Extra

Erfundene Spione und küstennahe Geheimnisse

Duisburger Filmwoche 40
11.11.2016

Podium: Werner Schweizer
Moderation: Klaus Kreimeier
Protokoll: Lisa Rölleke

Politik erzählbar machen und die Wirklichkeit als narrative Basis annehmen: Werner „Swiss“ Schweizers Filmarbeit sucht in ihrer thematischen Vielfalt und ihrem Formenreichtum im deutschsprachigen Raum ihresgleichen. Sein Debüt DYNAMIT AM SIMPSON (1989) ist eine der ersten dokumentarisch-fiktionalen Mischformen, NOEL FIELD – DER ERFUNDENE SPION eine große, historische Linien ausschreitende Erzählung – und 1996 Gewinner des ersten 3sat-Dokumentarfilmpreises. In seinem neuen Film OFFSHORE verknüpft er die Geschichte eines Whistleblowers mit seiner eigenen als „Produzent von Filmen und Wein“. 

Protokoll

Klaus Kreimeier und Werner Schweizer haben sich in der Auswahlkommission der Duisburger Filmwoche kennengelernt. Kreimer erzählt, dass er vorher als Protokollant zum Festival gekommen sei. Schweizer hat Soziologie, Publizistik und Europäische Volksliteratur in Zürich studiert. Er berichtet, dass er sich besonders mit oral history und Trivialliteratur beschäftigt hat und dieses Interesse in seine filmischen Arbeiten eingeflossen ist. Der Einstieg in die Schweizer Filmszene sei über den 1976 gegründeten Videoladen Zürich erfolgt. Eine Gemeinschaftsproduktion des Videoladens war Züri brännt (1980), der die Züricher Jugendunruhen dokumentiert. Kreimeier liege eine lange Liste mit Filmen vor, in denen Schweizer in den verschiedensten Positionen beteiligt war. 1987-1989 realisierte er seinen ersten Kinodokumentarfilm, heute ist Schweizer Autor, Regisseur, Produzent und Winzer. Er ist außerdem Mitverfasser von Theo Pinkus Biografie „Leben im Widerspruch – Amalie und Theo Pinkus“. Im Folgenden beginnt Kreimeier Ausschnitte aus verschiedenen Filmen von Schweizer vorzustellen. In Offshore − Elmer und das Bankgeheimnis (2016, df 2016 s. Protokoll Nr. 17), lobt Kreimeier den konventionellen, informativen Charakter des Dokumentarfilms. In einer Szene, in der der Whistleblower Ruedi Elmer von geheimen Bankdaten berichtet, findet Kreimeir besonders gelungen, wie sich nach und nach in der Montage eine Spannung entwickelt. Schweizer hatte Probleme mit der Szene gehabt, da einige der brisanten Daten zu dieser Zeit noch nicht auf Wikileaks bereitgestellt waren. Um sich und seinen Protagonisten zu schützen, sei die Szene stärker montiert als zunächst geplant. Kreimeier sieht den Film als Stellungnahme gegen den Finanzkapitalismus, der die Biografien des Regisseurs und des Whistleblowers Ruedi Elmer zusammenbringt. Schweizer hofft, dass der Film nicht eitel herüberkommt und setzt auf die vielen ironischen Momente des Films.

Mit einer Sequenz aus Dynamit am Simplon (1989) spricht Kreimeier den Aspekt des Reenactments an. Der Film ist einerseits klassisch dokumentarisch (z.B. durch Zeitzeugenberichte) und stellt andererseits die Ereignisse kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges nach. Die Nazis wollten damals den Simplontunnel sprengen, ein kommunistischer Partisanenkommandant, ein Schweizer Eisenbahnangestellter, ein katholischer Priester und der schweizerische Geheimdienst konnten das Vorhaben aber erfolgreich durchkreuzen. Zur Zeit der Entstehung des Films sei viel über die Frage, in wie weit ein Dokumentarfilm Ereignisse reinszenieren darf, gestritten worden, merkt Kreimeier an. Der Regisseur sieht den Film als Gegendarstellung zur Nachkriegseuphorie. Mithilfe des Reenactments sei es möglich gewesen, eine Geschichte zu erzählen. Nicht nur die Aufklärung auch die Attraktivität einer Geschichte sei ihm wichtig.

Auch aus Noel Field – Der erfundene Spion (1996, df 1997) wird ein kurzer Ausschnitt präsentiert. Der Film rekonstruiert die Geschichte des Amerikaners Noel Field, der 1949 hinter dem Eisernen Vorhang verschwand und zu einer Schlüsselfigur der stalinistischen Schauprozesse wurde. Mit dem Vorschlag für den Film sei Theo Pinkus an Schweizer herangetreten. Leider versäumte der Regisseur ein Interview mit Pinkus zu drehen, der dann während der Dreharbeiten starb. Schweizer konsultierte mehrere Filmarchive und die recherchierten Informationen hätten als Stoff für viele weitere Filme über Noel Field gereicht. Auf Anfrage der Nachkommen von Noel Field wurden alle Dokumente öffentlich gemacht.

Im Anschluss präsentiert Kreimeier einen Ausschnitt aus Von Werra aus dem Jahr 2002. Der Dokumentarfilm behandelt Franz von Werra, Jagdpilot der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, der als einziger Deutscher aus der britischen Kriegsgefangenschaft flüchten konnte. Zusammen mit Hardy Krüger, der im Spielfilm The one who got away (1957) von Roy Ward Baker von Werra gespielt hatte, folgen der Regisseur und der Schauspieler seinem historischen Original. Kreimeier lobt die durchgehende Linie des Films durch den Briefwechsel zwischen Franz und seiner Schwester, welcher seiner Meinung nach daherkommt, als sei er von zwei Liebenden geschrieben. Elke Müller habe viel zu dem Film beigetragen. Sie habe ihren Vater, einen ehemaligen Jagdflieger herangeholt, der als Türöffner fungierte. Er kontaktierte seine ehemaligen Kameraden, die im Film als Zeitzeugen auftreten. Kreimer kommt noch einmal auf Hardy Krüger zu sprechen, der für ihn eine schwierige Erscheinung bleibt. Der verhaltene Schluss des Films verdeutliche seine zwiespältige Rolle. Auch Schweizer findet ihn wichtig für die Metaebene des Films.

Abschließend sehen wir eine Szene aus Verliebte Feinde (2012). Der Film, so Kreimeier, zeigt die Entfaltung der Beziehung zwischen Peter von Rothen und Iris Meyer auf emotionaler sowie politischer Ebene. Den Titel findet er etwas irreführend. Müsste es nicht eigentlich „Verfeindete Liebende“ heißen? Schließlich seien die beiden mehr als nur verliebt ineinander. Schweizer erwidert, dass es sich um ein Zitat aus einem Briefwechsel der beiden handle. Dieser literarisch sehr wertvolle Schriftverkehr sei die Grundlage für den Film gewesen. Teile des Films wurden mit Darstellern inszeniert, da es kaum Zeitzeugen gab. Zunächst hatte er großen Respekt vor der Arbeit mit Schauspielern, dann habe alles sehr gut funktioniert und nun könne er sich vorstellen, ein weiteres Thema mit teilweise inszenierten Sequenzen zu erzählen.

An einer Stelle des Gesprächs fasst Kreimeier Werner Schweizers Tätigkeit wie folgt zusammen: Er sehe Schweizer als Journalist, Rechercheur, Historiker und Soziologen, der den Film als sein Arbeitswerkzeug versteht.

 © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
© Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald