Film

Die anderen Plätze
von Marco Kugel, Simon Quack
DE 2017 | 84 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
06.11.2017

Diskussion
Podium: Marco Kugel, Simon Quack
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Johannes Frese

Synopse

Über außen, schon leicht abseitsverdächtig: Wenn der Traum der Fußballerkarriere ins Stocken gerät, können sich vereinslose Spieler in der Sportschule Wedau fit halten. Sie lauschen Motivationsreden und üben immer gleiche Bewegungsabläufe; erwägen ihre Karriereoptionen und absolvieren medizinische Tests für ein standardisiertes Geschäft, das Mythen verkauft.

Protokoll

Die Arbeitslosigkeit als gemeinhin wenig beachteter Aspekt des Fußballgeschäftes ist der Ausgangspunkt des Eröffnungsfilmes der diesjährigen Filmwoche. In einem Trainingscamp für arbeitslose Fußballer beleuchten die Filmemacher Simon Quack und Marco Kugel das Schicksal von Spielern abseits der glamourösen Fußballwelt.

Zunächst erzählen die Filmemacher Simon Quack und Marco Kugel vom Besuch einer Pressekonferenz, die das Trainingscamp einleitet, von in diesem Zusammenhang ungewohnten Begriffen wie Bedeutungslosigkeit und Arbeitslosengeld. Werner Ružička hakt ein, inwiefern der Umstand des Prekären hinderlich für den Zugang zu einer hermetisch geschlossenen Fußballwelt gewesen sei, die Arbeitslosigkeit im Karriereplan nicht vorsehe. Quack berichtet von der Offenheit der erst wenige Tage vor Beginn des Camps feststehenden Spieler. Der Zugang sei innerhalb des kurzen Zeitraumes etabliert worden, auch die Parallele zur Unsicherheit der eigenen beruflichen Lage als Filmemacher sei dabei hilfreich gewesen, ergänzt Kugel.

Auf Ružičkas Frage, ob der Film von den Spielern als Plattform zur Eigenwerbung verstanden worden sei, entgegnet Quack, dass die Spieler zunächst tatsächlich davon ausgegangen seien, während des gesamten Spiels gefilmt zu werden und das Material für die eigenen Showreels verwenden zu können. Ružička verweist in diesem Zusammenhang auf das ambivalente Wesen des Filmes, der ein Fußballfilm und doch kein Fußballfilm sei, Erwartungen unterlaufe. Kugel begrüßt diese Wahrnehmung des Filmes. Die Absicht der Filmemacher liege eben darin zu verdeutlichen, dass es sich bei der Samstagabend-Show um die Ausnahme handele, während der im Film gezeigte Alltag für einen Großteil deutscher Fußballer Normalität sei. Ružička äußert im Anschluss die fragende Vermutung, dass der ungewöhnliche Einsatz der Zeitlupe ebenfalls einer solchen Erweiterung von Sehgewohnheiten diene. Die Filmemacher bestätigen, dass sie die klassischen Verwendung der Zeitlupe als Mittel der Glorifizierung in der Anwendung auf banale Momente hinterfragen wollten. Diverse Momente im Trainingsablauf werden im Film verlangsamt dargestellt. Lange Zeit sei sogar ein Interview in Zeitlupe Teil der Schnittfassung gewesen, bemerkt Quack.

Ružička bezeichnet die Einstellung eines Spielers, der vor der abendlichen Silhouette der Stadt mit Blick auf das Stadion sitzt, als Sehnsuchtsmoment und kommt auf das Ende des Filmes zu sprechen: Ein junger Spieler beim Treppenlauf auf leerer Tribüne. Kugel verweist auf den Symbolcharakter des Bildes – ein junger Mann, der bereits diverse Rückschläge verwinden musste, aber immer wieder die Treppe hoch laufe. Dorthin, wo normalerweise das Publikum sitzt. Ein einfaches Bild, das die Lebenssituation des jungen Spielers deutlich repräsentiere.

Ružička kommt auf den spürbaren Einfluss der Globalisierung zu sprechen. Man sei als Zuschauer Zeuge einer großen Beweglichkeit und Reisetätigkeit, fühle sich aber nicht orientierungslos zwischen den dargestellten Akteuren. Auf die anschließende Frage nach der Drehzeit antwortet Kugel, dass es über einen Zeitraum von drei Jahren 35 Drehtage gegeben habe.

Ein fußballaffiner Zuschauer lobt, dass er über den Begriff der Arbeitslosigkeit eine Gelegenheit erhalte, den Fußball anders zu erleben. Den melancholischen Unterton des Filmes habe er nicht als dramaturgische Bevormundung durch die Filmemacher, sondern korrespondierend zur eigenen Erfahrung empfunden.

Ružička richtet die Aufmerksamkeit auf den massiven Rückgriff auf Datenbanken und Showreels bei der Spieler-Sichtung und konstatiert eine zunehmende Entindividualisierung des Geschäftes. Eben diese Gesichtslosigkeit – Folge einer hohen personellen Fluktuation vom Management bis zum Platzwart – sei ein wichtiger Aspekt ihres dokumentarischen Interesses gewesen, erläutert Kugel, und habe auch in der Montage motivisch gewirkt. Anstatt eine Heldengeschichte zu erzählen, sei es ihr Ansatz gewesen 80 Protagonisten zu haben, um das Prinzip des Protagonisten schließlich ganz auszuhebeln und so ihrer Wahrnehmung der Entwicklung des Fußballgeschäftes Rechnung zu tragen.

Pepe Danquart kritisiert die Umsetzung des Vorhabens. Die wechselnden Off-Stimmen seien häufig schwer zuzuordnen, die Rückkehr ins On zu einem Sprechenden Zeichen einer Inkonsequenz, die den guten systemischen Ansatz unterlaufe. Sie wecke beim Zuschauer den Wunsch, einer konkreten Lebensgeschichte zu folgen, die – entgegen Kugels Bemerkung – allerdings keine Heldengeschichte, sondern eine Anti-Heldengeschichte geworden wäre. Auch die zeitliche Orientierung sei erschwert, ob es sich um eine einzige Camp-Periode oder mehrere Jahre handele, nicht eindeutig gewesen. Danquart fragt die Filmemacher, warum sie in der Montage schwach geworden und vom Konzept einer entindividualisierten Vielzahl von Protagonisten auf die Darstellung einzelner Leitfiguren zurückgekommen seien. Quack räumt ein, dass die Montage auf dem schmalen Grat zwischen einer Wiedererkennbarkeit der im Off sprechenden Protagonisten in den Bildern und einer weitestmöglichen Entindividualisierung stattgefunden und damit Gelegenheit zur Abstrahierung von Einzelschicksalen durch die Verlagerung persönlicher Eindrücke der Spieler ins Off gegeben habe. Die Bezeichnung „Protagonist“ sei überdies zu konkret im Kontext einer Arbeitsweise, die zwar fünf Spielern über längere Zeit folge, aber anderen Spielern – als reine Off-Stimmen oder am Rande des Bildes – ebenso einen Platz einräume. Kugel ergänzt, dass ihr Ziel in der Montage darin bestanden habe, eine Zuordnung des Gesagten zu verschiedenen Sprechern zu ermöglichen. Danquart kritisiert erneut, dass der Wechsel zwischen einer nicht eindeutigen Zuordnung von Off-Stimmen und die wiederholte Rückkehr zu einem konkreten Sprecher im On inkonsequent und verwirrend sei. Ružička vermutet schließlich vermittelnd, dass die Montage schlussendlich der Notwendigkeit einer repräsentativen Ordnung verpflichtet gewesen sei.

Ein anderer Zuschauer empfindet die Abwesenheit konkreter zeitlicher und räumlicher Verortung als nebensächlich. Wichtig sei die Erkenntnis, dass es unter „Glanz und Gloria“ enttäuschte Hoffnungen gebe. Der Moderator verweist noch einmal auf die melancholische Färbung des Filmes über eine Welt, in der Lebensplanungen durch eine einzige Verletzung absolut gegenstandslos werden. Er möchte wissen, ob die Filmemacher diesem latenten Gefühl der Vergeblichkeit konzeptuell gegensteuern wollten. Kugel gibt an, dass sie akzeptieren mussten, mit dem Film nicht die gläserne Decke zu durchbrechen, welche über der Melancholie der Spieler liege. Quack bemerkt, dass bereits die ständige Verwendung des Wortes „Traum“ durch die Spieler eine immense Fallhöhe im Film spürbar mache.

Ein Zuschauer fragt nach den Beweggründen für eine tendenzielle Fokussierung auf die negativen Aspekte des Fußballerdaseins seitens der Filmemacher. Kugel verweist auf die Allgegenwart positiver Bilder im medial Imaginären des Fußballsports, denen sie eine andere Perspektive entgegensetzen wollten. Damit erkläre sich auch die generelle Abwesenheit klassischer Fußballbilder, wie beispielsweise eines tollen Tores.

Frederic Jaeger bemerkt die inhaltliche Ähnlichkeit des Filmes zu Mehdi Benhadj-Djilalis Zweikämpfer. Befragt nach einer möglichen konzeptionellen Beeinflussung geben die Filmemacher an, den Film erst nach Ende der eigenen Dreharbeiten gesehen zu haben. Dennoch sei die Entdeckung eines weiteren ambitionierten Projektes zum Thema mit einem seltsamen Gefühl verbunden gewesen.

Gegen Ende der Diskussion bezeichnet ein Zuschauer den Film als poetische Allegorie auf das Scheitern und resümiert die im Film deutlich gewordene Erkenntnis über das Fußballgeschäft. Um oben anzukommen müsse es unten viele Verlierer geben.