Film

Inmitten von Deutschland
von Christoph Hübner, Gabriele Voss
DE 1982 | 106 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 8
07.11.1984

Diskussion
Podium: Christoph Hübner, Gabriele Voss
Moderation: Edith Schmidt, Michael Kwella
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

INMITTEN VON DEUTSCHLAND wurde in einer zweiten, überarbeiteten und gekürzten Version in Duisburg zur Aufführung gebracht.

Edith Schmidts einleitende Frage zielte denn auch auf die Motivation der anwesenden Autoren, G. Voss und Ch. Hübner, aus der heraus der Film noch einmal überarbeitet worden sei.

Die erste Fassung sei 1982 unter einigem Zeitdruck montiert worden und formuliere, wie Ch. Hübner darstellte, nicht deutlich genug, was die Autoren eigentlich intendiert hatten.

Alle Filme des Prosper-Ebel-Zyklus‘, zu dem INMITTEN VON DEUTSCHLAND den Abschlußfilm bildet, seien in sehr engen Diskussionszusammenhängen mit den Ebelern hergestellt worden; z.T. seien diese Filme auch Ergebnisse der Diskussionen, wie G. Voss schilderte: Viele der Aufnahmen, die ‚offizielle Ereignisse‘ zeigten, waren auf Vorschlag der Ebeler entstanden. Die Filmmacher hätten dagegen Einzelportraits von Ebelern gesetzt, so daß dem Gesamtzyklus eine dialogische Struktur aufgedrückt worden sei.

Mit INMITTEN … habe man nun – am Schluß des Zyklus‘ – den Versuch eines Bildes des ganzen Ortes (Ebel) liefern wollen.

Dem Einwurf, es handele sich hierbei jedoch um ein eher äußerliches Bild, in dem die Menschen, welche am Ort leben, seltsam entfernt wirkten – gerade so, als sei eine gläserne Trennscheibe zwischen den dargestellten Menschen und dem Zuschauer errichtet worden – konnte Ch. Hübner nur zustimmen: Entgegen den landläufigen Erwartungen an dokumentarisches Arbeiten verbleibe der Film in der Distanz. Er sei auch von den 5 Filmen des Zyklus‘ der bei weitem distanzierteste, die übrigen 4 Filme blieben näher an den Personen, die dargestellt worden seien. Dies sei Ergebnis der bewußt veränderten Arbeitsweise: Seien die 4 ersten Filme in Bottrop-Ebel geschnitten worden, so habe man bei diesem das Gefühl gehabt, eine größere – auch räumliche – Distanz nehmen zu müssen. Die Begründung hierfür brachte Ch. Hübner auf die Formel, daß die Wahrheit des Ortes nur aus der Distanz kenntlich werde. Der Film unternehme den Versuch, nicht einzelnen Subjekten näherzukommen, sondern einen ganzen Ort wie ein Subjekt, wie einen Menschen zu behandeln, dessen Körperteile die Straßen, Plätze und die einzelnen Menschen seien.

Die Diskussion, die – einer strukturellen Anlage des Films folgend – nach und nach allgemeinere Aspekte dokumentarischer Filmarbeit einbezog, ohne den Film als Gegenstand zu verlassen, wandte sich zunächst der Arbeitsweise der Filmemacher zu, deren Konsequenzen in den allgemein zurückhaltenden bis rücksichtnehmenden Bildern des Ortes Ebel unübersehbar waren.

Die konkrete Frage nach einem Zusammenbang zwischen der Länge der Bekanntschaft zu den Ebelern und einem größeren Maß an Rücksichtnahem, ja Vorsicht ihnen gegenüber beantwortetet Voss und Hübner mit einigen Bemerkungen das prekäre Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre betreffend.

Sei man zu Beginn der Arbeit mit dokumentaristischer Frische an den Gegenstand herangetreten, so habe doch bereits die Ausstrahlung des ersten Films den Autoren die Härte der Konsequenzen jener Form von TV-Öffentlichkeit verdeutlicht. Das anonyme Fernsehen wirke wie ehedem der Pranger; Szenen, die aus der Perspektive „authentischen Dokumentarismus“ wertvolles Material darstellten, hatten für die Personen, welche in ihnen vorkamen, den Charakter einer öffentlichen Schande, sobald sie TV-öffentlich geworden waren.

Im Ort habe es entsprechende Auseinandersetzungen gegeben, die auch zu größerer Vorsicht geführt hätten – Vorsicht seitens der Ebeler, aber auch seitens der Filmmacher, insbesondere hinsichtlich der Darstellung „privater Dinge“.

Nur Vorsicht aber, so wandte ein Diskussionsteilnehmer ein, könne doch die einzige Konsequenz nicht sein; gebe man in diesen Fragen nach; so könne man auf das Filmemachen gänzlich verzichten. Der Diskutant konkretisierte diesen Einwand auf den Film, indem er dessen Spannungslosigkeit monierte, die einen mangelnden gestalterischen Zugriff offenbare.

Zu eben dieser Spannunglosigkeit wollte aber G. Voss stehen: Es geschehe am Ort nichts Spannendes: Geschichte, Bewußtsein – jene ehedem konstitutiven Kategorien politischen Dokumentarismus‘ – kämen nicht vor. Auch der Kampf der vorgestellten Bürgerinitiative verschwinde im Bruchstückhaften, sobald er in historischer Perspektive betrachtet würde. Zu der Tatsache, daß es genau so sei, wie es sei, müsse der Dokumentarist stehen.

Der Einwand wurde jedoch aufrechterhalten: In dem Hin und Her von Entscheidungen, was – unter Berücksichtigung verantwortungsbewußter Rücksichtnahme – noch zu zeigen eventuell anginge, sei das eigentlich Spannende im Fragmentarischen, wie es eben an den Volkstrauertag-Sequenzen hätte aufblitzen können, ganz offenbar untergegangen.

Hübner antwortete hierauf mit einem Resumee der insgesamt mehr als dreijährigen Arbeit, in welchem er darstellte, daß das Wissen der Filmemacher über den Ort nicht größer und gewisser, sondern geringer geworden sei. Der Gegenstand sei unter den Händen zerflossen, es habe keinen klaren Gesichtspunkt mehr gegeben. Auf dieser Basis aber schildere INMITTEN… mehr die Wahrheit des Ortes als die früheren Filme, die mehr zu wissen vorgaben. Man sei mit diesem Gesamtprojekt bis an einen Endpunkt von Nähe gegangen – einschließlich des Postulats, Bevölkerung am filmischen Prozeß zu beteiligen. Dies führe eben zu jenem zusammengesetzten Bild, welches der Film gebe, getragen von der Forderung, es müsse ein für alle Beteiligte akzeptables Bild erstellt werden.

Eben dies aber, so bemerkte ein weiterer Diskutant, stelle ein Kernproblem der Arbeitsweise dar: Die Rücksichtnahme der Filmmacher steigere zwar womöglich das Einvernehmen unter ‚allen Beteiligten‘, nicht jedoch die Kenntlichkeit des Ortes. Das fast ausschließliche Auftreten vorwiegend männlicher Personen über 45 und mit deutscher Staatsangehörigkeit bei gleichzeitigem Fehlen aller anderen Elemente nähre die Vermutung, eben diese anderen, die fehlen, könnten die Übereinkunft stören. Der Film charakterisiere nicht die Brüche im kommunalen Einvernehmen, er sei vielmehr das Selbstbildnis der fünfzigjährigen Deutschen.

Frau Schmid problematisierte an diesen Gesamtkomplex anschließend ein grundsätzlich moralisches Problem aller Dokumentarfilme, die mit Menschen zu tun haben, indem sie eine Bemerkung Cocteaus zitierte, Takt sei: Zu wissen, wie weit man zu weit gehen dürfe. Von der Menge an Filmen, die diese Maxime nicht beherzigten, steche INMITTEN… wohltuend ab.

Hübner zog daran anknüpfend hinsichtlich der dokumentarischen Arbeit die radikale Konsequenz, ein Film wie dieser benötige die Veröffentlichung nicht. Er habe nichts gegen eine noch stärkere Antipopularität des Dokumentarfilms einzuwenden. Ähnlich der Maxime eines Ethnologen, der seine Arbeiten erst posthum veröffentlicht sehen wollte, könne er sich für den Dokumentarfilm eine Art Schubladenarbeit vorstellen. Wahrer Dokumentarfilm könne nicht auf Publikum, sondern nur auf den Menschen, um den es gehe, konzipiert sein.

Hübners radikale Konsequenz bot als eine Art Schlußthese Gegenstand einer Selbstverständnisdiskussion, in der die prekäre Situation des Dokumentaristen explizit wurde. Ein Teilnehmer faßte dies in der Alternativformulierung zusammen: Bin ich derjenige, der von anderen ein Bild macht? – Oder lasse ich Selbstbildnisse machen?

Grierson zitierend widersprach Frau Schmid Hübners Haltung, verzichte diese doch auf die Möglichkeit, Menschen zu zeigen, wie andere Menschen leben.

An Hübners Diktum anknüpfend, der Veröffentlichungszwang wie der Produktzwang hinderten den Dokumentarfilm aber an der Entfaltung seiner eigentlichen Möglichkeiten, die im Entdecken, im Prozeßhaften einer Forscherarbeit lägen, welche keiner Veröffentlichung bedürfe, benannte David Wittenberg als grundsätzliches Problem das Öffentlichkeitsproblem des Dokumentarfilms vor allem Dokumentarischen, daß nämlich weder in der Gesellschaft noch in ihren Medien Demokratie und Öffentlichkeit vorkämen. Zum einen hätten die o.g. Dargestellten nie Öffentlichkeit kennengelernt, zum anderen sei das Fernsehen keine eigentliche Öffentlichkeit.

 Michael Springer, Edith Schmitt, Werner Ružička v.l. © Duisburger Filmwoche
Michael Springer, Edith Schmitt, Werner Ružička v.l. © Duisburger Filmwoche