Synopse
Auf den Spuren der Giraffe führt eine Recherchereise von den USA bis in den Niger. Während Tourist:innen unter dem beharrlichen Blick der Kamera den Tempel der Hatschepsut bestaunen, referiert die Erzählstimme zu „sr“: der Hieroglyphe der Giraffe. Assoziativ-akribisch verschränken sich Einzelschicksale mit Weltpolitik, Anekdoten mit Fakten. Das zusammengetragene Wissen, auf unterschiedlichste Arten überliefert und festgehalten, fließt quer durch Raum und Zeit.
Protokoll
Es dauert länger, bis das Gespräch beginnt, denn die Filmemacherin, Lea Hartlaub, ist noch nicht im Saal. Nachdem sie und der Moderator Mischa Hedinger das Podium betreten, breiten beide allerhand Zettel auf dem Tisch aus, an dem sie sitzen, was an die im Film erwähnte Totalverzettelung des Ägyptologen Adolf Erman erinnert und einen Vorgeschmack auf den eigenartigen Charakter des Gesprächs gibt. Mit Verweis auf das Sichtbare sowie Geisterhafte des Films bezieht sich Hedinger ins Gespräch führend nochmal auf den Titel „sr“, der eine lautliche Übersetzung der Giraffen-Hieroglyphe darstelle. Doch was drückt dieser Begriff eigentlich aus? Es gibt viele Varianten „sr“ auszusprechen, dabei handelt es sich um ein Zeichen, das wie bei asiatischen Schriftzeichen ein breites Bedeutungsspektrum trage. Nach Ermans Forschung über die ägyptische Grammatik mithilfe der Totalverzettelung, bei der möglichst viele Stellen, wo das Zeichen auftaucht, „verzettelt“ also belegt werden, ließe es sich als ein „Vorausschauen“ übersetzen beziehungsweise übertragen. Dass der Film jetzt so heißt, war lange nicht klar, der Titel spielt anscheinend mit der Erwartung, alles verstehen zu können. Daran schließt sich auch Hedingers nächste Frage zum Kommentar an, worin er eine besondere autoritative Erklärgeste, wenn auch gebrochen, gehört hat. Hartlaub zeigt sich überrascht und denkt, dass der Kommentar gerade nicht anstrebt, die Welt zu erklären.
Ohne eine auktoriale Geste zielt der Film eher darauf, die Querverbindungen zwischen den Geschichten der Giraffe zu ziehen. Damit begann Hartlaub schon im Jahr 2007, als sie stückweise Geschichten und Kuriositäten über Giraffen sammelte. Werner Dütsch, der damals schon an der Filmhochschule arbeitete, hatte immer wieder nach ihrer aktuellen Arbeit gebohrt und nachdem er die Sammlung sah, Hartlaub motiviert, den Film jetzt zu machen, weil er sonst nie gemacht werden würde. Sie findet es schade, dass Dütsch den Film nicht mehr sehen konnte, beide blieben während der Entstehung des Projekts weiter in Kontakt. In dieser Zeit hat sie auch gemerkt, dass es nicht reicht, viel zu lesen und zu sammeln, sondern ebenso die Auseinandersetzung an den Orten notwendig ist, wozu sich im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine Recherchereise anbot. Erst dort ließen sich viele der zuvor ungeahnten Querverbindungen finden, von deren Entstehung die Filmemacherin nun kursorisch berichtet, wobei sie stets etwas abdriftet. Allmählich begreift man nun die Arbeitsweise, die hinter diesem siebzehnjährigen Projekt steht, genauso lässt sich aber erahnen, dass dies mit den Zwängen der Filmförderungen wohl kaum zu vereinen ist.
Michael Baute möchte wissen, wie der Verzettelungsprozess bei der Arbeit am Film aussah, denn wie von Hedinger schon erwähnt, begreift er die Giraffe hier als die Verkörperung einer Globalgeschichte, ähnlich zu Moby Dick. Nach Bautes Ansicht schlägt der Film zwar einen dramaturgischen Bogen, gleichzeitig stehe jedoch die Verzettelung der Linearität des filmischen Mediums entgegen. Wahrscheinlich wäre es für den Film heute schwierig Geld zu bekommen würde, was mit den Erwartungen an das Erzählkino zu tun hätte. Ihr als Zettelmensch ist es offenbar lediglich um die vielseitigen Kontexte gegangen, in denen sich die Giraffe befindet. Möglicherweise können manche diese Verbindungen selbst nicht nachvollziehen, so neigt der Film deshalb zur Offenheit. Hedinger möchte dahingehend nochmal über das Stichwort Überforderung sprechen und fragt sich, ob ein Mensch überhaupt so viele Informationen aufnehmen könne. Es heißt, der Film verkörpere den Versuch, sich von der Sinnsuche im Kino zu lösen, ohnehin ist zweifelhaft, ob man Wissen einfach so festhalten kann. Den Faden, den Hartlaub dabei manchmal auf dem Podium verliert, findet man so auch nicht unbedingt im Film. Selbst wenn man im Film schlafen würde, was wohl nicht Wenigen so erging, und wovon Dütsch sagte, es würde für das Wohlgefühl im Film sprechen, könnte man nichts verpassen. Eher fühlt sich Hartlaub von TikTok überfordert.
Auf einen Diskussionsteilnehmer, der sich der TikTok-Generation zurechnet, wirkte die Form – vor allem durch die Stimme – zunächst interessant, jedoch kam sie ihm allmählich stur und geradezu provozierend, gar strafend vor. Andere Teilnehmer:innen bringen ähnliche, aber auch entgegengesetzte Erfahrungen zum Ausdruck. So sei manchen nach zwei Minuten klargewesen, nach keinem Sinn suchen zu müssen, was wohl eine bestimmte Freiheit beim Sehen verspüren ließ, es aber ebenso auf die eigenen Gewohnheiten ankäme. Hinsichtlich der Sprecherin, die eigentlich keine professionelle Sprecherin ist, sondern Autorin, war erst nach vielen Proben mit Schauspielerinnen und Sängerinnen klar, dass nur sie, Dorothee Elmiger, es schafft, den Text richtig zu lesen, anstatt zu performen. Ihre Aufgabe war weniger, dem Publikum eine Führung zu geben, es sollte tiefer gehen, sie sollte den Inhalt vermitteln.
Dann möchte sich Therese Koppe im Publikum eher der Haltung zum Kippen des Films anschließen, sie problematisiert, worin sich der Film von einer kolonialen Praxis unterscheide, was von Alejandro Bachmann nochmals bekräftigt wird, der glaubt, der Film würde eine koloniale Praxis wiederholen. So gäbe es nur zusammenhangslose Totalen, die eine Form des Sehens beanspruchen, wohinter die Zuschauer:innen zurückbleiben. Bei der Kontroverse erhält man den Eindruck, Publikum und Podium würden sich missverstehen. Ob die Frage nach dem Kolonialismus den Kern des Films trifft, scheint so unsicher, denn der Film handele von hegemonialen und weniger kolonialen Strukturen. Dadurch wird nicht unmittelbar verständlich, warum eine koloniale Praxis wiederholt werde. Das Gespräch, was hier nun eine gewisse Schärfe bekommt, muss nun aus Zeitgründen abgebrochen werden. Die Diskussion vibriert aber noch bis zum Beginn des nächsten Films in erregten Einzelgesprächen nach.
Eine frühere Version dieses Protokolls enthielt direkte und indirekte Hinweise auf Aussagen der Regisseurin, die nun fehlen. Sie waren, der Tradition der Duisburger Protokolle gemäß, raffend wiedergegeben und spiegelten die Wahrnehmung des Protokollanten wider, dem wir vertrauen. Lea Hartlaub sah sich mit diesen Aussagen nicht korrekt wiedergegeben. Während der Wortlaut der Aussagen nicht zu rekonstruieren ist, begreift das Festival die Wahrnehmung und Darstellung des Gesprächs als Sache des Protokollanten.