Synopse
Wien, Sozialmedizinisches Zentrum Ost, genannt das Donauspital. Ein hochkomplexes System, ausdifferenziert in Konferenzräume, Operationssäle, Patientenzimmer. Transportwägen sorgen computergewiesen für Nachschub und Entsorgung. Hier sind Geburt und Tod Teil des Alltags, Fürsorge und Zuwendung Funktionen der Routine.
Protokoll
Nikolaus Geyrhalter zieht es an Orte, zu denen man im Alltag keinen Zugang hat. An solche Orte zu gelangen wird allerdings immer schwieriger, berichtet er. Eine Tendenz, die Ružička überrascht: Er dachte, die Institutionen öffnen sich? Nur, wenn sie die Kontrolle darüber behalten, was gefilmt wird, so Geyrhalters Erfahrung, wenn das Filmteam unter ständiger Aufsicht der Presseabteilung stehe.
Ihm war aber klar: Seinen Film kann er nur machen, wenn er beim Dreh freien Zugang zum gesamten Krankenhausapparat hat. Beim ersten Spital, das Geyrhalter als Drehort anvisiert hatte, stieß er mit diesem Anliegen auf totale Ablehnung. Der zweite Versuch aber wurde zum „dokumentarischen Glücksfall“: Die Direktorin des Donauspitals verstand das Projekt sofort und gewährte dem Team die gewünschte unbeschränkte Dreherlaubnis. Bedingung war, dass am Ende eine Abnahme stattfindet (bei der letztendlich nichts beanstandet wurde). Gesorgt habe sich die Direktorin nicht um potentielle Imageschäden für das Haus, sondern vor allem um die Einhaltung der Patientenrechte. Um diese zu wahren, brachte Geyrhalters Team das technische Manipulationsinstrumentarium in Anschlag: Wo Namen fielen, wurden diese digital verändert; wo Gesichter anonymisiert werden mussten, wurden sie nachträglich umgebaut. Auf die Namensänderungen wird im Vorspann hingewiesen, die zweite Maßnahme bleibt, wie schon beim Vorgänger „Abendland“, für den Zuschauer unsichtbar. „Früher brauchte man Augenbalken, jetzt geht das so, dass man es nicht mehr spürt“ – Geyrhalter zeigt sich fasziniert von den neuen Möglichkeiten.
Nach der ersten Begehung vor Ort wurde das Team gefragt, wo im Gebäude sie denn drehen möchten. Geyrhalters Antwort, natürlich: „Überall“. Der gesamte Krankenhausapparat sollte in seinen kleinteiligen Mechanismen dargestellt werden, jenseits der sozialen Hierarchien. Das bedeutete auch, sich immer wieder neu den Vorschriften und Gegebenheiten der jeweiligen Spezialtrakte anzupassen, die ordnungsgemäße grüne, weiße oder blaue Kluft anzulegen, die Kameras zu desinfizieren. Komplexe Vorgänge, die mit dazu beitrugen, dass sie sich auf die Dauer nicht mehr als Eindringlinge fühlten, sondern fast als Teil des Apparates, den sie abbilden wollten.
Dieser Eingewöhnungsprozess spielte auch für die Abfolge der Dreharbeiten eine Rolle. Die vollautomatischen Transportroboter, die als skurriles Leitmotiv und Generalmetapher durch den Film surren und ihm sein „Science-Fiction-Parfum“ (Ružička) verleihen, mussten sie ganz zu Anfang filmen, wohl wissend, dass sie sie schon nach ein paar Tagen so nicht mehr wahrnehmen würden. Dagegen fand die Konfrontation mit den angstbesetzteren Teilen des Apparates, OP und Pathologie, erst später im Laufe der fünf Drehwochen statt. „Wenn man sich so etwas anschaut, dann muss man auch hinschauen“, da ist Geyrhalter unerbittlich: Diese Bereiche nicht zu zeigen, wäre zahnlos und feige gewesen. Bei der Auswahl der Szenen spielten weder moralische Bedenken eine Rolle, noch habe man bestimmte Bilder für unzumutbar befunden. Nur in der Pathologie hätte man noch weiter gehen können, da bewege sich der Film nah an die Grenze. Ein Zuschauer bestätigt diese Einschätzung: Etwa 20 Prozent des Filmes habe er verpasst, weil er wegschauen musste – wer sich während der Vorstellung im Saal umgesehen hat, weiß, dass er nicht der Einzige war.
Die religiöse „Krankensalbung“ einer alten Frau, eine der skurrileren Szenen des Films, wurde nach realen Umständen nachgestellt, um die Arbeit der Krankenhausseelsorger zu repräsentieren. „Es war gerade niemand zum Ölen da“, also habe man die alte Dame gebeten, die Zeremonie für die Kamera wiederholen zu lassen.
Befremdlich sei das, heißt es aus dem Publikum, so einen intimen Moment zu reinszenieren. Geht da nicht der Charakter des Dokumentarischen verloren? Geyrhalter widerspricht vehement: Das Nachstellen von Szenen sei noch eines der legitimsten Mittel im dokumentarischen Inventar, das Verändern der Gesichter z.B. empfinde er als viel problematischer.
Doch zurück zu den Seelsorgern: Für Peter Ott offenbart sich hier der Anachronismus dieser reinen „Wohlfühlreligiosität“. Dass die Priester ihr Ritual für die Kamera wiederholen, zeige, dass sie selbst schon nicht mehr daran glaubten. Geyrhalter weist darauf hin, dass die Seelsorge-Abteilung sehr wohl wichtige Arbeit leiste. Während sonst niemand Zeit habe zum Reden, fänden dort intime Gespräche mit den Patienten statt (die selbstverständlich nicht gefilmt werden konnten). Für Ružička zeigt sich in der Instanz der Seelsorge „die Notwendigkeit, Unveränderbares auf verbale Art zu sedieren“. Der Mensch ist ein trostbedürftiges Wesen.
Wie sich der Apparat, das System Krankenhaus hier darstellt, hat das Publikum jedenfalls nachhaltig beeindruckt. Natürlich kritisieren wir alle diese durch und durch technische Medizin, meint Geyrhalter. Aber „irgendwann ist eben Schluss mit Globuli“, und dann sind wir doch froh, dass es all diese Möglichkeiten gibt. Gleichzeitig ist „Donauspital“ für ihn auch ein Film über den Rest der Welt, der keinen Zugang zu der Hochtechnologie hat, die wir uns hier (noch) leisten. Diesen erstaunlichen Apparat, der bei aller Lakonie und Effizienz auch Raum für ein Quäntchen verquere Romantik lässt: In einer Szene des Films kreuzen zwei Mitarbeiter, die einen Toten transportieren, einen der emsigen Transcar-Automaten – der menschliche Körper hat Vorfahrt vor der Maschine, interpretiert Ružička. Geyrhalter ergänzt, dass die Totentransporte aus Pietätsgründen nicht von den Robotern erledigt werden; da wird der Apparat wieder menschlich. Möchte man ihn im Sinne Wisemans auch als Spiegel der Gesellschaft begreifen, dann ließe sich hierin vielleicht sogar ein bisschen Trost finden.