Synopse
Leben in den Bergen Argentiniens im frühen 21. Jahrhundert. Inmitten der Natur werden Arbeiten erledigt: Lehm stechen, den Traktor flott machen, Maismehl mahlen, Leder bearbeiten. Ein Rind wird geschlachtet. Nebelwolken ziehen vorüber. Ein Bus fährt in die nächste Stadt.
Protokoll
Der am häufigsten gefallene Satz: „Das müsste man echt den Thomas fragen.“ Der Thomas, also Regisseur Thomas Heise, hatte von seinem Arzt Sprechverbot erhalten und blieb daher in Berlin. Er wurde von Robert Nickolaus, einem der drei Kameraleute des Films, und Trevor Hall, dem Cutter, vertreten. Und die mussten naturgemäß bisweilen über Bande spielen, im imaginären Zusammenspiel mit dem abwesenden Protagonisten.
Heise in Argentinien, „im falschen Land“, wie Vrääth Öhner anmerkte. Nicht in der Flachebene Brandenburgs, sondern im argentinischen Hochland. Einen Winter und einen Sommer lang begleitete er im Auftrag des Goethe-Instituts in Buenos Aires den Alltag der indigenen Bevölkerung der Kollas von Tinkunaku. Es sind Miniaturen eines fast archaischen Lebens: Maismehl wird gemahlen, ein Rind geschlachtet, Leder bearbeitet. Dazwischen geschnitten immer wieder Beobachtungen der Natur und atemberaubende Aufnahmen der Landschaft. „Es ging darum“, so Trevor Hall, „einen Ort zu zeigen, der sprachlos macht – als Gemälde.“
Dieser Ort ist in zwei Abschnitte geteilt, in ein Unten und in ein Oben. Unten auf rund 800 Metern ist die ursprüngliche Kultur schon auf dem Rückzug. Hier sind die Geschäfte, Schulen, die Infrastruktur der Moderne. Den oberen Teil auf 3600 Metern nennen die Bewohner das „Paradies“. Hier ist es noch fast so, wie es immer gewesen ist, hier würden sie eigentlich gerne dauerhaft leben, wenn das möglich wäre.
In einer längeren Sequenz sieht man sie bei einem Umzug. Sie machen Lärm und tragen furchterregende Masken, eine Art Faschingsparade zur Vertreibung der bösen Geister. Ihr böser Geist ist Christoph Kolumbus. Sie feiern den Tag vor der Ankunft des Amerika-Entdeckers. Mit seiner Landung begann ihre Vertreibung aus dem Paradies, dem „Sonnensystem“, wenn man so will.
„Der Film“, so die These von Vrääth Öhner, „arbeitet an der Herstellung des Paradieses.“ In der langen Schlussfahrt durch die Baracken und Behelfshütten in der Peripherie von Buenos Aires sieht er das defizitäre Gegenmodell. Für Öhner eine „Form von Romantik“, er hätte auch Kitsch sagen können. Vor allem die musikalische Untermalung der Passage mit einer „Lacrymosa“-Interpretation von Dmitri Yanov-Yanovsky stößt nicht auf ungeteilte Gegenliebe. Petra Schmitz ist von der Musik „überrascht“. Eine so starke, eindeutige Botschaft hätten die Bilder nicht gebraucht, doch: „Es ist jetzt so, wie’s ist.“ Die ursprüngliche Idee, wusste Hall zu berichten, war sogar, die Musik während jeder Aufführung live performen zu lassen.
Was bei SONNENSYSTEM auffällt: das fast völlige „Fehlen von Sprache“ (Öhner). Der Grund ist simpel: Heise spreche überhaupt keine Fremdsprache, erzählte Robert Nickolaus, er selbst kein Spanisch, so dass gar keine verbale Kommunikation möglich gewesen wäre. Nur in der erste Drehphase, der kürzeren der zwei, sei eine Übersetzerin dabei gewesen. Geholfen habe, so Nickolaus, dass sie im Dorfladen geschlafen hätten, wo alle Bewohner zwangsläufig mindestens einmal am Tag vorbeigekommen seien. Das hätte das Kennenlernen sehr erleichtert.
Zeit für Anekdoten, Nickolaus hat ein paar auf Lager. Einmal seien sie um 14 Uhr mit dem Bürgermeister und einigen anderen Dorfbewohnern verabredet gewesen. Nur: Die wenigsten sind im Besitz einer Uhr. So dauerte es bis zum späten Nachmittag, bis alle nach und nach auf dem Dorfplatz eintrudelten, wo auf sie jedes Mal ein besonderer Service wartete: „Jeder, der kommt, wird erst einmal darüber informiert, was in seiner Nicht-Anwesenheit besprochen wurde.“ Die Szene mit dem Jungen, der in einen Lehmball eine Figur ritzt, kam so zustande: „Der Junge wollte uns laufend was zeigen und es scheiterte immer daran, dass wir gerade mit einem anderen Dreh beschäftigt waren. Doch diesem Fall hatten wir endlich Zeit und folgten ihm zu dieser Lehmgrube.“
Und das mit spartanischen Mitteln. Das Equipment, berichtete Nickolaus, passte in zwei Rucksäcke. Eine Zuschauerin zeigte sich davon sehr beeindruckt: „Trotz dieser Bedingungen haben Sie eine Ästhetik zustande gebracht, die faszinierend ist.“ Eine andere formulierte es noch bündiger: „Ein wunderschöner Film!“ Das muss dem Thomas unbedingt einer erzählen!