Film

Sie saß im Glashaus und warf mit Steinen
von Nadja Seelich, Bernd Neuburger
AT 1992 | 86 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
13.11.1993

Diskussion
Podium: Nadja Seelich, Bernd Neuburger
Moderation: Didi Danquart
Protokoll: Annette Bitsch

Protokoll

Nicht nur die vorgängige Preisverleihung und das anstehende Filmwochenfest, in das man sich, friedfertig weinschlürfend, hineinschaukelte, entschärfte für dieses mal die Gefahrenzone Diskussion. Auch der Film selbst, ein mit sublimer Poesie und zugleich trickreicher Raffinesse inszeniertes Portrait der Dichterin Jana Cerná, triug seinen Teil dazu bei.

Ein paar unverbesserlich kritische Gemüter zapften sich noch einige Einwände ob: Die fluktuierende Einblendung von Bildern des heutigen Prags zu Beginn des Films liege buchstäblich wie ein pädagogischer Stein im Magen, dann wieder wirke die Konzentrierung der filmischen Optik auf jene Stadtbezirke des „alten“ Prag wie eine leicht sentimentale Nostalgisierung. Dennoch vermochte sich durch diese Verflusung halbherzig-obstruktiver Publikumsstimmen (gottseidank) nicht das gewetzte Messer des Zerreißwütigen durchbeißen. Drei palliative Faktoren wirkten dem entgegen: erstens der Film selbst, dessen mit dem Zuschauer geradezu kokettierende Eigenwiligkeit die Herzen im Sturm erobert hatte. Zweitens die Regisseurin, von der eben jene spielerische Nonchalance ausging, welche auch ihren Film melodiert. Nicht selten an eine Form humoristischer Selbstironie rührend, parierte Nadja Seelich, die als eine Erbin der bohemehoft-phantasievollen Prager Lebenskunst ohne weiteres unter die Reihen der Gefilmten hätte gemischt werden können, die vereinzelt aus dem Publikum zu ihr heraufkriechenden debotierwilligen Trockenheiten:

„Kann ich jetzt sagen, was ich mir dazu zurechtgelegt habe?“, sichert sie sich, hörbar flüsternd, bei Bernd Neuburger ab, um daraufhin einer Perplexität von zuvor seriösem Einwändler zu entgegnen: „Es tut mir leid, wenn‘ Sie das so aufgefasst haben, es war nicht so gemeint.“ Schon von daher wäre jeder etwaige Versuch, den Film im scharfen Ton unerbittlicher Kritik zu diffamieren, eine reine Unhöflichkeit, Barbarei, Verrohung und Stillosigkeit gewesen.

Als dritter Punkt ist die bereits erwähnte saumselige Stimmungslage des Publikums anzuführen, dessen Streitlustigkeit und teilweise Animosität der vergangenen Tage sich zu reiner konziliatorischer Feiertagsstimmung mineralisiert hatte. Zugleich gerührt und amüsiert über die etwas surreale Reprise der Prager Demimonde verstrichener Zeiten, die sich dahinspielte als ein noch sehr lebendiges Geisterphoto über einem Saum von Melancholie, verlagerten die Zuschauer ihre Beiträge aus dem Bereich keimfreier Kritik in jenen eines teilnahmsvollen Fragens nach den Filmprotagonisten. Den beschwingten Ton des Films verlängernd plauderte Nadja Seelich noch ein Weilchen aus dem Prager Nähkästchen, bis man schließlich, atthmosphärisch beschwipst, die Diskussion abbrach und sich dem weiteren Verlauf des Abends hingab.