Film

Sonbol
von Niko Apel
DE 2008 | 54 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
06.11.2008

Diskussion
Podium: Niko Apel
Moderation: Andrea Reiter
Protokoll: Judith Funke

Synopse

Sonbol Fatemi lebt im Iran und ist 35 Jahre alt. Sie ist Single. Sie hat eine eigene Zahnarztpraxis und in ihrer Freizeit fährt sie Autorallyes, am liebsten gegen Männer. Viele sähen sie gern anders. Sonbol kämpft und zahlt den Preis. 

Protokoll

Sonbol ist Rallyefahrerin im Iran – wenn man dort nicht einmal wieder versucht, Frauen die Teilnahme an Rallyes zu verbieten. Dann wird sie, die wohlsituierte Zahnärztin und sonst kaum politisch Interessierte, zur Aktivistin, streitet für ihr Recht, gleichberechtigt gegen die Männer anzutreten. Wenn das schon in ihrem übrigen Leben nicht möglich sein soll, dann doch wenigstens auf der Rennstrecke.

Eine Frau, „die sowas macht“ (Apel), die sich in einem Land wie dem Iran in diesem von (reichen) Männern dominierten Sport behauptet, müsse etwas spannendes an sich haben, hatte Niko Apel vermutet, als er in Deutschland auf einen Bericht über den Rallye-Sieg einer Frau in Teheran stößt. Diese prominentere Kollegin Sonbols erschien ihm bei der Recherche vor Ort als Persönlichkeit dann aber doch „nicht so interessant“. Dass Apel mit seinem Sujet dennoch richtig lag, beweist nun Sonbol: Als eine mutige, offene und sympathische Frau „zwischen Aufbegehren und Anpassung“ beschreibt Andrea Reiter die Protagonistin und zeigt sich tief beeindruckt von ihrer progressiven Einstellung, ihrem Stolz, aber auch von ihrer „immer zu spürenden Melancholie“ und Resignation. Das Publikum zeigt sich ähnlich fasziniert. Es werde deutlich, „wie ein starke Persönlichkeit einen Film tragen kann“. Über das Portrait von Sonbol werde auch die Komplexität der iranischen Gesellschaft transportiert, die Spannung zwischen öffentlichem und privatem Leben, die problematischen Geschlechterverhältnisse.

Gelobt wird auch, wie nah Apel an seine Protagonistin herangekommen ist. Hierfür sei die aus Deutschland mitgebrachte Dolmetscherin (und Regieassistentin) unentbehrlich gewesen, die sich mit Sonbol angefreundet habe; sie seien regelrecht in die Familie aufgenommen worden. Auch Apels Entscheidung, mit einem durchweg weiblichen Team in den Iran zu reisen, habe es wesentlich erleichtert, bestehende Barrieren zu durchbrechen.

Die aus Zuschauersicht verblüffende, westlich anmutende Offenheit Sonbols erwies sich für das Filmteam allerdings auch als problematisch. Ihre gesellschafts- oder auch religionskritischen Äußerungen hätten tatsächlich, wie Reiter vermutet, Konsequenzen nach sich ziehen können. Nach einem ausgiebigem Austausch mit im Iran arbeitenden Filmemachern habe man einzelne Passagen leicht entschärft, berichtet Apel. Die letzte Entscheidung habe allerdings bei Sonbol selbst gelegen, die auch für die Zensur eines „schmutzigen“ Wortes in einem ihrer vulgären Witze verantwortlich zeichnet – dieses sei „einer Zahnärztin nicht würdig“ gewesen.

Der spezielle Humor Sonbols sei typisch für die obere Mittelschicht, anstößige bis pornografische Witze fester Bestandteil der Alltagskultur, neben der, wie Apel befürchtet, sie als Deutsche „voll unlustig“ gewirkt hätten. Auch die „farbenfrohe Sprache“ sei in ihrer Reichhaltigkeit in der deutschen Übersetzung kaum vermittelbar, was vor allem im Schnitt als Problem deutlich wurde. Insgesamt scheint Apels Arbeit von einer großen Formsensibilität bestimmt. Die Gespräche wurden nur an ausgewählten Orten geführt, Situationen gezielt provoziert. Ein besonderes Gespür für Situationen und Räume wird beispielsweise bei der Nachtszene im Auto deutlich: Sonbol über den Rückspiegel vermittelt zu filmen, erschien Apel „formal richtig“, dem emotionalen Modus der „kontemplativen Reflexion“ eher angemessen als die direkte Interviewsituation. Apel habe tiefergehende Gespräche schon immer gerne ‚im Schutze der Nacht’ geführt, so auch hier. Zudem sei das Auto in der Tat, wie von einem Diskutanten eingeworfen, ein „Freiheitssymbol par excellence“, aber nicht primär in Bezug auf das amerikanische Road-Movie. Vielmehr beruhe der Stellenwert des Autos im Iran auch auf der Tatsache, dass der Straßenverkehr einer der wenigen nicht kontrollierbaren Räume ist – eine rare Gelegenheit für laute Musik, Flirts, das Ablegen des Kopftuchs. Freiheit ist hier deckungsgleich mit Sicherheit; Sonbols Wagen also ein idealer Raum für das offene und damit potentiell gefährliche Gespräch.

Die gesellschaftlichen Zwänge spiegeln sich im fortwährenden Konflikt mit der Mutter, die aus Angst vor Repressionen auch bei den Dreharbeiten versucht habe, Sonbol in ihrer Offenheit zu bremsen. Der Vater hingegen, ein „lieber, höflicher, weiser Herr“, habe aus seinen früheren Fehlern gelernt und als Antagonist schlichtweg „nicht getaugt“.

Ružička begeistert sich besonders für die Stärke des Films, durch geschickte Arrangements von Räumen und Situationen die Menschen auch nonverbal „zum Reden zu bringen“. Selbst die auf strenge Zurückhaltung erpichte Mutter offenbare sich in der Tanzszene als junges Mädchen, präsentiere ihren Körper ohne Verlegenheit. Eine stark erotische Komponente des Filmes komme hier zum Tragen, deren Präsenz Ružička auch aus den Kommentaren der anderen Diskutanten herausgehört haben möchte.

Für die Aufnahmen der Rallye habe man einen „Riesenaufwand betrieben“, dennoch gab es kaum brauchbares Material. Für das Ende, diesen „Traum von einem brillianten Filmschluss“ (Ružička), wurde auf Videomaterial zurückgegriffen, dass ein Mechaniker auf der Strecke gedreht hatte, glücklicherweise ein „begnadeter Kameramann“.

Das Schlussbild des Films: Wie einen Pokal halten Sonbol und ihre Mitfahrerin triumphierend das zu Schrott gefahrene Autorad in die Höhe. Für Andrea Reiter ein Sinnbild dafür, wie sich die Frauen in ihrem aussichtslosen Kampf ihren Stolz bewahren. Und deshalb „siegen, selbst wenn sie auf der Strecke stecken bleiben“.