Film

Das Leben ist ein langer Tag
von Svenja Klüh
DE 2007 | 42 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
07.11.2007

Diskussion
Podium: Svenja Klüh
Moderation: Werner Dütsch
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Polen, Lodz. Ein junges Paar sucht Halt im Leben. Man hat wenig Raum, kaum Arbeit, und viel Zeit. Aber man hat sich. Und da ist noch der Fernseher. Ab und zu kommt Besuch. Der Frühling weckt die Verliebtheit, der Winter zieht Bilanz. 

Protokoll

„Der Film erlaubt sich, banale Alltäglichkeiten zu zeigen“, beginnt Werner Dütsch das Duisburger Filmgespräch. Diese Alltäglichkeiten lassen sich aufzählen und sie ergeben in der Summe, so führt er weiter, dass es für die Personen im Film keine Aussichten, keine Horizonte gibt und kein Glück vorgesehen ist. Die Regisseurin erzählt dies sehr synthetisch, sehr montiert, es gibt Ellipsen und Sprünge, analysiert Dütsch. Daraus entwickelt sich die erste Frage an die Regisseurin, ob es eine geplante Reihenfolge beziehungsweise ein Regiebuch gab?

Svenja Klüh beschreibt, dass sich das Konzept erst mit dem Material entwickelt hat, denn vieles passierte, was nicht vorauszusehen war, wie zum Beispiel Natalias erneute Schwangerschaft.

Für Werner Dütsch ist die Personenzeichnung sehr präzise: Der junge Mann, der weggeht und die Frau, die immer mit Arbeit beschäftigt ist und „immer wieder das Kind“ (Samanta) und wie „die Kinder, die Hauptrollen übernehmen“ sagt Dütsch, obwohl der Film zeigt, wie das Kind Samanta, immer wieder verbal und körperlich gezüchtigt wird. Die Regisseurin ist sehr nah an den Personen, „fast intim, aber nicht indiskret“, beschreibt er. Für Klüh wurde der Charakter der Personen „sehr früh klar“, und sie wollte nahe an der Frau dran sein. Es war Klüh nicht wichtig, dass die Zuschauer die Wohnung klar einschätzen können, denn „wichtiger sind die Gesichter“. Gedreht wurde zu jeder Jahreszeit (Mai, Juli, Oktober, Januar) für ca. 10 Tage. Während dieser Zeit wohnten Svenja Klüh, die auch den Ton gemacht hat, und die Kamerafrau Anna Winkler gemeinsam mit Frau, Mann und Kind in der kleinen Wohnung in Lodz.

„Auf dem kleinen Zimmer setzt sich das fort, was auf dem Hof zu sehen ist“, sagt Klüh und Dütsch interpretiert das, was da zu sehen ist, als „Schrecken“ und „schiefe Ebene, die spürbar abwärts“ treibt. Die Filme, die sonst zu sehen sind, erzählen „anders“, vielleicht hoffnungsvoller. Diese Interpretation wird nicht von allen in der Duisburger Runde geteilt: Im Film wird „Liebe und Zärtlichkeit“ gezeigt, und auch Natalias Trennung von ihrem Freund, „diesem Schnösel“, so die Interpretation von Werner Ruzicka, könnte ja auch ein Akt der Emanzipation sein. In dieser Analyse ist der Film eher spielfilmartig „bitter/süß“: Eine Geschichte der körperlichen Annäherung und körperlichen Distanz.

Das große Scheitern, das im Film dokumentiert wird, ist die permanente Störung des Beziehungsraumes durch den TV-Apparat, so ein Diskutant. Der Fernseher läuft den ganzen Tag, bestätigt auch Svenja Klüh diese Beobachtung.

In dem „verrauchten Chaos“ mit laufendem Fernseher, waren Regisseurin und Kamerafrau wie zwei Verbündete, die dort insgesamt 25 Rollen Filmmaterial (ca. 6-7 Rollen pro Drehphase; ungefähr 60-70 Minuten Film) gefilmt haben. Der Film folgt „ungefähr der Chronologie der Ereignisse“, auch wenn der Schnitt nicht unbedingt darauf aus ist, eine zeitliche Kontinuität zu kreieren, so Werner Dütsch.

Eine Option, auf Video zu drehen, gab es für Klüh nicht. Denn die Arbeit mit dem schweren Equipment und dem Zwang zu entscheiden, wann gedreht wird, waren Klüh wichtig. Auch die Entscheidung in schwarz/weiß zu drehen, war immer geplant. Trotzdem verwendete sie Farbmaterial. Denn im Gegensatz zum Schwarz-Weiß-Material, wird das Farbmaterial immer weiter entwickelt. Daher gibt es keine guten Schwarz-Weiß-Materialien mehr, erläutert ein Teilnehmer der Diskussion.

Nach ihren persönlichen Beweggründen befragt, erzählt Svenja Klüh von ihrem Gaststudium in Polen. Dort hat sie in einem Frauenhaus (Haus der einsamen Mutter) über die Nonne, die auch im Film zu sehen ist, ihre Protagonistin kennen gelernt. Sie hatte keine explizit persönlichen Gründe, wollte aber von Beginn an einen Film über allein erziehende Mütter machen. Natalia war dazu bereit, „vielleicht war es für sie einfach eine Abwechslung“. Ein Honorar hat die damals 23jährige auch bekommen. Dass allein erziehende Mütter nicht unbedingt ein Zeichen einer bestimmten Klasse sind, bemerkt Werner Dütsch, und ein Diskutant erwidert, dass aber die gezeigte ‚Beengung’ zu dieser Klasse gehört.

Trotz dieser ‚Beengung’, der räumlichen Nähe während der Dreharbeiten, gab es kein bewusstes Anvertrauen zwischen Regisseurin und Protagonistin. Natalia war eher nur höflich interessiert am Leben von Svenja Klüh. Auch wenn es eine große Offenheit gab, so durfte die Regisseurin zum Beispiel Mutter und Tochter während des Schlafens filmen, äußert Klüh dennoch: „Diese Menschen verschließen sich. Sie reflektieren ja nicht mehr vor sich selbst.“ Welche Ziele hat Natalia, wird gefragt. Vielleicht ist sie sich selbst nicht im Klaren darüber, was sie will, so Klüh. Und vielleicht sind es eher die ‚kleinen’ Dinge, die sich Natalia wünscht: dass die Fenster nicht mehr tropfen. „Wir sind uns auf einer verbalen Ebene nicht näher gekommen,“ sagt Svenja Klüh, aber auch zwischen Natalia und ihrem Freund, ist „Ziel“ kein Gegenstand der Kommunikation. Nicht unbedingt als ein „Ziel“, aber als ein Zeichen der Hoffnung, wertet Werner Ruzicka, die Entscheidung für das zweite Kind.

Wie man als Regisseurin zu seinen Protagonisten immer die Distanz bewahrt, dass beantwortet Klüh auf zwei Wegen: Einerseits waren die Positionen immer klar, weil sie aus verschiedenen Schichten kommen, aber andererseits: „Es ist auch manchmal schwer gewesen, immer wieder dahin zu fahren und diesen Bunker zu betreten.“

Das zweite Kind (ein Junge) ist inzwischen geboren und Natalia lebt gemeinsam mit den Kindern und ihrem Vater in der Wohnung. Ihr Freund ist momentan im Gefängnis.