Film

Stillstand
von Nikolaus Geyrhalter
AT 2023 | 137 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
7.11.2023

Diskussion
Podium: Nikolaus Geyrhalter
Moderation: Mischa Hedinger
Protokoll: Noemi Ehrat

Synopse

Das Wasser im Schwimmbad eine glatte, unbewegte Fläche. Die Achterbahn im Prater ein Stahlgerüst ohne Geschrei. Plötzlich Vogelstimmen mitten in der Stadt. Auch in Wien heißt es im Frühling 2020: Stay home, stay safe. Das Einfrieren der einen ist der pausenlose Einsatz der anderen. Zwei Jahre zwischen Lockdown und Öffnung, Balkonkonzerten und Protestveranstaltungen, in denen Routinen durch Regeln ersetzt werden – und sich die Utopie einer solidarischen Gesellschaft immer mehr zerschlägt.

Protokoll

„Stillstand“ ist Peak Nikolaus Geyrhalter: Grösstenteils menschenleere Institutionen werden als mehrsekündige, ruhige Sequenzen in einer Totale von oben gezeigt. Obwohl der Film somit alle Eigenschaften des Regisseurs vereint und sich nahtlos in seine Filmografie einreiht, war er aber nicht geplant: Als die Pandemie ausbrach, hat Geyrhalter erstmal ohne Finanzierung oder Skript angefangen, zu drehen – das heisst, aufzuzeichnen, zu dokumentieren, was geschieht. Etwa abgesperrte Strassen an der Grenze Österreichs, leere Strassenbahnen, gestrandete Flugzeuge.

„Warst du froh, als die Pandemie begann“, neckt dann auch Moderator Mischa Hedinger Geyrhalter. Die Bilder des verlassenen Wiens und der langen Gänge der Institutionen würden seiner Ästhetik ja total entsprechen. Froh sei er natürlich nicht gewesen, so Geyrhalter. Dass alles so gut zusammengepasst habe, sei aber schon etwas absurd gewesen. „Ich musste nur durch die Stadt fahren und meine hohen, mittigen Bilder suchen“, witzelt er.

Für diese „hohen, mittigen“ Bilder, die man sich als grossformatige Stills genauso gut in einer Galerie vorstellen könnte, ist Geyrhalter schliesslich bekannt. Hedinger will wissen, ob es stimme, dass Geyrhalter von einer Leiter oder einem Autodach aus filme. „Oft und gerne“, bestätigt dieser. Dies habe sich über die letzten zehn Jahre so entwickelt. Eine Totale von oben, die geradeaus schaue, entspreche einem analytischen Blick. „So kann man in einer Aufnahme alles erzählen, was man sonst in fünf oder sechs Bildern auflösen würde“. Zudem empfinde er dies als demokratisches Filmemachen. Das Publikum könne sich selbst aussuchen, bei welchen Details es im Bilde verweilen wolle. Und im Kino gehe es schon auch darum, sich bildsprachlich vom herkömmlichen Fernsehen abzuheben.

Das wortwörtliche Herunterblicken auf die Geschehnisse um einen herum kann auch kritisch gesehen werden. Hedinger will wissen, wie sich Geyrhalter entschieden hat, was und wo zu filmen – gewisse Aspekte, wie etwa die Reich-Arm-Schere hätte nicht so viel Platz in „Stillstand“. „Der Film kommt ziemlich aus meiner Ecke“, bestätigt Geyrhalter sofort. Dies sei nicht die arme Ecke Wiens. Der Anspruch des Films sei es aber auch nicht, geografisch oder thematisch alles abzudecken. Vielmehr liegt der Fokus auf den Institutionen, die in der Bewältigung der Pandemie zentral waren. Etwa Krankenhäuser, Impfzentren oder auch das Klassenzimmer seines Sohnes.

„Mich hat interessiert, wie sich eine Stadt in einer solchen Situation organisiert und was alles im Hintergrund passiert“, erklärt der Regisseur. Trotz des Filmtitels und der vielen menschenleeren Szenen zeigt der Film eben auch das Gegenteil: Wie Menschen in gewissen Berufen, wie das medizinische Personal oder das Militär, praktisch rund um die Uhr im Einsatz sind. Und diese Menschen kommen, trotz des institutionellen Fokus, auch zu Wort. In Interviews sprechen eine Ärztin, eine Lehrerin oder ein Bestatter direkt in die Kamera, berichten von Solidarität oder deren Mangel, vom Druck, der Ungewissheit.

Das Coronavirus als Geschichte zu bezeichnen, wäre gewagt – Österreich hat die Pandemie erst am 30. Juni dieses Jahres offiziell für beendet erklärt –, und so wirkt der Film paradoxerweise unmittelbar und retro zugleich. Viele der Bilder kommen einem etwa bekannt vor, wurden sie medial doch wiederholt verbreitet. „Wir waren als erste, vor dem Fernsehen, auf Intensivstationen und haben da gefilmt“, erzählt Geyrhalter. Die Aufnahmen haben aber ihren Aktualitätswert schon verloren, bevor der Film das erste Mal vorgeführt wurde. News outlets konnten ihre Bilder schliesslich viel unmittelbarer verbreiten. Zugleich sind diese Aufnahmen mittlerweile Teil eines vergangenen Nachrichtenzyklus. Dies wird auch vom Publikum so wahrgenommen, ein Mann meint, der Film habe viele Erinnerungen an Bilder geweckt, von denen er gar nicht mehr gewusst habe, dass er sie gesehen hätte. In Leipzig hätte jemand gesagt, der Film komme ihm wie kollektive Trauerbewältigung vor, bestätigt Geyrhalter diesen Eindruck.

Eine andere Publikumsfrage richtet sich nach der Klammer des Films, der zu Beginn und gegen Ende Aufnahmen einer Person, die im Krankenhaus beatmet werden muss, zeigt. „Werden die beiden nicht ein bisschen verheizt“, will die Frau wissen. Die meisten anderen die vorkämen seien ja so charmant und das Gesundheitssystem werde so gut dargestellt. „Unsere Sorge im Schnitt war, dass man uns vorwerfen könnte, die Pandemie nicht ernst zu nehmen“, sagt Geyrhalter. Das Bild am Anfang solle gleich vorwegnehmen: Egal, was passiert, auch wenn im Film lustige Situationen vorkommen – es ist ernst.

Zu Recht darf die Frage nach der Ästhetisierung gestellt werden. Selbst die Bilder mit den Beatmungsmaschinen zeigen keinen qualvollen Todeskampf, sie sind stattdessen eben ruhig und clean. Geyrhalter rechtfertigt dies damit, dass „Stillstand“ keinen Vollständigkeitsanspruch habe und jede:r die Pandemie anders erlebt habe. Ein gewisses Mass an Universalität scheint Geyrhalters Blick auf Wien im März 2020 bis Dezember 2021 dennoch vorzuweisen, wie die Duisburger Rezeption veranschaulicht. Jede:r mag die Pandemie zwar unterschiedlich erlebt haben, doch erlebt haben sie eben alle: die unangenehmen Stäbchen der Covid-Tests in der Nase, die Warteschlangen vor den Impfzentren, das Ausharren im Lockdown. Wie Hedinger es sagt, wird „Stillstand“ je nach eigener Covid-Erfahrung bei jeder Person etwas anderes triggern. Zum Glück sind da diese Totalen, wo man sich zumindest innerhalb eines Frames aussuchen kann, wovon man sich triggern lässt.