Film

The Dazzling Light of Sunset
von Salome Jashi
GE/DE 2016 | 74 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
08.11.2016

Diskussion
Podium: Urte Fink (Produktion)
Moderation: Sven Ilgner
Protokoll: Lena Serov

Synopse

Vorführen, Aufführen, Darstellen – performative Rituale und ihre Ränder: Eine georgische Lokaljournalistin eilt von einem Auftritt zum nächsten. Ob politische Diskussion, Modenschau oder ein einsamer Mann, der eine Eule gefunden hat – sie fängt Darbietungen ein, verschafft Worthülsen und eingeübten Bewegungen Reichweite und Geltung.

Protokoll

Die Regisseurin Salome Jashi wird über Skype in die Diskussion hinzugeschaltet, während die Produzentin Urte Fink und der Moderator Sven Ilgner auf dem Podium sitzen. Die ersten Fragen thematisieren die Kameraarbeit und die filmischen Entscheidungen der Regisseurin, in langen statischen Einstellungen zu filmen. Diese Einstellungen wirkten wie Stillleben und lassen den Blick auf bestimmten Situationen verweilen.

Jashi habe mit zwei zusätzlichen Kameramännern zusammengearbeitet. Der eine hat sie zu Beginn den Film unterstützt, der andere führte später den Dolly. Die Eingangssequenz soll das Publikum einführen und eine Einstellung zu der Weit der lokalen Berichterstattung in der georgischen Stadt Tsalenjikha vermitteln. Die Entscheidung für die statische Kinematografie begründet Jashi damit, dass sie sich beim Filmen von den Ereignissen distanzieren wollte, um eine außenstehende Beobachterin zu werden. Des Weiteren sollten die Zuschauer*innen ihre Position im Film finden.

Ihre eigene Position im Film betreffend, fragt Sven Ilgner danach, wie sie bestimmt habe, was sie filmt. Man sehe z.B. nie die Aufnahmen des TV-Senders. Wie habe sie bestimmt, welches Material sie filmen und welches sie auswählen?

Jashi erschien es verlockend, aber nicht relevant, die Kameraposition der beiden Berichterstatter einzunehmen. Es ging ihnen nicht um das, was gezeigt werde, sondern darum, wie es gezeigt werde.

Zudem wurde bei den Dreharbeiten nach der Brisanz des Ereignisses entschieden, zu welchen Ereignissen sie den Berichterstattern folgt. Sie habe viel ausgelassen: die Haushaltverhandlungen der Verwaltung, den Straßenbau usw. Sie habe dann die Erfahrung machen müssen, dass oftmals in den gewöhnlichen Ereignissen außergewöhnliches steckte. Beispielsweise war die Entscheidung, zum Grab des Soldaten zu fahren eine spontane, die sich als richtig erwiesen habe. Solche Szenen seien oftmals vieldeutig.

Dariko macht die Nachrichten, sie ist der Medienmogul der Provinz. Sie schafft damit auch ein Archiv der Region. Kann man den TV-Sender auch als soziales Medium des Ortes bezeichnen? Ist es auch ein Medium für die Jugend?, fragt Sven Ilgner weiter.

Der Film vereine unterschiedliche Episoden aus dem Ort und damit auch die unterschiedlichen Menschen und Generationen. Er funktioniert wie ein soziales Medium für die Menschen der älteren Generation, die nicht über neue Medien verbunden sind. Für die junge Generation gilt dies nicht.

Jashi greift im Folgenden einige Beispielszenen heraus, um ihre Art der Darstellung Georgiens zu verdeutlichen. Der Film sei keine Gesamtdarstellung des Landes, aber er hebt einige kulturelle Charakteristiken hervor. Sie selbst ist Georgierin, jedoch nicht aus der Stadt Tsalenjikha. Sie kenne aber die lokalen Eigenheiten, sie seien charakteristisch für das ganze Land. Dieses sei gegenwärtig ein Hybrid aus korrumpierten Werten und es hat Elemente aus der Tradition und aus der zivilisierten Weit. Die Inszenierung der Modenschau beispielsweise imitiere westliche Fashionshows und enthält gleichzeitig Formen aus der lokalen Kultur. In den lokalpolitischen Fernsehdebatten – deren absurden Humor Sven Ilgner in der Diskussion unter den Frauen anmerkt – zeigt sich, dass Männer sich weigern mit Frauen zu diskutieren, weil sie sie nicht als ebenbürtig und ernstzunehmende Gegenüber ansehen.

Die Schlussszene des Films provoziert mehrere Nachfragen. Darin adressieren die beiden Protagonisten – die Einzelkämpfer des lokalen Senders – die Kamera bzw. die Filmemacherin und konfrontieren sie mit den Bedenken der regionalen Verwaltung, dass der Film eine adäquate Darstellung des Ortes. Die Verwaltung war sich der Motivation des Films nicht sicher, da nicht die schönen sondern die negativen Seiten der lokalen Ereignisse gefilmt werden. Die lokale Administration war besorgt, Gegenstand einer Belustigung zu werden, sie vermuteten, der Film sei eine Komödie. Damit war die Angst verbunden, die Makel der Gegend und der nicht entwickelten Regionen zu enthüllen. Jashi rechtfertigte sich damit, dass sie unterschiedliche Seiten des Ortes zeigen. Z.B. auch die Hochzeit, deren positive Konnotation die Behörde versöhnlich stimmte.

Pepe Danquart wendet ein, dass mit dieser Schlussszene, der Anschluss zum Anfang zerstört werde. Das Ende beim Herunterreißen des Plakats anzusetzen, das den Bogen zum Anfang spannt, hätte ein schlüssiges Montagekonzept ergeben. Stattdessen gibt es einen Anhang mit den beiden Protagonisten. Joashi habe diesen Zusatz als eine Art Selbstkritik eingefügt, die besagt, dass das, was man sieht, einer subjektiven Perspektive entstammt. Diese Erklärung richtet sich an zwei Publika: zum einen die Einwohner der Stadt, es sind ca. 10.000, zum anderen an ein internationales Publikum. Es ist eine zusätzliche Information zu den Ereignissen in der Stadt und darüber, wie die Menschen sich ihre Realität erschaffen.

In der Hochzeitsszene zeige sich für Joachim Schätz ein bestimmter Filmstil, der den Inszenierungscharakter solcher Veranstaltungen – wie auch bei den Vorbereitungen zum Schönheitswettbewerb – mit einem gewissen Witz verdeutlicht. Und ob in dieser lakonischen Handhabe des ,Spektakels‘ nicht auch westeuropäische Projektionen über Osteuropa zur Sprache kommen?

Jashi war sich der Gefahr bewusst, mit ihren Aufnahmen den Ort und die Leute zu exotisieren, versuchte es aber zu vermeiden. Die Leute befürchteten auch, dass sie aus der „Sicht nach unten“ darstellt würden. Da die Filmemacherin selbst Teil der Kultur sei, habe sie viele unterschiedliche Dinge zur Darstellung bringen wollen. Schätz weiter: Was waren die konkreten Entscheidungen für die Platzierung der Kamera? Die Kamera wurde nach dem Prinzip der Schlichtheit eingesetzt. Jashis Absicht war es, den Eindruck einer Posteransicht des Ortes hervorzurufen. Deshalb habe sie direkte bzw. frontale und symmetrische Einstellungen gewählt. In der Hochzeitsszene sind sowohl das Paar als auch die Gäste in der Gegenüberstellung gefilmt.

Insgesamt herrsche in dem Film eine Aufbruchsstimmung, beobachtet Ilgner, alle bereiten sich auf etwas vor. Dies spiegele sich, stimmt Jashi zu, auch im Titel des Films – The dazzling light of sunset – wider. Der Sonnenuntergang suggeriere eine Veränderung.

In dem letzten Drittel offenbart Dariko, was sie fühlt, beobachtet Serpil Turhan aus dem Publikum und fragt, ob es mehr solches Material gab, in dem sich ihr Innenleben zeigt? Jashi schildert die Umstände. Die Szene sei ungeplant entstanden, denn der Zugang zu Dariko, die sich durch ihre Arbeit vor der Kamera sehr bewusst über ihre Wirkung war, war nicht einfach. Und dann gab es diese Situation, in der sie nicht inszeniert haben, sondern sie unterhielten sich und die Kamera lief dabei. Sie haben die ganze Zeit auf so eine Offenbarung gewartet.

Die Produzentin Urte Fink kam zum Schluss über ihre Beteiligung am Projekt kurz zu Wort. Die ersten Schritte habe sie mit der Filmemacherin zusammen unternommen, die Zusammenarbeit begann mit der Beteiligung der Robert Bosch Stiftung. Zu den Dreharbeiten sei sie aber nicht gefahren, da sie befürchtete als Außenseiterin ohne Sprachkenntnisse die Atmosphäre zu stören. Bei der Postproduktion, die in Berlin stattfand, haben die beiden wieder intensiver zusammengearbeitet und viel über den Film diskutiert.

 Lena Serov © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Lena Serov © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald