Protokoll
Nach zögerndem und zurückhaltendem Beifall, der auszudrücken schien, daß die Zuschauer am Ende des Films noch nicht mit ihm fertig waren, wurde die Diskussion mit der Frage eines Zuschauers eröffnet, was sich Biedermann bei dem Film gedacht habe. Ein Zuschauer warf daraufhin ein, daß der Film tatsächlich „Des Lebens ganze Fülle“ enthalte, und zwar insofern, als es in ihm Zeitspannen der Langeweile und Zeitspannen der gesteigerten Aufmerksamkeit gäbe. Ein anderer Zuschauer gab an, er habe den Film im wesentlichen als einen Film über aus. gestorbene oder selten gewordene Handwerke verstanden. Daraufhin erläuterte Biedermann die zwei grundlegenden Ebenen des Films: Die erste ist die einfache Präsentierung des Materials, so wie er es gefunden hat; die zweite Ebene bildet der Umgang mit diesem Material, also die Montage, welche die unmittelbare Wirkung des Materials verändert. Seinen Umgang mit dem Material sieht Biedermann so weitgehend als experimentell an, daß er sich ein wenig darüber gewundert hat, daß die Auswahlkommission den Film für die Dokumentarfilmwoche angenommen hat. –
Der Film ist ein Kompilationsfilm, der fast ausschließlich auf ausrangierten Lehrfilmen aus den dreißiger und vierziger Jahren beruht, An solchen Lehrfilmen scheinen leider keinerlei Filmarchive Interesse zu haben, obgleich sie oft historisch außerordentlich interessante Kulturdokumente darstellen. – Man stellte fest, daß die Aufnahme des Films im Publikum, der Umgang der Zuschauer mit dem Film während der Vorführung, sich deutlich unterschied von dem Verhalten während anderer Filmvorführungen. Die Zuschauer sprachen relativ viel miteinander, es wurde dem Film gewissermaßen nicht streng gefolgt, sondern man schweifte beim Zuschauen mit seinen Gedanken assoziativ weit ab. Eine solche Offenheit und Unvorherbestimmtheit der Rezeption nannte Biedermann als von ihm intendiert. Die Zwischenschnitte und Kontrastschnitte stießen allerdings auch auf Widerspruch. Sie hätten die langen Einstellungen bzw. die längeren Szenen, in denen handwerkliche Techniken detailliert anzuschauen gewesen waren, unnötig und störend unterbrochen.
Darauf nannte Biedermann die Prinzipien seiner Montage. Er hat das Material zunächst thematisch sortiert und aneinandergefügt, so daß auf die Frühstücksvorbereitung Material folgt, das Tagesarbeiten zeigt, auf das dann das Mittagessen folgt etc. Anschließend hat er sich weiteres Filmmaterial auf Einstellungen von besonderem Schauwert angesehen. Diese schönen Bilder hat er dann aleatorisch, ohne weiter Rücksicht auf‘ ihren „Inhalt“ zu nehmen, in bestimmte Nahtstellen des Films einmontiert. Auf diese. Weise war für ihn selbst das Endergebnis nicht vorauszusehen gewesen. Ebenso zufällig ist die Musik dem Film unterlegt worden. Wenn sie mal zu den Bildern direkt zu passen scheint, während sie sich an anderer Stelle von den Bildern entfernt, dann ist das auch eine Leistung des Zufalls. Ihre wesentliche Funktion ist es, den Film, der nur aus Stummfilmen zusammenmontiert wurde, erträglich zu machen, Aus diesem Grund sei die Musik auch nicht aus der Zeit genommen worden, in der die Filme entstanden sind. Sie sollte im Kontrast zu den gezeigten Arbeitsvorgängen stehen und sich nicht durch Vehemenz in den Vordergrund drängen. Den vom übrigen Film abstechenden „Epilog“ bezeichnete Biedermann als sein „privates Ausrufezeichen“, In ihm wiederholt sich komprimiert der vorangegangene Film. Schließlich läßt sich das allerletzte Bild des Films dann als die Zusammenfassung des Epilogs betrachten. Der Protokollant hatte den Eindruck, daß die wenigen Zuschauer, die sich zu der Diskussion eingefunden hatten, sich nicht durch eine lange Diskussion ihre Faszination an dem Film rauben lassen wollten.