Film

Panihida
von Ana-Felicia Scutelnicu
DE/MD 2012 | 61 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
09.11.2013

Diskussion
Podium: Ana-Felicia Scutelnicu
Moderation: Cristina Nord
Protokoll: Christian Koch

Synopse

Eine Trauerzeremonie für eine alte Frau in einem moldawischen Dorf. Die ganze Gemeinde diskutiert, klagt und hält Wache am Totenbett, bis sich zum Morgen der Zug in Bewegung setzt. Zur letzten Stätte über trockene Felder und steinige Pfade führen ein endlos scheinender Weg, viel Wein und ein fluchender Pfaffe. 

Protokoll

In letzter Zeit, so formuliert es Eva Hohenberger als Publikumsfrage an Ana-Felicia Scutelnicu, scheine es bei jungen Filmemachern ein gewisses Misstrauen gegenüber den Strategien des Dokumentarischen, des Findens der Wahrheit durch die direkte Aktion im Feld der Wirklichkeit zu geben, wie es etwa im Direct Cinema noch gang und gäbe war. Bevor es zu dieser Frage kommen konnte, war das mehrheitlich überraschte Duisburger Publikum von der Regisseurin darüber aufgeklärt worden, dass nichts an ihrem Film dokumentarisch sei, alle Szenen seien gescriptet, langwierig vorbereitet und „gebaut“. Natürlich gebe es weder den Friedhof, den das Filmteam aufwändig auf einem Feld inszeniert habe, noch eine Leiche, die aus Gips sei. Auch der endlos lange Weg zum Friedhof sei eine dramaturgische Notwendigkeit gewesen, habe aber mit der Realität einer moldawischen Beerdigung nur bedingt etwas zu tun. Eigentlich habe sie einen Spielfilm mit Laiendarstellern gedreht, lediglich der Pfarrer sei von einem Schauspieler verkörpert worden, weil orthodoxe Priester nicht schauspielern dürften.

Ausgegangen war diese Auseinandersetzung um die Frage nach dem Verhältnis von Dokumentarischem und Fiktionalem von einer Frage Cristina Nords, die Panihida zunächst eine deutliche Transformation des „Realen“ ins „Fiktionale“ bescheinigte. Die starke Inszeniertheit des Films stelle ihn in eine Reihe mit zahlreichen Arbeiten der diesjährigen Duisburger Filmwoche, die vielfach den „geraden“ Weg des Dokumentarischen verlassen hätten. Scutelnicu gibt zu, dass sie diese Grenze in ihrem Film verwischt sehe, vor allem aber deshalb, weil sie gar nicht daran interessiert gewesen sei, etwas zu dokumentieren. Ihr sei es eher darum gegangen zu verstehen, was allen Moldawiern sofort klar ist, wenn von Panihida die Rede ist. Das Wort bezeichne zunächst einmal alles, was mit dem orthodoxen Beerdigungsritual zusammenhängt. Allerdings gebe es einen Mehrwert, der mit der simplen Darstellung des Rituals nicht erklärt werden könne. Diesen Stimmungen, Emotionen habe sie gerecht werden und ihnen einen filmischen Raum schaffen wollen. Dabei habe sie eine Wahrheit im Blick gehabt, der sie nur in dieser Form der Inszenierung Ausdruck habe verleihen können. Dabei sei es auch darum gegangen, als Filmteam ganz unsichtbar zu werden um den Laiendarstellern so viel Platz für die Entfaltung ihrer – durchaus echten – Gefühle zu geben wie möglich.

Aus dem Publikum kommt die Frage, ob es bestimmter Techniken bedurft habe, diese „wahrhaftigen“ Bilder zu produzieren. Es scheine als wäre die meiste Zeit aus großer Distanz gefilmt worden, so dass die Darsteller nicht gestört würden. Scutelnicu bejaht, man habe sich für eine Canon D5 Spiegelreflexkamera entschieden, um möglichst unauffällig agieren zu können. Für manche Szenen habe man die Kamera regelrecht verstecken müssen. So etwa habe man drei Tage lang vergeblich die Erzählung der alten Frau, die das jungen Mädchen über den Tod aufklärt, zu drehen versucht, bis man die Kamera hinter der Regisseurin in einer Moltonwand verborgen habe. Erst das habe die Darstellerin befreit.

Welche Wahrheit habe Scutelnicu dabei im Blick, fragt Cristina Nord, schließlich gebe es auch viele andere Wahrheiten, etwa die von der Kamerascheu der Akteure, die Kunstblumen auf den echten Friedhöfen, die die Regisseurin nicht habe ins Bild setzen wollen. Die Regisseurin bejaht auch dies. Der Film sei eine Übertreibung, die der Verdeutlichung ihrer eigenen Perspektive auf das Thema diene, sie habe ein Kunstwerk schaffen wollen und kein Abbild der Wirklichkeit. Alle Entscheidungen, die im Bild manifest werden, hätten sie und ihr CoAutor Tito Molina bewusst so getroffen, auch gewisse Inkonsistenzen und technische Schwächen einkalkulierend, die sich aus der Wahl der Aufzeichnungstechnik ergaben.

Gleichwohl habe man vielfach auch dem Zufall Raum gegeben, woran die Darsteller erheblichen Anteil gehabt hätten. Was genau sie sagen und tun würden, war nie klar. So habe sich der Film auch für Überraschendes, Unvorhergesehenes geöffnet. Etwa in der Schlussszene, in welcher der Beerdigungssänger betrunken ein Trinklied singt, sei dies zwar die Idee gewesen, jedoch habe man nicht geahnt, wie genau er agieren würde. Dass er auf diese Weise getanzt und einen Schritt auf die Kamera zu gemacht habe, der die Frauen dazu veranlasste, ihm zu sagen er möge an seinen Platz zurückkehren, habe man nicht planen können.

Ob sich nicht noch mehr Raum für derlei ergeben hätte, wenn nicht alles am Film so „gebaut“ gewesen wäre? Das kann die Regisseurin nicht verneinen, nennt mit Abbas Kiarostami sogar einen Filmemacher ihr Vorbild, der sich sehr viel Zeit für genaueste Beobachtung genommen habe, um diese Räume aufzuspüren und nicht vorauszuplanen. Jedoch seien die Herangehensweisen an einen Film eben unterschiedlich und auch von ökonomischen Voraussetzungen geprägt.

Ein Diskutant möchte wissen, ob die Regisseurin die Verwirrung über den dokumentarischen Charakter des Films einkalkuliert und die Inszeniertheit des Films bewusst verdeckt habe. Auch das verneint Scutelnicu, sie habe den Film immer als Spielfilm auf Festivals eingereicht. Als er dann auf dem SEEfest Los Angeles den Preis für den besten Dokumentarfilm gewonnen habe, sei ihr klar geworden, dass der Film ein „dokumentarisches Eigenleben“ führe. Natürlich freue sie sich darüber, dass er auf ein Dokumentarfilmfestival eingeladen würde. Die Geradlinigkeit der Regisseurin verblüfft viele Zuhörer im Publikum, die aber einhellig ihre Zustimmung zu der Methode äußern. So scheint das anfängliche Raunen im Publikum angesichts der Bekenntnisse der Filmemacherin zum Spielfilmcharakter von Panihida wohl ein wohliges Erschauern ausgedrückt zu haben.