Film

Holler for Service
von Kathrin Seward, Ole Elfenkaemper
DE 2025 | 77 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49
4.11.2025

Diskussion
Podium: Ole Elfenkaemper, Kathrin Seward
Moderation: Mischa Hedinger, Sina Musche
Protokoll: Marius Hrdy

Synopse

Kellie führt einen Baumarkt in einer Kleinstadt im Süden der USA. Hier kommt die Nachbarschaft zusammen: gelangweilte Jugendliche, einsame Ältere, streunende Tiere. Kellie verkauft Schrauben, vergibt Gelegenheitsjobs, hört zu, ohne zu urteilen. Als queere Person fällt sie in der konservativen Gegend auf, doch sie wird dafür geschätzt, wie sie ist. Kellies Laden ist ein Ankerpunkt. Ein Ort für stille Formen der Fürsorge, die eine Gemeinschaft zusammenhalten.

Protokoll

Bei der Anmoderation zur Frühvorstellung von „Holler for Service“ animieren Sina Musche und Mischa Hedinger im doxs!/Filmwoche-Einklang die im Saal präsente Schulklasse, beim Gucken des Films mitzudenken und genau zu beobachten. Nach ein paar Aufwärm-Fragen und Antwortrunden, wie: „Was kommt euch in den Kopf, wenn ihr Dokumentarfilme hört“? Antwort: „Haftbefehldoku“; „Dokus über Tiere“; „Haben einen Dokumentarfilm über Hip-Hop in der Schule geguckt“, geht es los.

„Somewhere in a very tiny town in America”– in Lumpkin, Georgia um genau zu sein – telefoniert Kellie aufgebracht mit einem Lieferanten. Der Mais für die Rotwildfütterung bleibt aus — eine wichtige Einkommensquelle für ihren Baumarkt A+K Hardware Store. Kurz danach behauptet Kellies Assistent Mart, (der schon 2009 gestorbene) Michael Jackson hätte ein Lied zu Covid 19 komponiert – „Heal the World“. Man merkt sehr früh beim Sehen des Films, dass A+K für die Menschen in Lumpkin mehr als nur ein Baumarkt ist. Vom Gabelstapler zur Hundefürsorge, vom Dünger zum richtigen Zusammenschrauben von Installationsrohren – Kellies Laden ist ein Gemeinschaftszentrum und Ort der Begegnung zur Alltagspflege. Die Kamera begleitet dabei eine leidenschaftliche Frau, die mit Hingabe tut, lernt, ihrer Umgebung ein verlässlicher Anker ist und dabei selbst kaum zur Ruhe kommt.

Im Diskussionssaal nach dem Film drängt dann schon die Zeit – Hedinger und Musche sowie Ole Elfenkaemper sitzend und Kathrin Seward stehend mit Baby im Brustgurt, sind auf der Bühne – die Schulklasse im Auditorium muss bald wieder los, also auf geht`s: Hedinger spürt der Genese des Films nach: wie kommen Elfenkaemper/Seward zu dieser Kleinstadt im Süden der USA? Die Spuren nach Lumpkin waren mannigfaltig. Da ist zunächst Elfenkaempers Verwandtschaft in der Nähe von Boston. Dann – im örtlich Näheren – Elfenkaempers/Sewards Aufenthalt für ihren vorherigen Film („An Hour from the Middle of Nowhere“) über einen Migrationsanwalt in Lumpkin, der Menschen hilft, aus dem dortigen Abschiebeknast freizukommen. Eben dieser Anwalt brauchte einmal Werkzeug und fuhr dafür zu Kellies Baumarkt. Und dadurch lernten sie dann gemeinsam Kellie kennen.

Musche nützt die drängende Zeit, um das Publikum zur Stimmung und welche Bedeutung Kellie für den Ort habe, zu fragen: eine Publikumsmeldung sieht Kellie im Stress, da sie die einzige Ansprechpartnerin im Baumarkt sei. Elfenkaemper bestätigt diese Einschätzung und erzählt, dass Kellie gerade mit ihnen (wegen des Films) unterwegs war und währenddessen zehn Leute den Laden in ihrer Vertretung am Laufen hielten. Seward fügt hinzu, dass Kellie, wie wir auch im Film sehen, eigentlich nie sitzt und immer am Tun ist.
Hedinger bezeichnet den Film nun als „Hangout Movie“, mit „langen Einstellungen, kleineren Choreographien“, die sich über die längere (Beobachtungs-)Zeit entwickeln. Er möchte mehr über „diese Methode der Langsamkeit“ wissen. Elfenkaemper erklärt diese Langsamkeit mit der künstlerischen Auseinandersetzung im Schnitt, dass sie einen noch langsameren Film machen, sich fast so verhalten wollten, wie jemand, der im Laden sitzt. Musche hakt hier ein und fragt das Publikum zur Positionierung der Kamera zu dieser Langsamkeit: „Wie hat sich das angefühlt, im Vergleich zu anderen Sachen, die ihr schaut?“ Eine Schülerin meint: „Es war langsam, aber interessant das mal so zu sehen.“ Eine andere findet – die passenden Worte suchend – dass sie es interessanter fand, wenn im Film eine Frage-Antwort Situation aufkam, als Szenen, die mit reiner Beobachtung arbeiteten. Musche nimmt diesen Gedanken auf und verweist auf eine Szene, in der Kellie anhand eines Familienfotoalbums über ihre Universitätsgeschichte erzählt – über ein Stipendium, das sie nicht angenommen hat. Es ist die einzige Szene, in der Elfenkaemper selbst zu hören ist.

Weitere Fragerunden zwischen Podium und Publikum drehen sich um die Drehlänge (drei längere Aufenthalte), die Finanzierung des Films (Eigenbudget), die enge Beziehung, die sich mit Kellie entwickelte und schließlich um das Skript, das sich bis auf eine Szene mit Kellies Schäferhündin beim Tierarzt intuitiv gestaltete. Hedinger meint später, in Anspielung auf „Trump´s America“, der Film habe etwas Versöhnliches. Elfenkaemper erklärt: im Markt wird nicht über Politik gesprochen, das sei Kellie wichtig. Bei polarisierenden Gesellschaften habe es keinen Sinn, sich anzuschreien, damit man Recht hat. Für Kellie zählen die sozialen Gesten. Kellie konnte/kann man „nicht hinpushen, politisch zu sein.“ Sowohl Hedinger als auch später Serpil Turhan kommentieren, dass der Film durch sein „Verbindungenmachen“, in der Art, wie diese Szenen entstehen und in der Herstellung solcher Momente einiges über diese Menschen erzählt. In Folge antworten Seward und Elfenkaemper darauf, dass sie nie so genau wussten, wer so in den Laden kommen würde. Sie haben die Kamera manchmal einfach hingestellt und durchlaufen lassen, und mit drei oder vier versteckten Mikros gewartet, was so geschieht – eine Art Glücksspiel. Eine weitere Publikumsfrage gilt nun der Räumlichkeit: Warum die Entscheidung, eng an Kellie zu bleiben, aber nichts vom Ort Lumpkin selbst zu zeigen? Seward deutet auf den Satz am Anfang des Films: („Somewhere…“). Es spielte für sie nicht die wichtigste Rolle, Lumpkin zu erörtern. Sie hätten das Thema „b-roll“ diskutiert und entschieden, keine Außenaufnahmen zu nutzen. Für sie war das Universelle dann der Fokus. Nah am Ende kommt noch eine lobende Publikumsbewertung des Films. Elfenkaemper/Seward hätten etwas „Besonderes geschaffen“ weil sie „hinter die Politik gegangen“ seien; der Redner „spürt das auch“, er habe „das Vertrauen gewonnen“. Er meint, solche Dokumentarfilme mit Menschlichkeit bedeuteten viel mehr als „nur zu polarisieren.“