Film

Bitterer Zucker und …denn ihrer ist das Himmelreich
von Gordian Troeller, Marie-Claude Deffarge

Screening
Duisburger Filmwoche 8
11.11.1984

Diskussion
Podium: Gordian Troeller, Frau Becker Ross
Moderation: Angela Haardt, Michael Springer
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

Angela Haardt eröffnete das Gespräch mit der programmatischen Aufforderung, anband beider gezeigter Filme über das Verhältnis des Dokumentarfilms, dessen Existenzschwund Thema der gesamten Filmwoche war, zur Fernsehöffentlichkeit zu diskutieren. Herrn Troeller bat sie, aus seiner langen Arbeitserfahrung im Fernsehen heraus Geschichte in die Debatte hereinzuholen.

Eine Spanne von 16 Jahren überblickend zog Gordian Troeller ein zwiespältiges Resumee: 1958 als Ausländer nach Deutschland gekommen, habe man zunächst schreiben können, was immer man wolle. Kritische Reportagen seien aufgrund des damaligen Demokratiebedürfnisses sehr gefragt gewesen; heute hingegen könne man Artikel im damaligen Stil nicht mehr veröffentlichen. Es sei wohl ein aus jener 7eit resultierender Bonus, der es ihnen – G. Troeller und M.-C. Deffarge – ermögliche, auch heute noch kritische Filme zu machen. Doch auch sie würden mittlerweile aus den ‚besseren‘ Sendezeiten verdrängt. Auf die Nachfrage, ob durch die Erfahrung bundesdeutscher Fernsehgeschichte seine politische und ästhetische Einstellung sich geändert habe, bemerkte Troeller zunächst, bezüglich der kritischen Einstellung habe es keine Veränderungen gegeben. Wohl aber habe er, was seine überwiegende Themenstellung betreffe, hinzugelernt. Den Prozeß der Unterentwicklung habe er erst nach und nach erkannt. In den Anfängen habe er ein Fortschrittsbild vertreten, welches zwar kritisch in Bezug auf Herrschaft, unkritisch jedoch in seiner ethnozentristischen Anlage gewesen sei.

Auf Peter Christfan Halls Einwand, es sei vielleicht doch ein Widerspruch, wenn Troeller einerseits darauf hinweise, früher habe man kritischer sein können, heute hingegen sei er eigentlich noch kritischer, antwortete Troeller, die Kritik habe nach und nach ihn selbst mit einbezogen. Er, als kritischer Europäer, habe nicht mehr sich selbst herausgehalten.

Angela Haardts Nachfrage nach der filmischen Erfahrung und ihrem Niederschlag in den Filmen Troellers/Deffarges leitete den umfänglichsten Teil des Filmgesprächs ein. Ihre Vermutung, Troeller zeige kein Vertrauen zu Bildern, wurde von diesem voll bestätigt: Seiner Ansicht nach könne man Bilder nur sprechen lassen in Bereichen, welche den Zuschauern bekannt seien. In anderen Bereichen spielten die Umfeldinformationen herein, die – was die 3. Welt angehe – vom „Stern“ bis zur „Bild-Zeitung“ reichten.

Man könne die 3. Welt nicht nur über Bilder vermitteln; hätte man einen Film über das Persien des Schah über die Bilder wirken lassen, wäre beim Zuschauer – bei denen, die man erreichen wolle zumal – unweigerlich der Soraya-Eindruck durchgeschlagen. Man müsse einkalkulieren, daß der Großteil der westdeutschen Fernsehzuschauer die 3. Welt nur aus den gängigen Publikationen kenne. Umgekehrt verhalte es sich im übrigen ähnlich: in der 3. Welt kenne man Europa ausschließlich aus dem amerikanischen Spielfilm.

Wohl sei ihm bewußt, daß in ihren Filmen zuviel geredet werde, jedoch sei auch viel zu sagen, wo die Desinformation so allgemein sei. Auf mehrere Einwände, diese Art von Diskurs benötige den Dokumentarfilm recht eigentlich nicht mehr, warum also er Filme mache, wo es ihm doch um den Text gehe, gab Troeller die Frage zurück, über welche Bilder man denn z.B. ein Phänomen wie „Kindheit“ definieren wolle. Er gebe zu, in einer Klemme sich zu befinden, beanspruche daher auch nicht für sich, Dokumentarfilme zu machen, eher gehe seine Arbeit in die Richtung dessen, was die Amerikaner „Leitartikelphotographie“ nennen.

Es ging in der Diskussion um Grundsätzliches: Werner Ruzicka taxierte das Gesehene als das wohl Radikalste, was in Duisburg 1984 gezeigt worden sei, gleichzeitig aber stelle ihm sich die Frage, ob dies noch Film sei, trieben doch beide Filme die Skepsis gegenüber den Bildern so weit, daß sie Text würden.

Ein anderer Diskussionsteilnehmer bemängelte, die Komplexität der Themen und Erfahrungen sei nicht glaubhaft entwickelt, da die Bilder emotional nicht nahebrächten, worum es dem Text gehe. Der journalistische Stil sei überdies fragwürdig.

Warum aber, fragte Troeller zurück, glaube das Auditorium Texten, Artikeln und Büchern. Jemand aus der Runde möge ihm bitte erklären, was der Unterschied sei zwischen Dokumentarfilm und Feature. Niemand habe ihm das bisher erklären können. Man wisse sich vor Augen halten, worüber man rede: Er habe Sendezeiten im Fernsehen – solle er da Schwarzfilm zeigen? Man wäre doch „beknackt“, nutzte man die Möglichkeiten nicht, die man doch habe.

Christa Donner hielt das Mißtrauen in die Bilder, welches diese Diskussion beherrschte, für ein Ergebnis struktureller Bedingtheften des Journalismus: der Zeitungsjournalismus habe stärker die Möglichkeit zur Subjektivität, welche im Fernsehen durch dessen anstaltsmäßige Organisation verhindert werde.

Um Mißverständnisse auszuräumen, die aus der Einzelpräsentation der beiden Filme resultierten, gaben Troeller und Becker-Ross überdies zu bedenken, daß beide Filme Teile von Serien seien, daher auch thematisch einen weiter gespannten Rahmen abdeckten als dies in der Diskussion bisher gewürdigt wurde. So bemerkte Troeller auf den Einwand eines Diskussionsteilnehmers, er hätte sich doch, einer genaueren Wahrnehmung zum Nutzen, beschränken können, eine Einstellung statt fünfen nehmen können, das Thema sei der Zusammenbruch des Weltwirtschaftswunders Brasilien gewesen, nicht der Hunger im Nordosten. Der Hunger habe dazu gedient, seine Hintergründe zu erklären. Frau Becker-Ross ergänzte, daß es um eine Thematik gehe und um eine Zielgruppe. „BITTERER ZUCKER“ sei der Abschlußfilm der Serie IM NAMEN DES FORTSCHRITTS. Es sollte gezeigt werden, daß europäische Entwicklungskonzeptionen in der 3. Welt nichts nutzten, und zwar sollte es den Europäern gezeigt werden; die Menschen hier sollten sich darüber bewußt werden, was sie mit Elend zu tun haben.

Peter Heller, der zu Bedenken gab, daß man nicht im entwicklungspolitischen Seminar sitze, wollte Genaueres über Troellers Arbeitsweise, die er im wesentlichen für eine von der Ökonomie bestimmte hielt, wissen. Es interessierte ihn, wie Troellers immense Bilderberge zustandekämen. Auch hielt er Angela Haardts Eingangsfrage nicht für beantwortet.

Er arbeite stets mit kleiner Kamera und in langen Aufenthalten, erwiderte Troeller, nie mit Professionellen, immer mit Interessierten. Ihm sei die Aussage wichtiger als das Bild. Immer sei die Kamera dabei, er habe jedoch nie ein Stativ, nie Zusatzlicht benutzt, da dies die normale Atmosphäre verdecke. Auch werde nie etwas gestellt oder ein Thema mit den Interviewpartnern vorbesprochen. Die Erfahrung lehre, daß dies zumeist auch nicht funktioniere.

Inzwischen, erklärte Troeller nicht ohne Ironie, gehe er nur noch in die Länder, die er kenne, er fahre immer mal wieder hin und sehe nach, was sich verändert habe.

Auf die Frage, warum einem schriftlichen Produkt unter Umständen mehr zu trauen sei als einem Film, in welchem in dieser Weise gesprochen werde, ging abschließend nochmals Klaus Wildenhahn ein: Am Beispiel BITTERER ZUCKER erläuterte er, wie der Kommentar, die Erzählung über Hungerfolgen, die Bilder der Menschen ergänze. Dies schaffe Vertrauen. In …DENN IHRER IST… hingegen werde zu einem Bild (ein Kind, das mit einer Schere spielt) ein Kommentar gegeben, den das Bild nicht trage. Der Kommentar schaffe hier einen Üerbau, auf den das beobachtende Bild nicht verweise. Zusätzlich gebe es keine Trennung zwischen Beschreibung und Schlußfolgerung (wie im Artikel), sondern beides laufe gleichzeitig.

Troeller hielt alle Fernsehversuche, Bild und Text einander anzunähern, für bisher gescheitert. Er gab jedoch zu Bedenken, daß man Filme für das Fernsehen gesehen habe, nicht Kinofilme. Der Kommentar gehe im Fernsehen weit weniger „auf die Nerven“ als in einer Situation vor der großen Kinoleinwand..

Er verstehe durchaus alle gebrachten Einwände, wisse auch, daß er vieles falsch mache, halte es aber für wichtiger, solche Filme machen zu können. Den Unterschied Zwischen Dokumentarfilm und Feature habe ihm jedoch auch diese Diskussion nicht deutlicher werden lassen. Er werde warten.