Synopse
Eine Demokratie im Sprechen, manchmal im Gespräch: Gerahmt oder enthemmt, gespielt oder entschieden. Simulierte Abstimmungen und bemühte Volksnähe. Im bunten Infomobil, in kalten Konferenzräumen und warmen Kneipen, auf Demonstrationen im Regen und in wohnlichen Redaktionen: Ergriffene und erteilte Worte durchdringt ein neuer Ton.
Protokoll
Wie gestaltet sich die Arbeit an einer demokratischen Öffentlichkeit? Diese Frage ist wahrscheinlich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Marie Wilkes Film AGGREGAT bezieht. Dabei schaut sie sich eine Vielzahl institutioneller Schauplätze an. Doch wie beginnt man die Arbeit an solch einem Film? Marie, die selbst beim Fernsehen gearbeitet hat, hatte ein Interesse daran, zu ergründen, mit welchen Bildern Politik vermittelt wird. Dabei fragte sie sich selbst, wie Demokratie eigentlich entsteht. Wie werden Nachrichten, wie wird letztendlich Politik gemacht? Um diese Fragen zu beantworten, suchte sie Orte auf, an denen sich Politik in Handlungen ausdrückt.
Als roter Faden diente ihr die Auseinandersetzung verschiedener Institutionen und Personen mit Rechtspopulismus. Diese Entscheidung fiel für Marie jedoch nicht aufgrund der Dringlichkeit des Moments. Ihre Idee zum Film war unabhängig von der politischen Lage schon vor Jahren gekeimt. Im Verlauf der Recherche suchte sie nach einem Thema, an dem sowohl Journalisten, wie auch Politiker arbeiten. Da das Thema Rechtspopulismus zu dieser Zeit so omnipräsent war und bis heute ist, wählte die Regisseurin diesen Fokus. Im Film wendet sich Marie zunächst mehr den politischen Institutionen und Personen zu, bevor sie zunehmend ihren Blick auf Massenmedien richtet. Die Frage, warum sie in diesem Kontext nicht auf den Einfluss sozialer Medien auf die Gestaltung demokratischer Prozesse eingeht, bleibt weitestgehend offen. Ihren Fokus auf Politiker der SPD erklärt sie daraufhin auch mit ihrem generellen Interesse am Beruf der Politiker, nicht so sehr der spezifischen politischen Richtung oder individueller Persönlichkeiten. So hätte sie auch mit der CDU gedreht, hätte diese sich offener gezeigt. In Bezug auf die gezeigten Orte, umfasste ihr gedrehtes Material auch Situationen, die Maries Erwartungen an mögliche politische Handlungen nicht erfüllten. Diese sind dementsprechend nicht im Film aufgenommen worden.
Aggregat, ein Ganzes aus getrennten Teilen. Diese Idee wird von Marie in der Montage mit Jan Soldat aufgegriffen. Diese wirkt schon fast wie eine Entmischungsmontage. Für Marie trifft diese Beschreibung zu, da sie das Ziel verfolgte, die Fragmente des Films für sich stehen zu lassen. So sollte keine Gesamterzählung individueller Geschichten geschaffen werden. Dass sich verschiedene Fragmente in der Montage gegenseitig kommentieren, passiert schnell. Durch die Nutzung der langen Schwarzblenden zwischen den Tableaus sollte genau diese Kommentierung vermieden werden. Die starke Trennung vom Sprechen und Zuhören zu demokratischen Prozessen, die Marie in ihrer Recherche begegnete, macht sie durch die Form ihres Films erfahrbar. So ist nur wenig bis keine direkte Kommunikation von Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten miteinander möglich.
Der Film ist ein Film über das Beobachten des Beobachtens, Marie beobachtet die Medien. Dabei ist sie beim Dreh mit ihrem Team sehr präsent. Die Entscheidung, mit Stativ zu drehen, passt zu der Idee, mit einer großen Kamera sehr sichtbar sein zu wollen. Die Menschen sollten sich dieser gegebenen Situation gemäß verhalten, der Blick dabei nicht abgelenkt werden von Randhandlungen. So zeigten sich etwa die gefilmten Menschen bei den Küchengesprächen mit dem SPD-Politiker sehr selbstbewusst und souverän. Sie hatten sich auf ihren Auftritt vorbereitet und betraten bewusst die Bühne. Als einzigen kritischen Moment beschreibt Marie das Filmen auf der Pegida-Demonstration, wo das Filmteam als „Lügenpresse“ beschimpft wurde. Da sie ohne Senderlogo und der Absicht, Interviews zu führen, aufgetreten seien, sei es in dieser Situation möglich gewesen, ihren Ansatz des beobachtenden Filmens zu erklären und die Lage somit zu entschärfen.
Die unterschiedlichen Meinungen und Weltansichten, die Marie im Verlauf ihres Films einfängt, bündelt sie im Titel „Aggregat“. Dieser ist an das am Ende gezeigte Kunstwerk Joseph Beuys’ im Reichstag „Tisch mit Aggregat“ angelehnt. Technisch gedacht, ist ein Aggregat ein Ganzes aus vielen verschiedenen Maschinen, philosophisch versanden, bedeutet Aggregat ein Ganzes aus untereinander unverbundenen Teilen. Der erst spät gewählte Titel bildet laut Marie auf passende Weise den Versuch ab, unterschiedliche Kräfte in der Entstehung demokratischer Prozesse aufzuzeigen.