Film

Barstow, California
von Rainer Komers
DE/US 2018 | 76 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
06.11.2018

Diskussion
Podium: Rainer Komers
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Robert Dörre

Synopse

Die Brache eines Mythos: Der kleine Ort Barstow liegt in der Mojave-Wüste vor L.A. Hier treffen sich Straßen, Gleise, immer weniger Menschen. Felsen werden abtransportiert, Geschichten bleiben. Spoon Jackson verbüßt seit 1977 eine lebenslange Haftstrafe. Seine Stimme, die Geschichte seiner Herkunft, seiner Adoleszenz, legt sich versonnen über das Hinterland eines Traums, das er nicht mehr betreten darf.

Protokoll

Die Diskussionen in Duisburg können vieles sein: anregend, kontrovers, kitschig, unbequem, wortkarg, wirsch, streitlustig, quasselig – manchmal aber auch einfach sehr amüsant. So auch in weiten Teilen der Austausch zwischen Rainer Komers, Werner Ružička und dem Publikum im Anschluss an das Screening von Komers’ Film BARSTOW, CALIFORNIA. Die Antworten des Regisseurs sind mithin eigenwillig und folgen nicht unbedingt der durch die Fragen vorgegeben Richtung. Sprunghaft unterbreitet Komers Anekdoten in Form fragmentarischer Halbsätze und das Auditorium genießt die erheiternde Stimmung hörbar. Das Komische liegt mithin in der Inkongruenz von Form und Inhalt. Obwohl Komers eine gewisse stoische Bedächtigkeit an den Tag legt, schiebt er ganz nebenbei immer wieder ziselierte bis kauzige Erläuterungen ein. Paraphrasierend klang das zu Beginn ungefähr so:

WERNER RUŽIČKA: Der Film ist Teil einer Trilogie, deren Beiträge alle in diesem Teil der USA spielen. Was hat dich an der Gegend so fasziniert, dass du hier drei Filme realisiert hast?

RAINER KOMERS: Soll ich ganz ehrlich sein?

WERNER RUŽIČKA: Ja bitte, wir sind hier in Duisburch [sic!]…

RAINER KOMERS: Ich hatte mal Filme gemacht ohne Dialog entlang von Straßen und Inge Classen von 3sat war da eingestiegen und da waren zwei Filme, die durch ein Ruhrgebiet gingen – die B224 und die Great Trunk Road in Indien –, wo es auch durch ein Kohle- und Stahlrevier geht, eigentlich genau wie bei uns hier und da dachte ich: der dritte Teil jetzt mal ohne Ruhrgebiet. Und ein Freund, der züchtet Pferde in Ostfriesland – ein sehr guter Bildhauer – wir hatten immer mal den Wunsch in die Mongolei zu gehen – beziehungsweise er.

WERNER RUŽIČKA: Mit den Pferden?

RAINER KOMERS: [Lacht] Und da wäre wohl kein Ruhrgebiet.

WERNER RUŽIČKA: Das stimmt.

RAINER KOMERS: Jetzt muss ich dazu sagen, also wenn ihr’s nicht weitersagt, ich gucke seit 1997 kein Fernsehen und hatte nicht mitgekriegt, dass Filme über die Mongolei – also das waren Legionen im Fernsehen. Und dann sagte Inge: „Na dann geh doch nach Alaska!“

WERNER RUŽIČKA: Ananas züchten. [Alle lachen, bis auf einen ganz am Rand.]

RAINER KOMERS: Ich glaub’, Alaska ist von der Ausdehnung mit der größte Bundestaat und diesen Highway wollte ich auf keinen Fall fahren. Ich hatte aber zum Glück gute Freunde in Mülheim, die waren schon mal dagewesen: Dore O. und Werner Nekes. Werner hatte da im Winter gedreht und da ging es, so weit ich weiß, um einen Bewegtbildforscher, der so lange in die Sonne geguckt hatte, dass er davon erblindet war. Und den Film hab’ ich dann mal gezeigt bei einem Dokumentarfilmfestival in Montana. „Big Sky“ heißt das. Irgendwann bin ich da einfach mal hingefahren, weil die alle Filme von mir gezeigt hatten. 2008 war das glaube ich, mit der Unterstützung von German Films in München – kann ich nur empfehlen.

WERNER RUŽIČKA: Sind die auch ein Reisebüro?

RAINER KOMERS: Die fördern völlig zu Recht die Präsenz deutscher Filme im Ausland. Jetzt war ich schon mal auf Festivals gewesen, lieber Werner, und dachte, das ist doch sehr weit, und da hab’ ich den Flug für drei Tage nach dem Festival gebucht. Schon da hatte mich die Landkarte total angeregt, weil nördlich von Missoula ist direkt eine Indian Reservation. Dort wollte ich gleich nach dem Festival noch ein bisschen rumfahren. Und die Menschen, die ich in Montana kennengelernt habe, waren alle sehr freundschaftlich, so wie man es aus dem Ruhrpott ja auch kennt und die haben mich mit mehreren Autos dann dort rumgefahren – der eine hatte sogar nur so ’nen ganz normalen alten Nissan. Ach Werner, übrigens: Der Festivalleiter Doug Hawes-Davis ist der einzige Festivalleiter, der meines Wissens nach Jagen geht.

WERNER RUŽIČKA: Während des Festivals?

[…]

Ach, was schreib ich, Sie hätten dabei sein müssen! Dass man Spontaneität und Schlagfertigkeit nämlich nicht in einem starren Text abbilden kann, ist ja hinlänglich bekannt. Es ist aber genauso wenig überraschend, dass der filmische Text nach eben diesen Aspekten verschiedentlich in der Diskussion befragt wird. Werner Ružička weist zum Beispiel darauf hin, dass einige Szenen „abgezirkelt“ wirken und auch Frédéric Jaeger erkundigt sich in diesem Sinne nach den Inszenierungsstrategien, weil der Film durchgehend die Posen seiner Figuren zur Schau stellt und sich bestimmte Sätze wie bereits häufiger aufgesagte Soundbites anhören: „Actually I feel like he loved animals more than humans“ gehört mit Sicherheit zu diesen Sätzen.

Komers zufolge war das keinesfalls geplant oder intendiert, sondern höchstens eine unwillkürlich forcierte Koinzidenz. Er räumt zwar ein, dass das im Film zu hörende, ostentativ gebaute Sprechen, ihm durchaus gut gefällt; dass die Akteure vor der Kamera so bemüht agierten, hat er jedoch nicht willentlich beeinflusst. Trübt also der Eindruck des Films? War tatsächlich alles ungeplant, sozusagen ex improviso? Solche Unsicherheiten sind natürlich für die Verhandlung dokumentarischer Formen seit jeher virulent und kaum eine Diskussion kommt aus diesem Grund ohne Fragen nach dem Grad der Geplantheit – die in den Gefilden des dokumentarischen immer noch als fadenscheinig erachtet zu werden scheint – aus. Schlussendlich hängt aber der Eindruck, ob man in einem Film das Spontane oder das Geplante zu entdecken glaubt, immer auch von den zugehörigen Paratexten ab; Paratexte zu denen die Diskussion mit dem Autor genauso zählt wie dieses Protokoll.

Falls es Ihnen bis hierher noch nicht aufgefallen sein sollte, das Sujet des Films ist ernster, als es die gelöste Atmosphäre im Saal vermuten lässt: Schauplatz ist ein beinahe verlassener Ort in der Mojave-Wüste, der zugleich Geburtsort des Literaten Spoon Jackson ist. Jackson ist wegen Mordes seit 1978, und damit auch seit seinem 19. Lebensjahr, in verschiedenen Gefängnissen inhaftiert und erlangte von hier aus als Poet einige Aufmerksamkeit. Der Film porträtiert den nur durch seine Stimme anwesenden Jackson, indem er die wenigen noch in Barstow lebenden Menschen begleitet und ihre Umgebung, ähnlich den im Film kurz auftauchenden Geowissenschaftler, untersucht. Dazwischen liest Jackson aus seiner Autobiographie „By Heart“.

Mehrere Fragen des Publikums beziehen sich auf diese visuelle Abwesenheit des Poeten, die wohl aus verschiedenen produktionsbezogenen Überlegungen resultiert. Zum einen scheint es für Komers eine ästhetische Entscheidung gewesen zu, weil ihm das fotografische Bild von Jackson unvorteilhaft vorkam. Trotz der mentalen und physischen Stärke, die Komers Jackson attestiert, hätten die Erniedrigungen des Gefängnisses den Inhaftierten gezeichnet. Zwar hatte der Regisseur – und das scheint ein zweiter wichtiger Punkt zu sein – überlegt, ob er die Situation schwarzer Gefangener im „prison–industrial complex“ der USA als Verlängerung der Sklaverei thematisieren soll, die Entscheidung dagegen war letztlich aber eine rein pragmatische: „Für einen längeren Film hatte ich keine Kohle.“ Darüber hinaus dienten Komers die kalkuliert spektakulären Gefangenendokumentationen anderer Filmschaffender als abschreckendes Beispiel, weshalb er sich auch mit Blick auf die dortigen Konventionen, der visuellen Abbildung von Spoon verweigerte. Dieser hat den Film aus rechtlichen Gründen übrigens gar nicht erst sehen dürfen – der Entzug ist dementsprechend als ein doppelter zu begreifen.

Wie der einleitende Dialogausschnitt wahrscheinlich bereits nahegebracht hat, liegt Komers zudem viel an der Verfasstheit von Landschaften. Mit der ästhetischen Landvermessung von Barstow hat er deshalb auch versucht, die für ihn so faszinierende Wüste einzufangen, die von magischen Orten wie dem B Hill bis hin zu den militarisierten Zonen (das wäre einen eigenen Text wert) reicht. Dabei übernehmen nicht allein die Bilder diese Aufgabe. Wie aus dem Publikum bemerkt wird, ist es gar nicht so einfach einzufangen, dass Landschaften auch klingen, aber Komers’ Film tönt förmlich vor Landschaft – er orchestriert die Klänge zu akustischen Topografien, die wohl auch durch den Stil der musique concrète inspiriert sind.

Am Ende ist es aber auch die Stimme von Spoon Jackson, die unseren zuweilen stumpfen Blick auf die Landschaft immer wieder in einen poetischen überführt:

„When I stepped out of our house on Crooks Street, the purple and red clay mountains that surrounded me seemed to hold the whole world. I thought that up must be the only way out, so I had a habit of walking with my head held back, my eyes looking upward. I looked for hours into the sky while lying on a sand dune. Somehow I knew the universe was limitless. Whenever I saw a rainbow strung across the sky from B Hill to the mountains, I thought of a series of brilliantly colored sidewalks, each one leading into a new adventure, each one having its own mystery.“

 Robert Dörre © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Robert Dörre © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald