Film

Safari
von Ulrich Seidl
AT 2016 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
11.11.2016

Diskussion
Podium: Till Brockmann, Sven Ilgner, Ivette Löcker, Katrin Mundt, Werner Ružička, Joachim Schätz
Protokoll: Thomas Bosse

Synopse

Ferien in der Wildnis, Urlaub, um zu töten. Ausgerüstet mit großkalibrigen Waffen und dem Vokabular des sauberen Todes schleichen getarnte Jagdtouristen durchs afrikanische Unterholz. Mit zitternden Knien und in stolzer Pose erlegen sie Zebras, Böcke und größeres Getier als edle Trophäen fürs Familienalbum. 

Protokoll

„Ich wollte den Film nur zeigen, falls er kommt“ – So lautet Till Brockmanns Antwort, nachdem schon zum zweiten Mal die Frage aufkam, warum dieser Film genommen und vor allem an einem so guten Programmplatz gezeigt wurde (Eva Hohenberger). Wenn Brockmann von „er“ spricht, dann meint er den österreichischen Filmemacher Ulrich Seidl. Seidl den Abwesenden. Seidl den Provokateur. Seidl, der bekannt ist für seine „Überspitzungen“ und damit eigentlich nicht mehr schockieren dürfe. Denn man wisse ja was einen erwarte. Dennoch ist der Saal voll. Und die Menge ist aufgebracht und uneinig. Meine Aufgabe als Protokollant erschwert sich, da Seidls Safari Bilder zeigt, die hoch emotional anregen, sodass der ein oder andere Diskutant seine Meinung spontan und ohne Mikrofon kundtun möchte. Einst hörte ich von diesen berühmten, leidenschaftlichen Diskussionen in Duisburg. Mir wurde gesagt, dass diese Zeit leider vorbei sei. Weichgespült seien die Gespräche im Anschluss an die Filme geworden. Es fehle der Biss. An diesem Abend scheint mir ein kleiner Hauch der alten Zeit spürbar zu sein. Und das obwohl es sich um den vielleicht „dümmsten Film Seidls“ handele (Peter Ott). Oder vielleicht gerade deshalb?!

Wie schon angeklungen sein mag: Seidl ist nicht da und das Podium ist trotzdem gefüllt. Auch der Saal ist so voll, dass einige Leute stehen und die letzten Eintreffenden sogar in der ersten Reihe Platz nehmen müssen.

Vielleicht liegt die große Nachfrage an der guten Uhrzeit oder tatsächlich an dem Inhalt des Films: Seidl begleite in seinem Werk, Österreicher_innen, die Spaß am Tier-Erschießen haben. Und das nicht im Wiener Stadtwald, sondern in der afrikanischen Steppe. Dort, wo gute „Stücke“ unter der knallenden Sonne „gezeichnet“ werden und man den „Schweiß“ vom Boden ablesen kann. Dieses „Jägerlatein“, so Sven Ilgner, sei eines der lehrreichen Momente des Films gewesen. Till Brockmann konstatiert, dass sich hinter dem Ausdruck „Stücke“ „eine hierarchische Klassifizierung des Lebendigen“ befinde.

Gebetsmühlenartig sagen die Protagonist_innen auf, welchen Wert, welches Tier hat. Zwischen 500 und 1800 Euro kostet der Tod eines exotischen Lebewesens. Seidls „affektive 3-Akt-Struktur“ obliege einer „moralistischen Anordnung“ (Schätz). Die Passagen in dem Film sind alle routinehaft angeordnet: Die Protagonisten beginnen mit einer Einführung in die Jagd: Eine Familie – Mutter, Vater, Kinder – berichtet von ihren Strategien und Gelüsten, die sie beim Jagen empfindet. Daraufhin begleitet der Zuschauer sie beim Akt des Tötens: heranschleichen, flüstern, dann der Schuss. Der Tod des Tieres wird mit einem „koitalen“ Gesichtsausdruck des Jägers / der Jägerin bejubelt. Der Schlussakt setzt die Trophäe ins Bild. Seidl spielt mit dem Rezipienten: Der Spannungsbogen funktioniert, weil der Zuschauer mitmacht. Brockmann sieht den Bambi-Effekt als Grund dafür: die süßen Tiere, mit den Knopfaugen müssten geschützt werden. Deshalb stehe der Tod der Giraffe am Ende des Films als „größter Sündenfall“ da.

Ivette Löcker überrascht jedoch, dass der Filmemacher in Safari nicht nur schockieren möchte. Sie zeigt sich berührt von der „Giraffenerlegung“ und spricht von einer „klassisch- dokumentarischen Beobachtung“, die einen „moralischen Impetus“ besitze.

In der Folge spricht Katrin Mundt einen Aspekt des Films an, der ihr komisch aufgestoßen ist und eine intensive Diskussion ins Rollen bringt. Dabei geht es um die Frage, wie Seidl die Einheimischen (die Afrikaner_innen) in Szene setzt. Es gibt Momente in dem Film, so Mundt, da werden sie „tableauhaft ausgestellt“.

Petter Ott kritisiert dahingehend, dass Safari etwas mit Kolonialismus und Feudalismus zu tun habe. Dies werde aber im Film nicht reflektiert. Eva Hohenberger pflichtet Otts Position ein. Sie betont, dass Seidl schon in der Vergangenheit (Paradies Liebe), Rassismus vorgeworfen wurde. Deshalb sei die Hoffnung da gewesen, dass er daraus gelernt habe. Die Bilder erscheinen ihr zu Anfang noch ambivalent. Doch die tableauhafte Darstellung der Afrikaner_innen und der Fakt, dass sie keine Stimmen bekämen, da sie nicht interviewt würden, habe Hohenberger eines Besseren belehrt.

Diese Aussage entfacht eine hitzige Debatte. Stimmen sind zu hören. Ruzicka ermahnt das Auditorium nicht in einen dialogischen Austausch zu geraten, sondern das Mikrofon zur Hand zu nehmen.

Eine Diskutantin findet gerade diesen Punkt interessant, den Afrikaner keine Stimme zu geben, da es dafür bezeichnend sei, wie die Protagonist_innen ihre Umgebung wahrnehmen würden. „Das kann man doch brechen“, hallt es aus der Menge heraus.

Die zunehmende Politisierung der Diskussion klingt für einen Moment ab, als ein Diskutant auf die Stärken des Films hinweist: „ In der Massentierhaltung werden Tiere mit weniger Empathie umgebracht.“

Eine Diskutantin weist daraufhin, dass die Einheimischen in Safari zwar keine Stimme hätten, jedoch besäßen sie das „Wissen über die Verarbeitung der Tiere“. Für sie gehe es auch nicht so sehr um die Frage ob es schlimm sei, Tiere zu töten oder nicht. Die Stärke des Films sei die teilnehmende Beobachtung. Seidl verzichte darauf, die Familie zu verurteilen.

Hier klinkt sich Joachim Schätz in die Diskussion ein. Für ihn sei der springende Punkt des Films nicht die Stimmen, Aushandlungen oder Interessen. Es gehe vor allem um die Inszenierung eines vorwurfsvollen Zuschauer_innenblicks. Dieser anklagende Blick werde uns bereits von der Regie zugeschrieben.

Außerdem sei es gut für die Einheimischen, nicht zu Wort zu kommen, so ein Diskutant: „Die Sprachebene wirke in Seidls Film entlarvend: „Es findet keine Art von Reflexion bei den Protagonist_innen statt“.

Und dann – ein Raunen geht durch den Saal. Was war geschehen?

„Ich setze dem eben Gesagten noch einen drauf“, so Peter Ott. „Die Männer, die im Film auf ihren Knochen kauen, sehen aus wie Hunde, die an Knochen knabbern. Und das auch noch in einer HD-Sound-Qualität. Otts Meinung nach provoziere Seidl hier sehr unreflektiert. Er hat das Gefühl, dass es sich nach der Bildsprache zu urteilen, um einen rechten Filmemacher handele.

Eine Diskutantin widerspricht dieser Einschätzung: „So wie wir hier auf Hühnerknochen rumknabbern, kauen die auf anderen Knochen rum“.

Eine andere Stimme im Auditorium geht davon aus, dass die Afrikaner_innen in „Bildern verkörpert werden, um sie der Reflexion darzubieten“. Es handele sich um eine „reflexive Anordnung“, in der wir als Zuschauer den Jägern_innen aus den Köpfen herausschauen. Daraufhin macht eine Rednerin auf die Umstände der Produktion und Rezeption des Film aufmerksam: „Wir alle in diesem Raum sind Weiße. Auch die Filmemacher sind Weiße.“ Sie ist davon überzeugt, dass hier Blicke aus der Kolonialzeit reproduziert und die Unterdrückung weitergeführt werde.

Der nächste Redner vertritt eine ähnliche Ansicht: Man sei in eine politische Kategorie gerutscht. Es fühle sich an, als ob Seidl selbst auf der Pirsch sei, um Schwarze neben den Trophäen auszustellen – „Das Staunen über Safari wird getoppt durch die Portraitfotos der Schwarzen“.

Auf Grund der Brisanz des Themas veranlasst Ruzicka eine Verlängerung des Filmgesprächs. Und so findet diese lebhafte Diskussion in den Aussagen einer jungen Filmemacherin ihren Abschluss. Sie liefert Hintergrundinformationen, da sie selbst viele Jahre in Afrika zu dem Thema recherchiert habe: Die Tiere werden extra dafür gezüchtet, um zum Abschuss freigegeben zu werden. Bei den dargestellten afrikanischen Männern handele es sich um Profis, die perfekt ihr Handwerk beherrschen. Ihrer Meinung nach sei der Film sehr platt und das Thema hätte viel komplexer aufgearbeitet werden können. Das liege unter anderem an den „dummen Protagonisten“ und fügt abschließend hinzu:

„Leute, es erzählt sich alles selber. Weiß gar nicht warum hier diskutiert werden muss.“