNTERWEGS…“ als kaum vorbereitet. Ebenso im Unterschied zu „DIE GRENZE“, der ein dezidiertes Bild vermittle, gebe Thomas Schadts Film sehr viele Bilder, Deutschland-Bilder, nur nicht das von Schadt.

Schadt, der diesem Eindruck nicht unbedingt widersprechen wollte, wandte gegen Danquarts Statement ein, der Film habe eine ausführliche Vorgeschichte, stelle er doch die filmische Wiederaufnahme einer dreijährigen Arbeit an einer Photoserie zu gleichem Thema dar; so habe er einige Plätze, die er anfahren wurde, bereits vorher genau gekannt.

Sein Deutschlandbild habe sich erst durch den Film, durch seine Reise zu einem manifesten Gefühl verdichtet, von dem er nun – danach – ausgehe: Daß nämlich dies das Land sei, in dem er lebe – deshalb interessiere es ihn. Aus der Reise habe er eine gewisse Verhaltenssicherheit gewonnen.

Dietrich Leder äußerte Verhaltensunsicherheit: Er stecke in einem Zwiespalt hinsichtlich „UNTERWEGS …“ – er hasse den Film wegen dessen unlauterer Verfahrensweise, gleichzeitig enthielten einige einzelne Segmente, von einer sehr photographischen, sehr konzentrierten Kamera aufgespießt, die Macht des Faszinosums. Die Genauigkeit dieser Segmente wirke aber wie die aufgespiesster Schmetterlinge… – Einen Haß entwickle er gegen den spekulativen „Heimat“-Begriff, der ein Land, in dem man lebe, immerfort mit Possesivpronomina belegen müsse, um ein Bild zu gewinnen.

Schadt war klar, daß „Deutschland“ ein Reizwort darstelle; deshalb eben habe er schon zu Beginn des Films die Erwartungshaltung so gering als möglich setzen wollen. Ihm sei es nicht um die Erneuerung eines Bildes zu tun, solches Anliegen erschiene ihm auch als Anmaßung. Anbieten wolle er, aus subjektiver Neugier.

Trotz heruntergestuften Anspruchs war freilich deutlich, daß hier die Diskussion einen Schlüsselbegriff fand:

Pepe Danquart äußerte Unklarheit über das Ziel von Schadt anekdotenreicher Reise, die z.T. brillante, aber doch nicht repräsentative Ergebnisse ohne die strukturelle Anstrengung, über bloß Evidentes hinauszukommen wie lauter Aufhänger aneinanderreihe. – Unklar bleibe ihm, ob Schadt nun schöne Bilder oder ein Deutschland-Bild gesucht habe.

Schadt wollte das so nicht sehen. Lasse man sich demgegenüber nämlich auf Form und Rhytmus des Films ein, so verstehe man beim Ansehen, was er gesucht habe.

Kaum war Schadt aber dabei. das Reizwort wieder herabzuhängen, arbeitete es sich wieder hoch. Eine Zuschauerin warf dem Film vor, eine Pflichtübung in der Bestätigung von Klischees zu bieten: Schadt sei losgefahren, um sich diese Klischees zu bestätigen – habe er doch, wie er gesagt habe, zuvor die Plätze gekannt, an denen er drehen wollte.

Er habe aber das Gegenteil von Bestätigung gesucht, entgegnete Schadt, nämlich die Spannung. Gegen Klischees habe er damit angehen wollen, nach einer Möglichkeit gesucht, an ihnen vorbeizukommen.

Honory wandte sich an Schadt mit der Frage, wo Deutschland für ihn liege. Ihm – Honory – habe sich der Film als eine Art Panorama europaweiter Beliebigkeit dargestellt.

Schadt, der als sein Auswahlkriterium für den Schnitt seine subjektive Sicherheit angegeben hatte, wußte nicht, wie er gegen solch distinkte begriffliche Setzungen noch argumentieren sollte – was im Film zu sehen sei, sei ihm eben als bemerkenswert erschienen – mehr nicht.

Den Bemerkenswert allerdings konnte Karl Saurer trotz Nachvollzugs der Bewegungen des subjektiven Interesses des Filmmachers nicht ermitteln. Der Film vereinige auf seinen Streifzügen sehr unterschiedliche Menschen und Ansprüche. Oft hätte er – Saurer – von einzelnen gern mehr erfahren, gerade dann aber sei Schadt abgereist. Er habe keine Ruhe gefunden.

Schadt nannte gerade dies das entscheidende Formprinzip: nicht bei einer Person zu bleiben, nicht an einem Ort, sondern aus dem Ortseinheitsgebot sich zu befreien und aus der Freiheit heraus zu agieren – an mehr als einem Ort, an mehr als einer Person. Dabei seien entscheidend gewesen die Kontakte auf den ersten Blick, für die er beständig sich offengehalten habe. Dies Vorgehen habe funktioniert, wenn er – worauf er gewartet habe – Leuten begegnet sei, deren Offenheit der seinen korrespondiert habe oder es habe eben nicht funktioniert.

Man könne aber nicht, wandte Dietrich Leder ein, unverkrampft „unverkrampft“ sagen, weil ein Krampf in der Formulierung bereits enthalten sei.

Leder zog einen Vergleich zu einer Reihe von TV-Produktionen, die im letzten Jahr erschienen seien und nach demselben Prinzip verführen; Von Geschichte zu Geschichte werde gefahren, angetippt, wieder abgereist, gesehen, weggesehen – nach dem dramaturgischen Prinzip der Schnitzeljagd oder der Aleatorik, weil es eine genuine Dramaturgie der Reise schließlieh nicht gebe.

Den Bezug zu den in „REICHSAUTOBAHN“ von Bitomsky zitierten Autobahn-Filmen, die der Faszination des Reisens, Fahrens und Rasens durch die Landschaft unterworfen seien, hielt Leder für unübersehbar, so daß fast der Eindruck naheliegen könne, Schadts Deutschland sei das Autobahnnetz.

Karl Saurer sah diese filmische Tendenz als ein bemerkenswertes Faktum: Daß eine ganze Generation deutscher Filmemacher in Bewegung geraten sei, wobei es deren Verfahren allerdings weniger um die Auseinandersetzung mit Deutschland als ums Fahren gehe.

Bärbel Sehröder sah als eine Art Resümee folgende Unterscheidung: Honory/ Nagierskys „DIE GRENZE“ stelle das Resultat intensiver Vorrecherche dar, biete daher eine klare, positionale Antwort, die „UNTERWEGS…“ aufgrund seiner Prozeßhaftigkeit nicht biete.

Als Betrachterin habe sie bei einer klaren Position mehr Auseinandersetzungsmöglichkeiten als in dem Film von· Schadt, dessen Prozeßhaftigkeit in dem fertigen Produkt nicht mehr nachvollziehbar sei.

Honorys Schlußwort wandte dagegen ein, sein Film wolle keine Antworten geben und gebe sie auch nicht. „DIE GRENZE“ zeige lediglich auf.

Thomas Schadt verzichtete ganz auf ein Schlußwort.