Film

Der Mensch an sich wird nicht in Betracht gezogen
von Bertram Verhaag, Claus Strigel, Walter Harrich
DE 1980 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 4
20.09.1980

Diskussion
Podium: Bertram Verhaag, Claus Strigel, Walter Harrich, Thomas Giefer, Georg Ossenbach
Moderation: Jutta Uhl
Protokoll: Uli Veith

Protokoll

Schwerpunkte der Diskussion:
1. Fragen zu Inhalt und Wirkung der Filme
2. Einschränkungen durch das Fernsehen als Produzent
3. Themenfindung
4. Weitere Auswertung der Filme

zu 1.:
„Der Mensch an sich – wird nicht in Betracht gezogen” ist Ergebnis einer einjährigen Beobachtung: 10 Leute haben vor über 40 Jahren in einer Münchner Waldsiedlung auf gemietetem Boden Häuser gebaut. Jetzt will die 82-jährige Besitzerin der Grundstücke unter Umgehung des damals eingeräumten Vorkaufsrechts der Mieter dort luxuriöse Bungalows bauen und verkaufen. Obwohl formaljuristisch nicht im Recht, hoffen die alten Leute auf Gerechtigkeit, wollen sich nicht aus ihrer gewachsenen Umgebung zwangsräumen lassen.
Was „Parteilichkeit der Filmemacher” sei, habe der Film sehr deutlich gemacht und zwar nicht auf formale Weise (wie es bei „Die Leute von Lich-Steinstrass” gewesen sei), sondern durch emotionale Beteiligung und Entwicklung. Daher mache der Film, obwohl er „Verlierer” zeige, dennoch Mut.
Selbstverständlich war für die Filmemacher die Absprache des fertigen Films mit den Gefilmten. Der Film zeigt diese sehr nah auch in Situationen, wo sie „außer Kontrolle waren” (z. B. nach dem Urteil zur Zwangsräumung), wo sie hilflos, wütend, verzweifelt reagierten. Die Gefilmten waren nach Vorbesichtigungen des Films mit der Veröffentlichung einverstanden, andererseits überrascht und erstaunt über ihre „kämpferischen Töne”. Als Bruch empfunden wurde der Kommentar, zumal er teilweise Aussagen der Betroffenen wiederholte. Die Filmemacher selbst räumten ein, er sei „zu nüchtern”, sie hätten sich dazu vom Redakteur „überreden” lassen. Wichtig schien ihnen allerdings, mittels des Kommentars die komplizierte Sachlage anfangs direkt klarzustellen um Mißverständnisse beim Zuschauer zu vermeiden.
Unklarheit herrschte bei einigen Zuschauern über die Frage des Vorkaufsrechts, da einige Bewohner ja hätten kaufen wollen und können. Diesbezüglich wurde auf ein Gerichtsurteil hingewiesen, das Zwangsräumungen bei Gefahr für die Gesundheit der Betroffenen verbiete. Dazu wurde geklärt, daß die Besitzerin eine Baugesellschaft eingeschaltet hatte, die den Grund und die von ihr erbauten Bungalows für rd. 1. Million verkaufen wollte. Zur Frage der Zwangsräumung meinten die Filmemacher, die z. T. schon sehr alten Leute seien dem Druck nicht gewachsen. Sie gingen lieber freiwillig, weil sie, von der ständig drohenden Räumung bedroht, dort nicht weiter leben könnten.
über die politische Wirkung des Films zeigten sich die Filmemacher enttäuscht. Sie hatten sehr hohe Erwartungen in den Film gesetzt und geglaubt, durch eine Mobilisierung der Öffentlichkeit eine Veränderung der Situation mit herbeiführen zu können. Diese Erwartung habe sich überhaupt nicht erfüllt.
Aus Zeitgründen kam es zu keiner inhaltlich- detaillierten Diskussion des zweiten Films, einige Aspekte kamen jedoch im Rahmen der anderen Diskussionsschwerpunkte zur Geltung.

zu 2.:
Beide Filme sind von Rundfunkanstalten (BR und WDR) produziert worden. Daraus ergab sich die Frage, ob speziell durch das 45-Minuten-Schema Einschränkungen auf Seiten der Filmemacher notwendig waren bzw. ob Kompromisse in Hinblick auf die Gestaltung aus der Zeitbegrenzung erfolgten.
Harrich/Strigel/Verhaag meinten, der stärkste Zwang seien das Geld und das Drehverhältnis gewesen. Sie hatten für ihren Film nur 50 000 Mark zur Verfügung weil er zusätzlich zum normalen Etat ins Programm gekommen wäre und mehr Geld nicht vorhanden gewesen sei. Sie hätten sich darauf eingelassen, weil sie es für wichtig hielten, den Filmjetzt zu machen. Unter anderen Voraussetzungen hätten sie natürlich mehr drehen können und einige Aspekte vielleicht intensiver darstellen können.
Themas Giefer äußerte sein Unbehagen darüber, daß viele Filmer sich für ihre Fernsehproduktionen quasi entschuldigten mit Hinweis auf die daraus resultierenden Beschränkungen. Er richte sich bei Produktionen fürs Fernsehen eben darauf ein. Minimale Bedingungen müßten natürlich erfüllt sein. Sein Film in der Reihe „Schauplatz” habe gute Bedingungen gehabt, weil in dieser Reihe eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Autoren und Redakteur gemeinsame Planung, Diskussion von Rahschnittfassungen und Endprodukt ermögliche. Ein weiteres Problem – seiner Meinung nach bedeutender als das 45-Minuten-Schema – sei dort ebenfalls reduziert, daß nämlich der Filmemacher der Redaktion in der Regel allein gegen überstände. Zudem sei seine Erfahrung daß die 45-Minuten-Begrenzung auch produktiv sein könne, weil sie zu sehr genauer Reflexion und Straffung in bezug auf das Thema zwinge.

zu 3.:
Strigel/Harrich und Verhaag hatten zuvor einen Film gemacht über das Ehepaar Fischer, das sie schon länger kannten. Während dieser Arbeit traf das Kündigungsschreiben der Hausbesitzerin ein. Dieser Entwicklung wollten sie sich nicht entziehen. Sie hätten also die Leute, mit denen sie filmen wollten, bereits gekannt und seien dann an das Fernsehen herangetreten. Im Augenblick arbeiteten sie weiter an diesem Thema. Aus ihrem Interesse an langfristiger Beobachtung hinaus wollten sie weiter verfolgen und dokumentieren, was aus den Bewohnern der Waldsiedlung würde und wie sich die „Umsiedlung” auf sie auswirke.
Thomas Giefer hatte zuvor schon einen Film auf dem Dorf gedreht (Ein Sonntag auf dem Lande). Dabei sei er erst auf die dortigen Probleme und Widersprüche gestoßen und habe dann zwei Jahre lang den Film geplant. Als er dann auf den Bauer Mies traf, habe sich sein Projekt durch die Zusammenarbeit mit diesem verhindert. Der Film sei also nicht „Beweis” einer Theorie, sondern Ergebnis der Zusammenarbeit. Dabei hielt Giefer es allerdings für sehr wichtig, sich selbst auch in die Auseinandersetzung, die er m1t dem Bauern führte, einzubringen, also nicht nur zu beobachten oder so zu tun als seien die Filmemacher gar nicht da. Als Beispiel dafür, wie die Dreharbeiten selbst in die Realität eingreifen, galt ihm die Szene mit dem Landwirtschaftsberater in seinem Film. Schon Monate vor dem Dreh war ein Berater beim Bauern Mies gewesen und hatte dem Hof die Förderungswürdigkeit abgesprochen. Um diese Ablehnung im Film zu dokumentieren, sollte der Berater noch einmal bestellt werden. Es kam aber nicht der Berater, sondern dessen Chef und das Gespräch‘ lief dann auch völlig anders. Plötzlich ergaben sich doch noch Möglichkeiten für eine Förderung des Hofes.

zu 4.:
In Zusammenhang mit der Frage der Wirkung der Filme stellte sich die Frage nach ihrer Verbreitung. Zuschauer waren der Meinung, die Filme müßten zu entleihen sein, um siez. B. in der Jugendfilmarbeit einsetzen, diskutieren und verbreiten zu können.
Dabei zeigte sich, daß es bis heute sehr schwierig ist, Produktionen der Fernsehanstalten aus den Archiven herauszubekommen.
Beim Bayrischen Rundfunk schließt die Verwertungsgesellschaft „telepool” die Verträge mit den Autoren ab. Diese Verträge lassen den Filmemachern selbst keinerlei Rechte der Auswertung ihrer Produkte.
Beim Westdeutschen Rundfunk ist es ähnlich. Dort ist es aber, so Georg Ossenbach, für die Reihe Schauplatz bisher immer gelungen, den Autoren bei Auftragsproduktionen auch die Rechte für eine weitere nichtkommerzielle Auswertung ihrer Filme zu sichern. Einige Filme seien auch bereits in Verleihen zu bekommen. Für Eigenproduktionen treffe dies noch nicht zu hier sei eine wichtige Aufgabe für die eben gegründete AG Dokumentarfilm.
Um das gleiche Problem, nämlich die urheberrechtliche Sicherung der Autorenrechte bemüht sich auch die AG Spielfilm.