Synopse
Im tristen Winter kommen kaum Flüchtlinge über das raue Mittelmeer, aber Lampedusa bleibt ein Ort der Zwischenlösungen und des verwalteten Notstands. Nachdem auch noch die Versorgungsfähre abbrennt, scheint die Insel völlig vom Festland abgeschnitten und dem Vergessen anheimgefallen. Bewohner und Einheimische begehren auf.
Protokoll
Till Brockmann eröffnet mit der Frage, ob es denn im Anschluss an den Film – die beiden hätten das Ende nicht im Kino verfolgen können – Applaus gegeben hätte. Und Jakob Brossmann schiebt schnell noch die Frage nach dem genauen Wann hinterher. Für das Protokoll: Ja, nach den letzten Credits.
Eine große Last scheint von Brossmann abzufallen, doch Brockmann hat bereits die zweite Frage parat. Ob denn die Verantwortung für die Menschen, sowohl die gefilmten, als auch die rezipierenden, einen Druck für ihn bedeutet hätte.
Ja, mehrere Male, so Brossmann, hätte er sich gedacht, sich mit diesem Projekt etwas „eingebrockt“ zu haben. Ursprünglich habe er ein Drehbuchprojekt über die Abschiebungen der Juden, Sinti und Roma in der Schweiz zu Zeiten des Dritten Reichs eingereicht. – Dabei schiebt er ein, dass die Rhetorik der „überfüllten (Rettungs)boote“ genau aus dieser Zeit stamme. – Als dann Lampedusa in den Medien aufgetaucht sei, wollte er unbedingt dorthin, was nicht gelang. Stattdessen suchte er aufs Neue nach Förderern.
Ob er sich denn bewusst habe absetzen wollen von all den anderen Projekten, die sich seinerzeit um diesen Ort und dieses Thema drehten, will Brockmann wissen. Er, Brossmann, habe damals aufgehört, sich andere Beiträge anzusehen, habe die unzähligen Interviews und markigen Sprüche nicht mehr ertragen können. Die ständige Wiederholung der Ankunft der Flüchtlinge habe alles einer Invasion gleichkommen lassen. Ihm habe es an Lebensrealität, an Alltäglichem in diesen Darstellungen gefehlt, beispielsweise ein Fußballspiel wie es eben überall stattfände. Deshalb habe er sich von den Fernsehbilden abgrenzen, ursprünglich das Flüchtlingsthema gar komplett ausblenden wollen.
Weshalb er die Lokalen und nicht die Flüchtlinge selbst frage (Brockmann), sei durchaus ein Vorwurf, dem Brossmann sich wiederholt ausgesetzt sehe. Die Lampedusani seien die Stellvertreter für uns, für alle europäischen Staatsbürger, sie seien mittlerweile über Jahrzehnte hinweg Zeugen eines zunehmenden Flüchtlingsstroms. Letztlich kämen doch die Probleme Europas nicht mit den Flüchtlingen, nicht von außen, sondern von innen. Für Brossmann mangelt es letztlich an grundlegender Solidarität, es seien Verfehlungen der Regierungen, die nun wir und die Flüchtlinge gemeinsam auszubaden haben. Oft habe er gehört, dass für die Flüchtlinge viel getan würde, viel mehr als für „uns“ – die österreichische Art wäre, nun „Helft uns statt den Flüchtlingen!“ zu fordern. Aber es müsse stattdessen vielmehr lauten „Helft auch uns wie den Flüchtlingen!“, fordert Brossmann.
Statt Interviews zu führen habe er sich an andere Interviews „rangehängt“, den Radiomoderator sogar „missbraucht“, befindet Brockmann. Und Brossmann streitet nicht ab. Die Radiomoderationen seien tatsächlich nachgestellt worden, da die Musikrechte nicht finanzierbar gewesen wären und er zugunsten einer „abgerundeten Erzählung“ auf Texttafeln habe verzichten wollen. Ziel sei kein „Nischenprodukt für Dokunerds“ gewesen, wenngleich er diese nicht verprellen mag.
Aus dem Publikum wird gefragt, inwieweit Brossmann für die diversen Erzählstränge tatsächlich längere Zeit auf Lampedusa gelebt habe. Woraufhin er darlegt, im Film die Ereignisse zweier Winter zwar verarbeitet, doch nichts an ihnen verfälscht zu haben. Flüchtlingsprotest und Fischerstreik hätten beispielsweise parallel stattgefunden und seien nicht erst im Nachhinein miteinander „verschnitten“ worden: Während die Flüchtlinge mit dem Flugzeug „flohen“ hätten die Lampedusani tatsächlich auf die Fähre gewartet. Nach dem ersten Winter habe er versucht, die Ereignisse im Schnitt zu verstehen, im Folgejahr dann das fehlende Material nachgedreht, wobei sich Gelegenheiten wie eine Autofahrt meist ergeben hätten und nicht inszeniert seien.
Hinsichtlich der „Identifikationsproblematik“ (Publikum) mag Brossmann unterscheiden: Einerseits in den Versuch, einen Kontakt aufzubauen. Andererseits in die reine Kategorisierung und Abfertigung. Den Drang, sich dem zu entziehen benennt Brossmann als Selbstbestimmungsrecht. In Hinblick auf die Tatsache, sich nicht willkommen zu fühlen in Italien, steigere die Ablehnung der Identifizierung die Hoffnung auf eine selbstbestimmte Zukunft.
Werner Ružička sieht zwei gelungene Verschiebungen: Den Winter und damit einhergehend das fehlende Sonnenlicht, was die Touristen fernhält. Sowie das Motiv der Fähre als Kontakt zum Festland. Nicht „einverstanden“ erklären könne er sich hingegen mit dem „Good- Morning-Vietnam“, was zu einem späteren Zeitpunkt auch noch einmal aus dem Publikum bekräftigt wird. In seinen Augen verleihe dies der Geschichte etwas Periodisches, damit zwangsläufig eine Ende, was auf ihn wir eine „herbeigerufene Ordnung“ wirke. Brossmann kontert, für ihn habe sich vielmehr die Frage nach dem Hinein in die Geschichte als nach dem Heraus gestellt. Sicherlich habe er sich viel herbeigewünscht, darum gebeten habe er nicht.
Auf Joachim Schätz’ spitzfindige Frage, ob den der Film selbst die Flaschenpost sein wolle, merkt Brossmann zynisch an, dass er dann die Botschaft direkt analysiert und gut verpackt wegstellen könne. Er frage sich hingegen, inwieweit man dies trennen könne. Für ihn sei sein Film beides zugleich: Beobachtung und Botschaft, jedoch keinesfalls in einem agitativen Sinne.
Im Publikum wird nach dem Einfluss gefragt, den die mediale Aufarbeitung auf Brossmann gehabt habe, ob er an seinem ursprünglichen Plan habe festhalten können. Als er damals angekommen sei, so Brossmann, war Lampedusa gerade zwangsgeräumt worden. Viele meinten, er sei „zu spät“. Doch habe er die Zweifler ignoriert, jede Katastrophe immer wieder ausgesessen. So sei ein Film über das Danach, das Daneben entstanden.
Zum Schluss, auch das gehört dazu, wird es boulevardesk: Man habe gehört, dass die Fischer selbst keinen Fisch mehr äßen, wegen all der Leichen im Wasser. Ist das so? Brossmann stellt klar: Die Fischer wären stolz, Fischer zu sein. Der Diesel sei zu teuer. Das Personal sei zu teuer. Aber dies würde sich nicht davon abhalten, ihren eigenen Fisch solange zu essen, bis er ihnen zum Hals raushängt.