Film

Padrone e sotto
von Michele Cirigliano
CH 2014 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
05.11.2014

Diskussion
Podium: Michele Cirigliano
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Lisa Rölleke

Synopse

Süditalien. In Enzas Bar treffen sich die Männer des Ortes. Sie spielen Karten, Padrone e Sotto (Herr und Knecht). Der Gewinner darf trinken. Ein weiterer auch. Am Rande unterhalten sie sich mit Enza übers Kochen. Polenta. Gehen gemeinsam auf Jagd. Die Zerwürfnisse der letzten Runden vergessen. Bis zur nächsten. 

Protokoll

Der Regisseur kehrt an seinen Heimatort Tricarico zurück, um die Mentalität der Dorfbewohner besser kennenzulernen. Hier begleitet er eine Runde von Männern, während sie ‚Padrone e Sotto‘ (Herr und Knecht) spielen; wer gewinnt, darf trinken. Weit weg von der dolce vita, ist die Lebenswelt der Protagonisten von Arbeitslosigkeit und einem von Armut geprägten Stadtbild mit wenig Perspektiven und Freizeitangeboten bestimmt. Neben den Szenen, die die Männer diskutierend, spielend und trinkend in einer Bar zeigen, gibt der Film einigen Mitgliedern dieser Gruppe die Möglichkeit, ihre persönlichen Geschichten zu erzählen. Im Filmgespräch erklärt der Regisseur seine Idee für den Film: Der Wunsch, seinen Ursprungsort kennenzulernen, den er sonst immer nur für kurze Zeit besucht hatte, sei ausschlaggebend gewesen. Auch die noch immer starke Tradition des Bauernguts der Region habe er darstellen wollen. Einer der Hauptaspekte sei aber ‚Padrone e Sotto‘ gewesen; ein Spiel, das Michele Cirigliano schon seit langer Zeit fasziniert habe. Dabei handele es sich um mehr als nur ein banales Kartenspiel.

Werner Ružička merkt an, dass ‚Padrone e Sotto‘ im Film sehr strategisch eingesetzt würde. Es sei eine starke Setzung für den gesamten Film und gleichzeitig Motiv für den Anfang. Cirigliano leitet den Film mit einem kleinen Jungen ein, den er mit seinem eigenen kindlichen Ich vergleicht. Mit dem Jungen, der am Drehtag zufällig von seinem Vater mit in die Bar gebracht wurde, konnte sich der Filmmacher gut identifizieren, weil er genau wie Cirigliano damals mit Neugier und Furcht in die brüllende und Bier trinkende Männerrunde blickte. Auch deshalb handle es sich um einen sehr persönlichen Film. Kurz nach dieser Szene erklärt Cirigliano die Spielregeln von ‚Padrone e Sotto‘. Obwohl er hier dem Zuschauer erzählt, die komplizierten Regeln genauso wenig begriffen zu haben, gibt er in der Diskussion zu, das Spiel zu verstehen. Er wolle den Zuschauer nicht alleine und unwissend zurück zu lassen. Ružička fragt daraufhin, zu welchem Grad der Film arrangiert bzw. etwas um die tatsächlichen Geschehnisse herumgebastelt wurde. Der Regisseur antwortet, dass die Männer in ihrer Original-Formation dargestellt worden seien; lediglich die Sitzordnung habe er teilweise ändern müssen, da aufgrund der Raumverhältnisse eine feste Kameraeinstellung vorausgesetzt war. Daraufhin möchte Ružička wissen, ob die Protagonisten während des Drehs besonders grell und dominant waren. Cirigliano glaubt, dass die Kamera immer das Verhalten der anwesenden Personen verändere. Trotzdem habe er den Eindruck gehabt, dass die Männer authentisch wirken.

Eine Parallele zu Kurze Ecke von Bernd Schoch sieht Ružička bezüglich der Wirtin Heike. Wie die Hamburger Kneipenbesitzerin, ist in Ciriglianos Film auch die Wirtin eine starke Protagonistin. An einer Stelle im Film gibt Enza dem Zuschauer eine Interpretation des Spiels vor. Ob sie damit dem Zuschauer nicht schon die Antworten auf bestimmte Fragen vorgebe, möchte der Moderator wissen. Cirigliano antwortet, dass er dieses analytische Denken nicht von Enza erwartet habe und diese Szene deshalb unbedingt im Film lassen wollte. Enza zeige in Patrone e Sotto verschiedenste Facetten ihrer Persönlichkeit, so Cirigliano. Einerseits sei sie diejenige, die die Regeln aufstellt, die Fäden zieht und damit gegenüber den Männern eine Autorität einnimmt. Andererseits genieße sie auch die Rolle einer der wenigen Frauen in der Bar. Früher sei sie wegen ihrer Ähnlichkeit zu Sophia Loren, der sie damals sehr ähnlich sah, Sophia gerufen worden.

Ein Diskutant möchte wissen, ob die Anspielung auf das Genre des Western, besonders im Hinblick auf die Filmmusik, bewusst hergestellt wurde. Für den Regisseur sei dies tatsächlich eine Möglichkeit gewesen, die Duellhaftigkeit, aber auch die Ironie der Männerrunde deutlich zu machen. Diese entstünde unter anderem aus einer gewissen Ambivalenz der während des Spiels geführten Streitigkeiten. Sie seien zwar ernst gemeint, aber dann auch schnell wieder vergessen. Cirigliano sieht seine Protagonisten, anders als beispielsweise den unkonventionellen Heldentyp eines Clint Eastwood, als Antihelden. All das könne die Musik betonen.

Ružička lobt, dass die Kameraarbeit, neben den Geschehnissen in der Bar, auch eine zweite Bewegung, also eine Lebens- und Arbeitswelt außerhalb der Kneipe sichtbar macht. Cirigliano erinnert daran, dass der Süden Italiens immer noch eine verhältnismäßig verarmte Region sei. Das Verhältnis zwischen Süditalien und dem Staat sei von wirtschaftlicher Notlage und Korruption geprägt. Das im Film thematisierte Kartenspiel, bei dem häufig die Regeln missachtet oder neue informelle aufgestellt werden, erzähle auf metaphorischer Ebene sehr viel über das Italien der letzten 20 Jahre.

Ein Aspekt, der von einem Diskutant kritisiert wird, ist das Ende des Films, welches wie eine „Moral von der Geschicht“ daherkomme. In der besagten Schlussszene erzählt Cirigliano im Kommentar, dass die Spieler trotz aller Streitigkeiten nicht ohneeinander können, und bis dass der Tod sie scheidet, miteinander verbunden seien. Auch der Regisseur gibt zu, dass das Ende nicht zu 100 Prozent funktioniere. Grund für sein erneutes Auftreten im Film sei die Idee gewesen, ähnlich wie bei einem Buchdeckel, am Anfang und am Ende eine erzählende Funktion einzunehmen. Außerdem habe Cirigliano klarstellen wollen, dass er auch nach den Dreharbeiten ein Eindringling geblieben sei. Aller Streitigkeiten zum Trotz bilden die Männer eine eingeschworene Gemeinschaft, in der Cirigliano zwangsläufig nur die Rolle eines Adoptierten einnehmen konnte.