Film

Der unsichtbare Zoo
von Romuald Karmakar
DE 2024 | 178 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 48
07.11.2024

Diskussion
Podium: Romuald Karmakar
Moderation: Ute Adamczewski
Protokoll: Dominic Schmid

Synopse

Der erste Eindruck: Urwald. Doch bald werden die bühnenhaften Landschaften des Zoos Zürich als Real-Life-Dioramen erkennbar. Familien, die durch Fenster in Tierlandschaften schauen. Besucher:innen, die auf Teleskop-Safari gehen. Abläufe, die Unsichtbarkeit herstellen sollen, werden sichtbar: von der Schlachtung der Tierbestände über die Planung der Essensrationen bis zur Wiederverwertung der toten Tiere als Futter für die noch lebenden. Es entsteht ein diaristisches Spannungsfeld der Blickachsen von Außen ins Innere des Käfigs.

Protokoll

Vor dem Tiger, das weiß jedes Kind, muss man aufpassen – selbst, wenn er im Zoo hinter Gitterstangen steht. Zweimal sieht man ihn in Romuald Karmakars „Der unsichtbare Zoo“ in seinem Käfig: einmal relativ entspannt bei einer Fütterung durch eine freundliche Tierpflegerin, die ihm sanft und lieb zuredet, während sie ihm große Stücke rohes Fleisch durchs Gitter reicht; und einmal bei einem Transportversuch ohne weitere Nettigkeiten, wo der (gewiss zurecht) wütend gewordene Tiger auch hinter dicken Eisenstangen sein ganzes Bedrohungspotential zu offenbaren weiß. Welchem Tiger steht man lieber gegenüber?

Man beginnt das Gespräch also vorsichtig, mit der Entstehungsgeschichte des Projekts, das insgesamt 9 Jahre Produktionszeit veranschlagte, worunter auch die Zeit der „Coronascheiße“ fiel. Die Idee zum Zooporträt hatte Karmakar bereits Ende der 2000er – unter anderem, weil ihm aufgefallen war, dass der Zoo als bedeutendes institutionelles/kulturelles Phänomen in der westlichen Filmgeschichte extrem unterrepräsentiert ist, und dessen „visuelles Lexikon“ folglich von ARD-Dokusoaps bestimmt werde. Um dieses Missverhältnis zu beheben, wurde alsbald ein Projekt mit dem Westberliner Zoo konzipiert, finanziert und 2017 auch zu drehen begonnen – bloß um bald darauf, im Sommer ’18, wegen „fortgesetzter und nachhaltiger Behinderung“ der Dreharbeiten durch den Zoo selbst wieder abgebrochen zu werden. Die Suche nach Alternativen gestaltete sich schwierig; weder Leipzig noch Basel konnten oder wollten dem Anspruch Karmakars entgegenkommen, ihm während Monaten uneingeschränkten Zugang zu gewähren – fast als ob sie alle etwas zu verbergen hätten, oder wie der Berliner Zoo fürchteten, dass Bilder von Tieren in Käfigen ohne pädagogisch-erklärenden Begleittext bei einer unaufgeklärten Zuschauerschaft zu „falschen Gedanken“ führen, oder dass im Herbst gedrehte Bilder deprimierend und abstoßend wirken könnten. Einzig der Zürcher Zoo hätte nach bloß einer Mail eingewilligt, mit zwei akzeptablen Auflagen. Sowas zeuge ja auch von Selbstbewusstsein, meint Karmakar da, und als ein Zuschauer daraufhin ein bisschen über die reiche Schweiz herzuziehen versucht, wo man noch stolz darauf sei, dass man „teuer baut“, entgegnet der Regisseur etwas sarkastisch mit einem Verweis auf deutsche Fußgängerzonen, dass halt jede:r selbst entscheiden müsse, in welcher Art von Infrastruktur man leben möchte. Eine anwesende Zuschauerin, die in Zürich wohnt und den Zoo gut kennt, findet dass dieser im Film auch extrem gut als Metapher für die Schweiz selbst funktioniere, mit ihrer allumfassenden Fürsorge- und Betreuungsstruktur, die man da zum Preis eines gewissen Eingesperrtseins haben kann. Utopie und Dystopie, die einander bedingen – ähnlich argumentierte ja auch schon ein weiterer Schweizer namens Dürrenmatt in einer Rede über die Schweiz als Gefängnis, vielleicht auch nach einem Zoobesuch. Die Diskussion bleibt – für manche wohl etwas überraschend – relativ heiter und skandalfrei, selbst nach einer genervten Reaktion Karmakars auf eine Zuschauerfrage, was im Film denn nicht gezeigt werde. Nach einem dreistündigen Film wolle er jetzt nicht darüber sprechen, was da nicht drin ist!

So spricht man stattdessen größtenteils relativ analytisch über den Film selbst, über dessen saisonale Strukturierung (Frühling Sommer Herbst Winter Pandemie) und über die unterschiedlichen Perspektiven im Film: jene der Besucher, die aus sicherer Entfernung auf die Tiere und deren inszenierte Lebensräume schauen (Ute Adamczewski vergleicht die Totalen im Film einmal mit Gemälden, Karmakar die illusorischen Inszenierungsstrategien des Zoos mit dem Kino), jener des „Stalls“ und der Pfleger:innen, und jener der Administration; und darüber, nach welchen Strategien diese unterschiedlichen Perspektiven schließlich (überzeugend) verwoben werden. Eine Perspektive, die fehlt (zumindest jener Zuschauerin, die sich traut, danach zu fragen), ist jene der Tiere. Das liege hauptsächlich daran, dass man heutzutage halt keine anonymen Menschen und schon gar keine Kinder mehr aus der Nähe filmen dürfe. Um interessant zu sein, müsse ein Film ja aber auch nicht „alle erdenklichen Perspektiven aufnehmen“, meint Karmakar.

Am Ende des Gesprächs geht es dann doch noch um die Gewalt, nämlich um jene, die im Film „fürsorglich“ dem Zebra („ähnlich einem archaischen Tieropfer“) angetan wird, weil es mangels gleichgestreifter Gesellschaft depressiv würde. Da würden einerseits filmformal verschiedene Dinge geschehen, Perspektiven vermischt, bewegte Bilder in unbewegte übergehen. Karmakar erzählt anhand der Szene, die den „Höhepunkt des dritten Aktes“ darstelle, wie seine Arbeit mit den menschlichen Protagonist:innen funktionierte, die er in der Regel (aus Gründen des Datenschutzes) oft erst am Drehtag kennenlernte. Manchmal sei ihm dann bloß eine halbe Stunde geblieben, um diesen gewisse Dokusoapmanierismen auszutreiben. Sowieso hatte er oft ein wenig den Eindruck gehabt, in die Privatsphäre der Pfleger:innen einzudringen, weil sich diese eher mit den Tieren und den Ställen identifizieren würden als mit dem Zoo als Institution. Adamczewski findet es daraufhin „symptomatisch“ für den Film, dass der Zoometzger als eine von sehr wenigen Personen zweimal im Film auftaucht; und Karmakar meint rückgreifend auf das „archaische Tieropfer“, dass eine solche Szene einen Film „erdet“. Einer leichten hämischen Freude darüber, dass das Zebra ausgerechnet das Wappentier des MSV Duisburg ist, scheint er sich, wenn er schon bei der Filmeinführung einzig auf genau diesen Umstand hinweist, nicht ganz erwehren zu können. Aber „brutal“ findet er das „schon“, wenn einem so „positiv konnotierten Tier“ die Eingeweide herausgerissen werden. Am Ende wird das professionell ausgeweidete Zebra dann auch nicht dem Tiger, sondern den Löwen zum Fraß vorgeworfen.