Extra

Ende Fahnenstange

Duisburger Filmwoche 10
07.11.1986

Podium: Doris Heinze (Geschäftsführerin Filmbüro NW e.V., Programmrätin WDR/ARD), Klaus Kreimeier (Filmkritiker), Dietrich Leder (Fernsehkritiker), Ludwig Metzger (Redaktionsgruppenleiter WDR/Landesstudio Köln), Peter von Rüden (Hauptabteilung Bildung NDR), Andreas Schreitmüller (Redaktion Kleines Fernsehspiel ZDF), Heinrich Breloer (Regisseur)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Michael Kwella

Protokoll

[Die Podiumsdiskussion nahm immer wieder Bezug auf Breloers Reihe „Geschichte des 3. Fernsehprogramms“ und das Gespräch darüber. Die Lektüre des entsprechenden Protokolls sei vor dem Lesen des vorliegenden empfohlen.]

Anknüpfend an den Diskurs über Breloers Filme stellte Ruzicka die Frage, inwieweit Filmemacher und Redakteure zu einem Zusammenschluß finden könnten, um an die gewesene Qualität des Fernsehens im Sinne einer Rückgewinnung von Utopie anzuschließen.

Von Rüden: Die Macher der 3. Programme seien am alten Auftrag und an Aufklärung gar nicht mehr interessiert. Auch sie würden auf Einschaltquoten schielen; im übrigen sei es nicht chic, im Bildungsbereich zu arbeiten, andere Abteilungen würden als attraktiver und für den Aufstieg dienlicher gelten. Allerdings gelte es aus medienpolitischen Gründen, die noch stellenweise vorhandene Substanz auszubauen – ARD und ZDF hätten bereits Zuschauer an die privaten Sender verloren, die Dritten hingegen nicht, wohl weil deren Zuschauer an seichter Unterhaltung nicht interessiert seien. Hierin liege eine Chance für ein anspruchvolles Programm, doch gegenwärtig laufe nur die Verwaltung von zehn Jahre alten Programmvorgaben.

Kreimeier: Kultur wäre immer nur dann erneuerungsfähig gewesen, wenn sie sich selbst reflektiert hätte. Das Fernsehen sei einst angetreten als gesellschaftliches Projekt mit offenem Ausgang – diese Idee sei untergegangen, gleichwohl müsse es noch irgendwo Träger dieses Gedankens geben: Kräfte in den Apparaten und in der Gesellschaft, die noch konzeptionell dächten. Könne man die Massen beispielsweise nicht per Fernsehen für die Unzulänglichkeiten des Mediums interessieren?

Ruzicka: Das Medium solle sich also selbst reflektieren; dafür könne ja gerade das filmische Experiment ein Werkzeug sein. Ob man in diesem Sinne das Kleine Fernsehspiel als das 3. Programm des ZDF ansehen könne?

Schreitmüller: Er wolle lieber etwas thematisieren: Über viele Filmausschnitte in Breloers Reihe sei gelacht worden – und zwar doch wohl, weil die Sendungen einfach schlecht gemacht gewesen wären. Was davon sei denn wirklich erhaltenswert, was könne man heute noch so machen? Schließlich gäbe es neue Formen der Bildung, ebenso müsse man die damalige Entwicklung des Dokumentarfilms im Kontext mit der entsprechenden historischen Situation sehen. Zu wenig Leute, sowohl Redakteure wie Filmemacher, würden sich mit neuen Formen des Fernsehens beschäftigen; das „gute alte Kino“ gelte als erhaltenswert, doch ums Fernsehen mache man sich keine vergleichbaren Gedanken.

Metzger: Er würde das Programm von damals nicht noch einmal machen wollen; so sei beispielsweise Walter Jens in seiner Oberlehrerheftigkeit unerträglich. Nur würde die Entwicklung von Neuern auf ungeheure Hemnisse stoßen: Die Hierarchie im Sender sei besetzt mit Personen, die von außen kämen (Proporzbesetzung), die über die Macht verfügten – und immer wieder ungelegene Leute kaputt machen würden.

Oder der Einfluß des Nord-Süd-Gefälles: Da der NDR sich gegen den BR nicht durchsetzen, sprich bestimmte Sendungen nicht bundesweit ausstrahlen könne, würden diese ins Dritte wandern und damit den Prozeß begünstigen, das Dritte zum Vollprogramm auszubauen.

Durch die Verlagerung gesellschaftlicher Gewichte seien Zwänge entstanden, die Sender und Programmstrukturen verändert hätten. Dabei habe das Fernsehen versäumt, sich mit jenen Bewegungen solidarisch zu erklären, die nicht von den großen Parteien getragen worden wären (Frieden, Frauen etc.), und somit habe es sich auf die Verhinderung von Bewegungen eingelassen – die Schere zwischen dem Fernsehen und der Bevölkerung sei immer größer geworden. Er könne mithin nicht missionarisch für das Fernsehen werben.

Heinze: Die ARD würde die Erfüllung ihres Programm-Auftrages zunehmend auf die Dritten schieben. Ein Problem sei die „Gemeinschaftsverträglichkeit“ einzelner Beiträge für alle Sender – was andere Anstalten nicht aushielten, würde ins Dritte geschoben. Sollte dies ebenfalls zum bundesweiten Vollprogramm werden, würde auch hier die „Gemeinschaftsverträglichkeit“ zum nivellierenden Paradigma.

Leder: Wenn man heute frühere Sendungen anschaue, müsse man feststellen, daß sich viel altes Faszinosum mittlerweile aufgelöst habe. Der wachsenden „Durchschalthäufigkeit“ bei Zuschauern müsse man etwas entgegensetzen, durchaus auch Dokumentarisches, nur: Die Situation bei den Sendern habe dazu geführt, daß man mit den Redakteuren kaum noch über ihr Programm reden könne – viele würden gar nicht einmal zuhören wollen, würden sich allenfalls ~ wenn überhaupt – in kleinstem Kollegenkreis über ihre Arbeit austauschen. Und dazu stoße man immer wieder auf den omnipotenten Glauben, ein Redakteur könne zu jedwedem Thema etwas abliefern – es müsse doch einmal gefragt werden, ob solche Leute überhaupt anzustrebende Bündnispartner sein könnten.

Breloer: (Metzger ansprechend) Er sähe das damalige Dritte durchaus anders; auch von Walter Jens habe man etwas lernen können. Die damaligen Redakteure hätten etwas Neues ausprobieren wollen – das habe den Studenten draußen Mut gemacht, außerdem habe die nachfolgende Generation von Redakteuren die Ideen der „Väter“ aufgegriffen und weitergetragen.

Von Rüden: (An Leder anknüpfend) Man sei im Moment sowieso auf merkwürdige Verbündete angewiesen: Konservative Kräfte würden sich wieder auf den Kultur- und Bildungsauftrag des Fernsehens besinnen, es in Richtung Minderheiten-Programm entwickeln wollen; dies sei medienpolitisch opportun, um das Privatfernsehen mit seinem Unterhaltungsanspruch durchsetzen zu können. Solche Tendenzen ließen sich nutzen – manchmal bliebe eben nur der Weg zum konservativen Intendanten, um anknüpfend an die Termini Bildung und Kultur fortschrittliche Sendungen durchzusetzen.

Kreimeier: Bei Reflexionen über das Fernsehen werde ihm stets zu sehr über Einzelprodukte gesprochen. Entscheidend sei jedoch der Kontext der Sendungen: Das Programm bilde den „Fernsehabend“ es werde als Ganzes konsumiert. Die Rückwandlung des Medienapparates in eine Werkstatt müsse daher mit Irritationen der Zuschauer einhergehen; so könnten etwa spezifische dokumentarische Formen den Zuschauer in seinen Wahrnehmungskräften ungeschützt treffen, sollten alte Elemente des Dritten – wie Subversion durch Experimente – wieder aufgegriffen werden.

Schreitmüller: Nur würden verschiedene dokumentarische Formen (etwa die belehrende) heute nicht mehr funktionieren, entsprechend müßten die formalen Elemente weiterentwickelt werden.

Heinze: Wobei man in den Sendern endlich einmal mit den Begriffen aufräumen müßte: Wenn man von Dokumentarfilmen rede, verstünden die Redakteure immer nur Feature, Reportage, Dokumentation.

Ansonsten sei angesichts ihrer medienpolitischen Position gegenwärtig die CDU der rechte Bündnispartner – sie sei noch offen für Bildungsfragen im Zusammenhang mit dem Fernsehen.

Gabriete Hübner-Voss: Neue filmische Formen ließen sich sowieso nicht mehr entwickeln. Wichtig sei, daß die Form dem Inhalt entspräche.

Im Ausland gäbe es Vertrauen in die Experimentierfreudigkeit von Filmemachern (Beispiel Chanel 4), während in der BRD Leute mit Ideen, etwa aus der Video- und Super 8-Szene, keine Basis geboten bekämen, um zu produzieren.

Klaus Wildenhahn: Ihn wundere und ärgere die – teils nur am Rand – angesprochene „Verfestigung“ der Formen des Dokumentarfilms. Er böte doch genügend anarchische Momente, und durch die Aussagen Körösis in Breloers Film werde das ständig Experimentelle des Dokumentarischen doch wohl deutlich. Bei ARD und ZDF werde der Dokumentarfilm ignoriert, allenfalls gelegentlich am Rande geduldet. Warum nur würden die Erneuerer die Explosivkraft des Dokumentarfilms nicht sehen und mehr auf ihn zurückgreifen? Warum würden die Methoden von Leacock nicht weiterentwickelt?

Zwischenruf: „Wo sind die Filmemacher, die das könnten?“

Metzger: Die Hierarchie der Sender erschwere alles Anarchische. So wies die „Vor Ort“-Reihe solche Elemente auf: Menschen, die sonst öffentlich nicht zu Wort gekommen wären, hätten in dieser Sendung freiweg reden können; das habe die Sprengkraft der Sendung ausgemacht. Bei dieser Reihe und vergleichbaren Sendungen sei die Parteilichkeit nicht den Filmemachern überlassen worden, sondern das Programm selbst sei parteilich gewesen. Nur wären dann „die Anderen“ gekommen und hätten den pluralen Anspruch eingefordert – und das hätte zum Ende dieses Programmes geführt.

Manfred Viebahn: Heute böten vor allem die elektronischen Effekte massenweise neue Formen an, nur würde damit im Dokumentarfilmbereich nicht experimentiert. So habe das Formale der Montage Wertows Sprengkraft besessen, weil sie der inhaltlichen Konfrontation des Neuen mit dem Alten (mithin den gesellschaftlichen Verhältnissen) entsprochen habe. Solcherlei fehle heute, u.a. weil die Filme in sich ausgewogen sein müßten. Dies sei jedoch ein politisches Problem und nicht über Formfragen lösbar.

[Den Abschluß des Gesprächs bildeten eher eklektizistische Statements, meist aus dem Publikum, die strukturell nicht zu neuen Gedanken führten.]