Wir müssen über Geld reden! Kuratorische Arbeit ist kein Hobby, und von kulturellem Kapital lässt sich keine Miete zahlen. Menschen, die Programme recherchieren und zusammenstellen, die Filme auswählen, werten und vermitteln, schaffen die Bedingung für Filmkultur: Sie sorgen dafür, dass Filme ihr Publikum finden. Ihre Arbeit und Expertise prägen das Profil von Festivals und Kinos, sie werden aber oft schlecht (oder gar nicht) bezahlt. Warum ist das so? Was muss geschehen, um das zu ändern? Sven von Reden spricht mit Johannes Franzen, Jenny Krüger und Katharina Schröder über Erfahrungen und Gründe, Solidarität und Perspektiven.
— in Kooperation mit der dfi – Dokumentarfilminitiativeim Filmbüro NW und dem Netzwerk Filmkultur NRW
Protokoll
„Wir müssen über Geld sprechen“ – so hatte die Filmwoche die Diskussionsveranstaltung am Freitagmorgen im Vorfeld angekündigt und in Kooperation mit der dfi – Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW und dem Netzwerk Filmkultur organisiert. Alexander Scholz erklärt vorab, warum es diesmal vor allem um die Arbeitsbedingungen (freier) Filmkurator:innen gehen wird. Filmwoche und Kooperationspartner seien sich bewusst, dass dies nur ein Ausschnitt aus der Festivalarbeit sei, das Kuratieren aber oft in andere Bereiche überginge. Ein weiterer Faktor seien die ab 1.1.2026 für NRW geltenden Honoraruntergrenzen für Künstler:innen als Fördervoraussetzung beim Land NRW, die zwar einen Fortschritt darstellen, für Kurator:innen aber nur bedingt gelten. Michelle Koch (dfi) schließt sich an und erläutert die empirische Grundlage der Diskussion, für die 68 zumeist freie Filmkurator:innen, mehrheitlich aus NRW, im Vorfeld an einer Umfrage zu ihren Honoraren und Arbeitsbedingungen anonym Auskunft erteilt hätten.
Moderator Sven von Reden stellt seine Gäste vor und will zunächst klären, was der Begriff „Kurator:in“ im Kontext des Films überhaupt bedeute und ob sich die Anwesenden damit identifizieren? Katharina Schröder stellt er als Teil des Leitungsteams des blicke-Filmfestival des Ruhrgebiets vor „das glaube ich nächste Woche startet?“. Sie bremst direkt und klärt auf, dass es aufgrund des Wegfalls einer großen Förderung in diesem Jahr nur eine sehr reduzierte Festivalversion geben werde. Auch das ist Realität in der Filmfestivallandschaft. Sie werde oft von Leuten gefragt, was sie so beruflich mache und es sei tatsächlich schwer, Außenstehenden das zu vermitteln. Erst wenn es um Organisation oder Kulturmanagement gehe, wäre klar, dass sei ja ein „richtiger“ Job. Krüger sieht sich nicht als Kuratorin, sondern als Kulturarbeiterin. Franzen – Literatur- und Kulturwissenschaftler an der Uni Mannheim und Autor von „Wut und Wertung: Warum wir über Geschmack streiten“ – ist auf dem Podium für sprachliche Feinheiten und Begrifflichkeiten zuständig. Für ihn ist der Begriff aus der Bildenden Kunst „rübergeschwappt“, vielleicht auch, um Film(kuratorische Arbeit) als Hochkultur zu etablieren. Etymologisch betrachtet käme Kuratieren auch von „pflegen“, was Schröder und Krüger gut gefällt und schon den Bogen zu prekären Arbeitsbeziehungen hätte schlagen können.
Stattdessen hängt sich die Diskussion zunächst und zwischendurch immer mal wieder an der Definition von Geschmack auf. Geht es beim Kuratieren nur um eine subjektive Auswahl? Ist Geschmack immer hierarchisch und sind Kurator:innen Gatekeeper in Machtpositionen? Oder bringen sie ihre Expertise, unheimlich viele Filme gesehen zu haben, mit ein und somit einen professionell geschulten Geschmack? Petra Schmitz fragt, ob es nicht besser sei zu sagen, Kurator:innen fällen Werturteile und vermitteln mit ihrer Auswahl Relevanz und Qualität in Form und Inhalt, um vom subjektiven Wort Geschmack wegzukommen, auch um die Tätigkeit und Bedeutung gegenüber Förderern besser zu übersetzen? Scholz ergänzt, dass die Auswahlkommission der Filmwoche sich vorab auf bestimmte Kategorien einige und die eingereichten Filme dann sichtet. Schröder präzisiert, dass Kurator:innen nicht nur Filme gucken. Sie überlegen sich Konzepte, recherchieren, stellen Anträge. Krüger fügt hinzu, die Expertise bilde sich auch in der unbezahlten Freizeit, wenn man andere Festivals besuche, netzwerke und politische Gremienarbeit betreibe. Was tatsächlich zum Arbeitsfeld von Kurator:innen gehöre unterscheide sich aber auch von Aufführungskontext und Größe eines Festivals. Bei der Berlinale überlappen sich die Arbeitsbereiche nicht wie bei kleineren Festivals.
Handfester wird es, als Krüger den Befund der Umfrage vorstellt: Die Ergebnisse zeugen wenig überraschend von prekären Bedingungen. 50 Prozent der Teilnehmenden gaben an, weniger als 20 Euro pro Stunde zu verdienen, zwei Drittel erzielten in einem Jahr nicht mehr als 10.000 Euro Einnahmen mit ihrer Arbeit. Die Hälfte berichtete, selten oder nie Honorarverträge zu erhalten, die Mehrheit übt andere Jobs in oder außerhalb der Branche aus. Außerdem: Je kuratorischer die Arbeit, desto schlechter ist sie bezahlt. Die Entlohnung für kuratorische Arbeit reicht so meist weder dazu aus, Rücklagen zu bilden, noch überhaupt davon zu leben. Dabei seien die Teilnehmenden extrem gut gebildet (80 % haben einen Master-Abschluss, ein Diplom oder einen Doktortitel), nur 10 Prozent sind unter 30 Jahren alt, was das Nachwuchsproblem offenbart: „Die nachfolgenden Generationen sind nicht bereit für halb umsonst zu arbeiten“, berichtet Krüger und fügt den Zahlen noch einige Zitate aus den Umfragen hinzu („Wenn ich mir ausrechne, wieviel ich pro Stunde verdiene, muss ich morgen aufhören zu arbeiten“) und schließt konsterniert „In den letzten Jahren wurde viel über Honorare und Arbeitsbedingungen gesprochen, ich hatte ehrlich gehofft, dass sich da die Lage verbessert hat, was nicht der Fall ist“. Die meisten Kurator:innen sind also sehr gut ausgebildet – und arbeiten unter Mindestlohn. In Anlehnung an Tarifverträge im öffentlichen Dienst müssten Kurator:innen 55 Euro / Stunde in Rechnung stellen.
Von Reden findet die Ergebnisse „schockierend, aber erwartbar“ und gibt gleichzeitig zu, ein schlechtes Gewissen zu bekommen, würde er „fürs Filmegucken 55 Euro in Rechnung stellen“. Er gibt den Advocatus Diaboli: „Vielleicht wäre es ja eine Lösung, weniger Programm zu machen?“. Schröder widerspricht: „Ich hätte da keine Skrupel. Ich gucke ja nicht einfach Filme, als würde ich mich mit Freunden im Kino verabreden. Wir ziehen uns da hunderte Filme rein, machen uns Notizen und Gedanken“. Sie schlägt stattdessen vor, die Förderstrukturen zu ändern, um weniger Zeit für Bürokratie und Anträge aufwenden zu müssen. Krüger wendet ein, wer weniger Programm mache bekäme auch weniger Geld.
Scholz ergänzt, dass sich die festgelegten Mindesthonorare für Künstler:innen im Kulturgesetzbuch auch an der Publikumsgröße bemessen: „Diese Finanzierungslogik ist übrigens nicht auf den Experimentalfilm ausgelegt.“
Franzen findet es wichtig, grundsätzlicher darüber nachzudenken, warum die „Professionalität im Zwielicht“ steht: Wo ist das Geld fürs Kuratieren? Kultur gelte als frivol, als etwas das man sich gesellschaftlich und ökonomisch nicht leisten könne, für das man kein Steuergeld ausgeben dürfe. Kommerzielle Kunst (Stichwort Hollywood) trage sich ja auch selbst – so ein Argument. Es wird immer zuerst bei der Kultur gekürzt und ästhetische Konflikte seien auch immer Ressourcenkonflikte. Hinzu komme das Spannungsverhältnis von Demokratisierung (in den Sozialen Medien ist jede:r ein:e Kurator:in) und Exkludierung: wenn Kurator:innen entscheiden, was relevant und wichtig sei, wirke das auf manche Menschen vielleicht elitär.
Von Reden gibt zu bedenken, dass Filmkultur selten städtisch und somit nicht kommunal abgesichert ist. In Köln gibt es viele städtische Theater und Museen, aber kein kommunales Kino. Er fragt, ob es Ansätze der Solidarisierung gäbe und warum Kurator:innen sich nicht auflehnten, wenn zum Beispiel Kinosaalmieten angehoben (und bezahlt) und Techniker mehr Honorar erhalten würden. Krüger und Schröder kontern, es herrsche eine große Solidarität in der Szene. Kurator:innen wüssten ja, dass auch die Festivals schlicht nicht das Geld hätten, was ihnen zustünde. Wenn alle in einem Boot sitzen, will niemand einen „Arbeitskampf anzetteln“, erklärt Krüger. Schröder schlägt vor, das einfach mal durchzuziehen: realistische Förderanträge stellen, mit fairen Honoraren für alle. „Das müssten dann aber alle machen und akzeptieren, dass es sicher schief geht“. Krüger ergänzt, natürlich müsse man sich mehr organisieren und Lobbyarbeit betreiben. Aber auch das sei letztlich wieder unbezahlte Arbeit, die man von prekär Beschäftigten nicht verlangen kann, die andere Brotjobs haben. Von Reden hofft, dass es internationale Vorbilder oder Best Practice-Beispiele gebe? Schröder winkt ab, da höre sie auch nur von Kürzungen in der Kultur. Duisburg sei ihrer Meinung nach aber ein positives Beispiel, da die Leitung des Festivals 2023 mit Festanstellung gesichert werden konnte. Scholz sieht das als Privileg, schiebt aber nach „Mit 2 ½ festen Stellen. Der Rest wird von Freien geleistet und in Projektzyklen beantragt“. Krüger stimmt zu und ergänzt, dass selbst die prekär bezahlten Festivaljobs meist nicht sicher seien und Finanzierungs- und Planungsicherheit durch späte Entscheidungen seitens der Förderer auch immer knapp feststünden.
Die Lage ist also prekär und faire Arbeitsbedingungen über die Bezahlung hinaus (Verträge, Wertschätzung, Planbarkeit, Umgang) sind bis hierhin noch gar nicht thematisiert worden. Matthias Dell bringt dies unter dem Veranstaltungs-Untertitel „Unbehagen in der Kultur“ zur Sprache und spielt auf das Filmfestival Cologne an, bei dem im vergangenen Jahr Mitarbeitende öffentlich Vorwürfe gegen die Leiterin erhoben und von einem „Klima der Angst“ berichtet hatten. Ob das ein Einzelfall sei, fragt er ans Podium. Krüger gibt zu, das sei ein blinder Fleck in der Empirie, sie gehe aber nicht von einem Einzelfall aus.
Mit Parisa Najafi Tonekaboni, ehemals Vorsitzende des Duisburger Kulturausschusses für Bündnis 90 die Grünen, „outet“ sich eine Kommunalpolitikerin. Sie fragt: „Wo soll denn das Geld herkommen? Hier in Duisburg gab es jahrelang eine Haushaltssperre. Wir hätten gerne all die tollen Projekte gefördert. Aber der Topf war einfach zu klein“. Ein Mann im Publikum, der sich als dem Filmhaus Bielefeld zugehörig ausweist, bemängelt die Kommunikation mit Förderern: „Ich wünsche mir mehr Gespräche auf Augenhöhe, kein Zückerli!“
Franzen findet diese Stimmen aus der Politik interessant, gibt aber noch zu bedenken, dass auch Kultur die „Pathologien und Probleme des Spätkapitalismus nicht lösen kann“, wir alle das aber im Hinterkopf behalten müssten. Auch hinter Künstler:innen und Kulturschaffenden stünden schließlich Existenzen. Am Ende sind sich – ebenfalls wenig überraschend in diesem Kontext – alle einig: Kurator:innen sind prekär bezahlt, ihre Arbeit wird außerhalb der Filmbubble vielleicht eher als Bevormundung denn als Bereicherung empfunden, dabei ist ihre Expertise und das durch Erfahrung geschulte Werturteil unerlässlich für Filmkultur und Filmbildung, die politische und gesellschaftliche Relevanz besitzt. Woher das nötige Geld dafür kommen soll, weiß niemand. Darüber offen zu sprechen ist aber immerhin ein Anfang.