Film

Faust in der Tasche
von Max Willutzki
DE 1978 | 106 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 2
1978

Diskussion

Protokoll

Das Folgende ist eine Wiedergabe der Diskussion durch die Köln-Essener Film-Kinogruppe „Zelluloid”, die neben der Herausgabe einer gleichnamigen Zeitschrift auch regelmäßig Filmvorführungen für Jugendliche organisiert.
Einige ihrer Mitglieder nahmen an der Diskussion des Filmes teil und faßten die vorgebrachte Kritik, die sich im wesentlichen auf vier Punkte konzentrierte, zusammen:

Herstellung und Vertrieb

Laut Willutzki lag die Intention bei der vergleichsweise „reichen” Ausstattung des Filmes darin, bei den durch die amerikanischen Actionfilme geprägten Sehgewohnheiten der jugendlichen Kinogänger anzuknüpfen, um ihnen ihr Thema näherzubringen. Deshalb wurde die Handlung auf zahlreiche Spannungsmomente zugespitzt, Rockmusik der deutschen Gruppe „Satin Whale” als ständig vibrierender Hintergrund gewählt und versucht, komödiantisch-gaghaft zu inszenieren. Die für eine solche Form notwendigen Gelder kamen aus vielen Töpfen, sie stammen aus Rückflüssen des vorherigen Filmes „Vera Romeyke. .”,aus dem ZDF und nicht zuletzt aus der Projektförderung der Filmförderungsanstalt, wobei laut Willutzki hier sein Einsatz bei der Kinobetreuung von „Vera Romeyke … „ belohnt werden sollte. Auf die kritischen Fragen, weshalb der Film denn im „Filmverlag der Autoren” vertrieben und ob er dort nicht im großen Programm untergehen würde, antwortete der Regisseur, er glaube, daß der Film allein in einem großen Verleih die Chance besitze, sein Publikum zu erreichen. Der Filmverlag mit vielen Erstaufführern als Vertragspartner biete diese Möglichkeit, darüberhinaus würde er den Film wieder persönlich betreuen, Werbung und Einsatz seien abgesprochen.

Bruder Lukas

An der Darstellung des Bruder Lukas entwickelte Dietrich Schubert seine grundlegende Kritik am Film. Er verwies dabei auf das reale Leben des Benediktiners Lukas Rügenberg aus Köln, der dort mit einem Selbsthilfeprojekt für Jugendliche Vorbild (Willutzki: ein Vorbild) für die Filmfigur Lukas gewesen sei und dessen Leben und Kampf sich mächtig von dem unterscheide, was uns nun im Film geboten würde. Der Film-Lukas sei in seiner Ausdauer, in seiner Fähigkeit, überall zur rechten Zeit konfliktlösend aufzutreten oder einfach in seinem Vorwärtsdrang zu heroisch angelegt. Der tatsächliche Alltag würde Menschen wie Lukas viel schneller erschöpfen, entmutigen. Ihre Kraft bestünde gerade darin, daß sie aus ihren eigenen Feh lern lernen, daß sie nach harten Niederschlägen wiederaufstehen oder daß sie nach Enttäuschungen wieder klein anfangen können. Davon sei nichts in der Filmfigur zu finden. Diese würde durch ihre heroische Darstellung übermächtig, würde sich von den Zuschauern ablösen, hätte nichts mehr mit den Zuschauern gemeinsam. Der Film würde zum üblichen Heldenepos. Willutzki antwortete mit der Feststellung, daß dem erwähnten Benediktiner der Film recht wohl gefallen habe und daß dieser auch nichts an der Beschreibung seiner „Praxis” auszusetzen habe. Schubert wiederholte die Analyse der Wirkung des heroischen Charakters auf die Zuschauer, die nicht durch die Einverständniserklärung des Dargestellten entkräftet würde.

Buntes Leben

Besonders die Darstellung der arbeitslosen Helden selber stieß auf Kritik. Klaus Goncz bemängelte, daß gerade von der ausweglosen Lage der Jugendlichen nichts rüberkomme. Auch die Arbeit in der Selbsthilfegruppe bliebe in der oberflächlichen Beschreibung stecken. Der spannungsreiche Schluß beschriebe eine Möglichkeit der Konfliktlösung, die eher durch ihre filmische Konzeptionierung als durch ihre Realitätsnähe besteche. Der Drive der Handlung, die permanente Reizsteigerung lasse das Deprimierende an der Situation der Arbeitslosigkeit verschwinden. Eine Zuschauerin verwies auf die theatralische Zuspitzung des Konfliktes unter den Jugendlichen und bemängelte die Schwarz-Weiß-Malerei in der Charakterisierung von Wolle (als Guter) und Archie (als Böser). Sie fügte hinzu, daß gerade die Szene, die diese Aufteilung in Gut und Böse aufheben solle -das Gespräch zwischen Archie und Lukas -, zum pathetischen Schlüsseldialog gerinne, der dem Zuschauer signalisiere. Achtung! Wichtiger Inhalt. 

Kino als Discothek

Harun Farocki kritisierte die Bauernfängerei, mit der Willutzki an die Jugendlichen herankommen wolle. Das dauernde Wummern der Rockmusik erinnere ihn an die Discothek, wo den Jugendlichen das Geld aus der Tasche gezogen würde. Warum dann eigentlich noch Filme drehen. Eine Discothek direkt aufziehen, wäre einfacher und ehrlicher. Bei einem solchen Film noch von wichtigem Inhalt zu sprechen, wäre Hohn. Farocki lehnte nach diesem Statement jede weitere Teilnahme an der Diskussion ab. Die anderen Teilnehmer tadelten das Verhalten von Farocki, teilten aber seine Einschätzung der filmischen Form. Für sie bedeutete das Einlassen auf standardisierte Formen bereits den totalen Verlust der inhaltlichen Identität. An Beispielen zeigten Vera Noll und Grete Blissenbach die Möglichkeiten auf, Kino für Jugendliche mit Filmen zu machen, die eben nicht der herrschenden ästhetischen Norm entsprechen. Max Willutzki schlug vor, in diesem Kino (Zelluloid im Essener Jugendzentrum) seinen Film vorzuführen und zu diskutieren.