Film

„Blau und Weiss – wie lieb ich Dich!“
von Lutz Mahlerwein, Jürgen Bertram
DE 1979 | 43 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 3
1979

Diskussion
Protokoll: Klaus Kreimeier

Protokoll

Mahlerwein äußert sich zunächst zu den allgemeinen Bedingungen: sein Film ist eine Fernsehproduktion; er und sein Ko-Autor sind Festangestellte einer TV-Anstalt und als solche bereits verdächtig, „Konsumware“ zu liefern. Als fester Mitarbeiter kann man für ein Feature in der Regel eine Woche recherchieren, drei Wochen drehen und zwei Wochen schneiden — Ausnahmen werden selten genehmigt.

Mahlerwein zur massiven Kritik, die sein Film hervorgerufen hat: hier gab es in erster Linie eine „konzertierte Aktion“ von NRW-Regionalpresse, Gewerkschaften und politischen Stellen in Gelsenkirchen. Einigkeit bestand bei CDU SPD und DGB, daß sein Film krass „einseitig“ sei, daß das Ruhrgebiet „schlecht dargestellt“ werde, daß „zu wenig Grünflächen“ gezeigt würden und daß gar keine „guten Bürger“ (Oberbürgermeister und andere Stützen der Gesellschaft) zu Wort gekommen seien. Vor allem die SPD tat sich darin hervor, die im Film gezeigten Schalke-Anhänger als eine „primitive“ Menschen-Spezies zu beschimpfen; in einem Fall ist sogar der Begriff „Untermenschen“ gefallen. Solch rüde Anwürfe haben bei Mahlerweins Vorgesetzten zumindest Verunsicherung erzeugt eine geplante Wiederholung der Sendung wurde einstweilen abgesetzt Ein Zuschauer bestätigt am Beispiel sozialdemokratischer Reaktionen auf den Film „Eintracht Borbeck“ diesen besonderen Charakter der Kultur- und Medienpolitik der SPD. Die Einwände der Zuschauer konzentrieren sich zunächst auf den Kommentar: durch ihn wird der ganze Film „kaputtgemacht “ — und nicht nur die Zuschauer, auch die Menschen, die im Film zu Wort kommen, werden durch dieses Mittel desavouiert.

Mahlerwein verweist darauf, daß im Fernsehen ein Kommentar unumgänglich sei. Er hat die Funktion, auch die nicht-informierten Teile des Publikums ins Bild zu setzen. Die Alternative „Stimmung oder Information“ lehnt Mahlerwein für sich als Dokumentaristen ab. Auf die Information (in diesem Fall darüber, was die jugendlichen Schalke-Fans diskutieren) kann nicht verzichtet werden.

Am Beispiel des Kommentars entwickelt sich eine Diskussion über Normen und Zwänge der Arbeit für das Fernsehen Vom Podium wird darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine „typische Fernseharbeit“ handle, um ein Produkt täglicher Routine und täglicher von den „Sachzwängen“ aufdiktierter Zensur. Es muß darüber diskutiert werden, ob gegen diese vom Produktionsmechanismus gesetzten Schranken etwas auszurichten ist und was gegen sie durchgekämpft werden kann. Das Fernsehen ist kein vollkommen starres, in sich unveränderliches System; die Innovationen des „unabhängigen Films“ haben in den Sendegattungen des Fernsehens bereits Spuren hinterlassen. Auch Mahlerweins Film weise entsprechende „Brechungen“ auf.

Kritisch wird weiterhin eingewandt, nicht nur der Kommentar-Text sei eine kaum verdauliche „Anhäufung von Informationen“ zu beliebigen Bildern und von „genormten Sätzen“ geprägt auch der Kameramann habe kein „feeling“ für seine Sujets, mit seinen unmotivierten Zooms lasse er dem Zuschauer keine Zeit, sich mit den Bildern zu beschäftigen und sich auf die gezeigten Menschen einzulassen. Dem wird entgegnet, daß es dem Film zumindest an einer Stelle gelungen sei, die Norm zu durchbrechen: in jener Szene in der sich die jugendlichen Schalke-Anhänger ausführlich und ungeschminkt äußern, in der sich die Autoren auf die „Betroffenen“ einlassen, ohne sich besserwisserisch einzumischen. „Wie ist der Norm zu entkommen?“ unter dieser Frage steht der letzte Teil der Diskussion. Es wird hingewiesen auf den täglichen Kampf, den täglichen Verschleiß innerhalb des Produktionsapparats Fernsehen. Aber auch die „freien“ Pro. duzenten stehen unter Druck; die Ausbeutung ist sogar größer (z. B. weiden Recherche-Zeiten vom Auftraggeber nicht bezahlt), hinzu kommt der Zwang zur Selbstausbeutung in einem vom gewerkschaftlichen Standpunkt her unhaltbaren Ausmaß. Es wird dafür plädiert, die „Freien“ und die „Festen“ nicht in zwei Lager auseinanderzudividieren beide Gruppen müssen auch die spezifischen Probleme der jeweils anderen sehen und wo es möglich ist, gemeinsam für bessere Bedingungen kämpfen.

Mahlerwein verweist zum Schluß noch einmal auf das Raster-System innerhalb einer Fernsehanstalt, in der jede Hauptabteilung quasi ihre eigene Ästhetik entwickelt und kanonisch festschreibt r Der ,Kommentar-Zwang“ z. B. ergebe sich aus den Eigengesetzlichkeiten der Hauptabteilung Zeitgeschehen im NDR deren Verständnis von Politik-Vermittlung unlöslich an die verbale Ebene gebunden sei. Auf der Ebene der Redaktionen stellt sich dies so dar, daß die Redakteure primär literarisch ausgebildet sind: Filmemachen ist für sie ein „mühseliges Geschäft“, Schreiben hingegen eine Sache, die leicht von der Hand geht und Spaß macht.