Film

Bandonion
von Klaus Wildenhahn
DE 1981 | 52 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 5
1981

Diskussion
Podium: Klaus Wildenhahn, Rainer Komers, Günter Westerhoff
Moderation: Werner Ružička

Protokoll

Vorab: Es war spät an diesem Abend, und das Gespräch zog sich bis weit nach Mitternacht hin. Die Auseinandersetzungen um die Vorführung des Films über die Auguststraße steckten noch in den Köpfen der Anwesenden. Angesichts dieser Bedingungen kann sich der Protokollant nicht die Bemerkung verkneifen, daß das Gespräch über die Filme von Klaus Wildenhahn und Günter Westerhoff bzw. den Film von Rainer Komers, der zwar bereits am Nachmittag vorgeführt, aber durch die Sondervorführung erst am Abend diskutiert werden konnte, zu den interessantesten und ernsthaftesten der Filmwoche gehörte. Die Diskussion erfaßte höchst unterschiedliche Aspekte, berührte Fragen der Filmproduktion, stieg von konkreten Bestimmungen der spezifischen Ästhetik der drei unterschiedlichen Wildenhahn-Filme zu allgemeinen Einschätzungen der Dokumentarfilmästhetik auf, in denen sich ausformulierte Verständniserklärungen der Funktion von Kunst niederschlugen. Die verschlungenen Pfade des nächtlichen Gespräches nachträglich zu ordnen anders wäre dieses Protokoll nicht denkbar, heißt, aus einer unberührten Naturlandschaft einen deutschen Ziergarten zu machen. Dabei geht einiges, vermutlich gar Entscheidendes, flöten.

Zunächst: Klaus Wildenhahn erzählte von der Entstehungsgeschichte der Filme. Nach ihrem ersten Film über Günter Westerhoff, den er über seine Gedichte kennenlernte, kam ihm die Idee, einen weiteren Film über die Geschichte des Bandonions zu drehen. Aus der zunächst „schlichten Idee“ von Günter Westerhoff sei dann das Abenteuer erwachsen, das in den beiden Filmen nun zu besichtigen sei. Auf Nachfrage von Sebastian Feldmann beschrieb Wildenhahn den Unterschied von Bandonion und Akkordeon. Letzters habe das Bandonion abgelöst, da es rationeller herzustellen sei; die in Argentinien benutzten Instrumente stammten aus deutscher Fabrikation, da es dort keine Bandonion-Fabrik gegeben hätte. Daß Günter Westerhoff im dritten Film nur noch am Rande zu sehen sei, war nicht geplant, ergab sich aus der Themenverlagerung; als Filmautor trat er nicht mehr so in Erscheinung wie als Bandonionspieler. Wildenhahn betonte mehrfach auf unterschiedliche Zwischenfragen, daß die Struktur der beiden „Musik-Filme“ sich aus ihrer Suche ergeben hätte. „Wir glaubten, eine Perspektive gefunden zu haben, wir sind ihr nachgegangen‘

Die Drehzeit des ersten Films, der im Fernsehen in einer Eineinhalb-Stunden-Fassung zu sehen war, betrug zwei Monate, die der anderen beiden Filme drei Wochen.

Dann zur Einschätzung der Filme: Mehrfach wurde auf den Unterschied zwischen dem ersten und den letzten beiden Filmen abgehoben, der allerdings jeweils anders bewertet wurde. Johannes Flütsch fragte zweimal nach diesem Unterschied. „Es ist doch dazwischen etwas passiert“. Er habe das Gefühl, daß Wildenhahn das, was er bei der Person Günter Westerhoff gespürt habe, im ersten Film nicht aussprechen konnte, erst in den anderen beiden Filmen dann für sich selber entdeckt und damit auch in den Film integriert habe.

Klaus Wildenhahn konnte/wollte hierauf nicht antworten, er beschrieb vielmehr in seiner Entgegnung den Gedankengang, der die Filme begleitete, zu ihnen anregte: Im ersten Film hatte Westerhoff für ein eigenes Gedicht, das zunächst Werner Worschech vertont hatte, eine eigene Melodie komponiert und auf dem Bandonion vorgespielt. Die Frage, die sie dann anleitete nachzuforschen, lautete: Wann und wie entsteht ein solches Lied? Wie verbinden sich musikalische und gesellschaftliche Geschichte? Weshalb reduzierte sich das Repertoire der Bandonion-Spieler auf das Potpourri gängiger Unterhaltungskunst?

Für Fosco Dubini resultierte der Unterschied zwischen den Filmen aus der unterschiedlichen Produktionsweise, der Differenz zwischen Portrait und Recherche. Er fand es hervorragend, daß in den letzten beiden Filmen die Filmemacher den Spuren in jeder Richtung nachgingen. Kurt Johnen variierte das von Dubini Gesagte, indem er die Begriffe „interesse und produktorientiert“ verwendete, was die Diskussion auch nicht weiter brachte, denn Klaus Wildenhahn konnte mit diesen Begriffen wie auch andere Teilnehmer nichts anfangen, für ihn müsse sich das Interesse im Produkt erweisen. Frank Baier fand die letzten beiden Filme „sehr gut“, „den ersten kannte ich schon“.

Christoph Hübner war beim ersten Film stets gespannt, wenn Westerhoff sprach, an anderen Stellen standen für ihn zu sehr zwei Subjekte (Wildenhahn und Westerhoff) nebeneinander.

Werner Ružička bemängelte die bildliche Verdoppelung, das nochmalige Vorlesen eines Westerhoff-Gedichts im ersten Film. „Dein Vorlesen klingt wie eine Nachbesserung.“

Donatello Dubini fand es nicht gut, daß im dritten Film der Ausgangspunkt der ersten beiden Filme – die Arbeiterkultur – so aus dem Blick geraten sei.

Darüberhinaus: Als Ružička bereits recht früh Wildenhahn die Frage stellte, ob die Ietzten beiden Filme denn nun dokumentarisch, synthetisch oder gar symphonisch seien, warf ein Teilnehmer dazwischen: „Das Match ist eröffnet“. Doch diese Debatte versickerte recht bald, nadem Wildenhahn diese Filme als durchaus synthetische bezeichnete. Im Zusammenhang einer zunächst inhaltlichen Frage wurde hierauf aber später noch einmal Bezug genommen. Angelika Finger fand in den Filmen einen bestimmten resignativen Blick auf die „wertvollen letzten Scherben der wertvollen Arbeiterkultur“, der allerdings das Heutige gar nicht wahrzunehmen imstande ist. Widerstand in Kulturformen, die würden sich heute in den Musikschuppen und Garagen des Ruhrgebiets finden lassen, in denen die Punks ihre Wut über das miese Leben herausbrüllten. Corinna Belz thematisierte den Widerspruch von Kunst und Politik (Bandonion und Hausbesetzung) direkt, sie wünschte sich, daß Westcrhoff auf dem Fest in der Auguststraße gespielt hätte. Klaus Kreimeier entgegnete hierauf direkt, „daß die Dinge ( Kultur und Politik) auseinandergerissen sind“, könne nicht durch individuelle Leistung eines einzelnen wieder zusammengefügt werden. Für ihn sei in der argentinischen Musik, die der Exilant in Paris spielte, durchaus Politik und Kultur miteinander verflochten, spiegele die Musik „direkter“ das individuelle Erleben der gesellschaftlichen Lage wider.

Angelika Finger griff noch einmal ihren Einwand auf, sie fände die Haltung falsch, die dabei stehen bleibt, das Bewahrenswerte zu erhalten, anstatt sich darüber hinaus zu bemühen, sich auch Neues anzueignen. Klaus Wildenhahn entgegnete, daß er das Weiterkommen im immer genauer werdenden Betrachten der Vergangenheit für möglich erachte. Werner Ružička und Johannes Flütsch erwiderten auf Angelika Finger in gleicher Weise. Während für Flütsch der Bandonionspieler, der sich selber ein Instrument baut, bereits durchaus Freak sei, durchaus mit Vertretern der alternativen Kunst vergleichbar sei, wies Ružička darauf hin, daß die Arbeiterkultur noch lebe, daß von sterbender Kultur keine Rede sein könne. Die Sänger der Arbeiter-Gesangsvereine würden sich nach ihren Proben manchesmal wie letzte Punks aufführen. Die Cutterin Petra Arcizewski und der Kameramann Rainer Komers wurden zuletzt nach ihren Erfahrungen mit Klaus Wlldenhahn befragt. Petra Arcizewski berichtete, daß das Arbeiten mit Wildenhahn in der Beteiligung am Produktionsprozeß, mit der Integration in die Diskussion über den Film quer zu ihrer „normalen“ Arbeit im Sender stünde, bei der sie sonst „nur zu schneiden hat“. Für Rainer Komers war es eine völlig neue Erfahrung, mit einem relativ hohen Etat arbeiten zu können. Er sagte sich: „Du kannst jetzt mal richtig den Auslöser betätigen“.

Zuallerletzt: Ružička brachte mit Verve die Diskutanten dazu, auch noch trotz später Stunde zum Film von Komers Stellung zu beziehen. Jutta Uhl lobte die „eigenständige Bildersprache“, Johannes Flütsch äußerte „uneingeschränktes Lob“, um anschließend doch noch leicht zu tadeln, daß der Kommentar zu schlecht gesprochen sei.

Andere Teilnehmer priesen vor allem die genauen Arbeitsbeobachtungen. Komers erklärte, daß an dem Film ein Freund mitgearbeitet habe, der für die Duisburger Uni in Zusammenarbeit mit dem DGB eine Analyse der Arbeitsbedingungen im Duisburger Hafen erarbeitet habe.

Nur Fosco Duini fand den Film in seinem Verzicht auf Auseinandersetzung, in seiner Stilisierung von Atmosphäre schlecht. Er erklärte ihn für typisch für das diesjährige Duisburger Programm, in dem die Idylle, die heimelige Atmosphäre, an allen Ecken und stellen aufgefunden worden wäre.

 Rainer Komers, Günter Westerhoff, Klaus Wildenhahn, Werner Ružička v.l. © Kinemathek im Ruhrgebiet, Foto: Paul Hofmann
Rainer Komers, Günter Westerhoff, Klaus Wildenhahn, Werner Ružička v.l. © Kinemathek im Ruhrgebiet, Foto: Paul Hofmann