Extra

Zum Film überreden oder über Film reden?

Duisburger Filmwoche 35
11.11.2011

Podium: Cristina Nord, Sven von Reden, Rüdiger Suchsland
Moderation: Bert Rebhandl
Protokoll: Judith Funke

Filmgespräche, filmkundliche Sendungen, Autorengespräche – früher waren sie selbstverständlicher Teil der Fernsehkultur. Heute trifft man sie kaum mehr an, obwohl die Notwendigkeit eines kritischen Diskurses über Wirkungsweise und Wirkungsmacht der Bilder weithin reklamiert wird. Stattdessen allerdings Berichte, die wie die Verlängerung der PR-Strategien daherkommen. Taugt das Fernsehen nicht zur Selbstreflexion? Liegt die Zukunft ambitionierter Film- und Fernsehkritik im „Netz“?

Protokoll

Zwischen Filmen und Filmgesprächen nun ein Blick über den Tellerrand des Duisburger Programms: Das Verhältnis von Film, Kino und Fernsehen steht zur Diskussion. Udo Bremer von 3sat verweist einleitend auf die Tradition des Fernsehens als Medium der Reflexion. Doch findet im Fernsehen heute überhaupt noch ein Diskurs über Film statt?

Die Gäste auf dem Podium gehören alle einer Generation an, für die das Fernsehen Leitmedium Nr.1 war – und als solches auch der zentrale Ort, an dem Filmbildung stattfand. Irgendwann im Laufe der 70er Jahre, als es noch völlig normal war, dass man die Abende gemeinsam mit der Familie vor dem (einzigen, vielleicht sogar schwarz-weißen) Fernseher verbrachte. Als Alternative blieb höchstens die Flucht ins nächste (Programm-)Kino.

Das Fernsehen, damals – Nostalgie kommt auf. Es liefen Jack Arnold-B-Movies, nach denen der Regisseur über seine Arbeit sprach; Winnetou, Hitchcock und Polanski, „Väter der Klamotte“ und „Western von Gestern“. Auch „Kennen Sie Kino?“, das Filmquiz mit „Lederstrumpf“ Hellmuth Lange, war rückblickend „gar nicht so dumm“, erinnert sich Suchsland, immerhin kamen dort auch Autorenfilme vor… Von Momenten der Überforderung, der Irritation und der Faszination wird berichtet, von der zufälligen Konfrontation mit Fremdem und Unverständlichem – Ansatzpunkte für ein aufkeimendes Interesse am Kino.

Doch zurück in die Gegenwart: Wie kann man solche Erfahrungen herstellen? In welchen fernsehspezifischen Formen kann heute Filmkultur und Filmkritik vermittelt werden, kann man Menschen für das Nachdenken und Sprechen über Film gewinnen?

Mögliche Formate gibt es zuhauf. Die geladenen Experten haben Beispiele aus der Praxis mitgebracht: Sven von Reden spricht über das Kinomagazin des WDR, eine halbstündige monothematische Sendung, in dem Regisseure selbst zu Wort kommen. Ausgangsmaterial sind ausführliche Interviews, manchmal 6 oder 7 Stunden lang, außerdem steht der gesamte Film zur Verfügung (anstelle der sonst üblichen Beschränkung auf die EPKs, die PR-Pakete der Verleiher).

Auch der WDR-Filmtip geht vom vollständigen Film aus, berichtet Christina Nord. Sie versucht dort, durch das Material zu veranschaulichen, wie filmische Mittel funktionieren, warum bestimmte ästhetische Entscheidungen getroffen werden. Hierin liege schließlich die besondere Stärke des Fernsehbeitrags gegenüber der sprachlichen Filmkritik: in der Evidenz der Bilder.

Sie formuliert eine Utopie: Es wäre doch großartig, wenn Filmgeschichte einen festen Sendeplatz im Fernsehprogramm hätte. Am Freitagabend beispielsweise. Dort würden dann nicht nur Filme gezeigt, sondern es würde eben auch kritisch über Film gesprochen. Das Fernsehen wäre sowieso sehr viel interessanter, wenn man weniger Sorge hätte, das Publikum zu überfordern. Wenn man sehen würde, dass Überforderung auch ein „Trigger“ sein kann. Zumindest ist das die Erfahrung, die Nord mit ihren Studierenden macht: Wenn man etwas mit Begeisterung vermittelt, dann steckt diese Begeisterung an, auch unabhängig von bereits vorhandener Filmbildung.

Kann und soll also das öffentlich-rechtliche Qualitätsfernsehen den kritischen Zugang zu Film möglich machen? Ja, soll es unbedingt, findet Suchsland, er verweist auf den Programmauftrag: Es besteht eine Pflicht zur Erziehung, zur Bildung, das sehe er ganz konservativ. Pädagogik im positivsten Sinne ist gefragt, Lust machen, anstatt zu belehren.

Es wird weiter an Entwürfen gefeilt. Es bräuchte dafür jemanden, der als Person eine Marke ist, dann funktioniert das auch. Entsprechungen zum „Literarischen Quartett“, zum „Nachtstudio“ stellt man sich vor. Warum gibt es eigentlich nicht mehr solcher Sendungen, die sich mit Film befassen?

Ein zentrales Problem ist ausgemacht: die starke Reglementierung des verwendbaren Materials, die besagten EPKs, die auf Marketing und nicht auf Reflexion ausgerichtet sind. Man müsste über den ganzen Film verfügen und ihn neu schneiden können, um mit den Mitteln der Bilder, und nicht der Sprache, einen eigenen Blick auf den Film vermitteln zu können. In dieser Hinsicht sieht sich von Reden dank seines Redakteurs in einer paradiesischen Situation, der Regelfall jedoch sieht anders aus.

Bremer gibt zu bedenken, dass die geäußerten Vorschläge auch im größeren Kontext gesehen werden müssen, schließlich hätten wir es mit einem ausdifferenzierten Markt zu tun. Im Fernsehen stehe der Neuheitsaspekt mehr im Vordergrund als das Erklärende. Und immerhin gebe es das Bonusmaterial auf DVD-Editionen, oder auch die zusätzlichen Angebote der Sender im Netz. „Wir müssen nicht alles doppelt machen“.

Das Publikum widerspricht vehement: Arte und 3sat machen doch alles Mögliche nach, wenn es denn anderswo Erfolg hat, Koch- und Reiseshows müssen als das allgegenwärtigste Beispiel herhalten. In dieser Frage herrsche in den Sendern absolute Mutlosigkeit und Feigheit, empört sich Michael Girke. Und entwirft sogleich die zweite Utopie: Filmkritiker, die sich gemeinschaftlich für wertvollere Programmbeiträge einsetzen. Suchsland stimmt zu. Überhaupt unterliege man als Filmkritiker zu sehr den Zwängen der Arbeitszusammenhänge. Die kritische Meinungsäußerung wird offenbar erschreckend häufig und systematisch sanktioniert, auch darüber muss mehr gesprochen werden.

Das Fernsehen vergibt gewisse Chancen, fasst Rebhandl zusammen. Obwohl es vielleicht gar nicht so kompliziert wäre, wenn man nur wollte. Sich an einem realistischen Rezeptionsinteresse orientieren, von vornherein gezielt für eine Teilöffentlichkeit produzieren; sich als Nischensender ein Nischenprogramm leisten, ohne sich von der Quote mürbe machen lassen. Und Kunst und Kultur auf dem Niveau verhandeln, das ihnen entspricht – das sind die erfreulich konstruktiven Forderungen dieser Runde.

 © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
© Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald