Film

Playgirl
von Anna Wahle
CH 2008 | 28 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
04.11.2008

Diskussion
Podium: Anna Wahle, Elisabeth Rassbach (Schnitt)
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Nina Selig

Synopse

Playgirl ist sexy, tough und nicht auf den Mund gefallen. Schon gar nicht, wenn es um Jungs geht. Doch mit Pavel, ihrem Freund, läuft es eher bescheiden. Und überhaupt, wieso sollte man noch an die wahre Liebe glauben?

Protokoll

Auf der Straße versuchen Mädchen zu finden, die gewalttätig sind

Alles hat mit einem Artikel über gewalttätige Mädchen begonnen, den Anna Wahle in der Zeitung las. Über ein Anti-Aggressionstraining der AWO versucht sie, an eine mögliche Protagonistin für einen Film über das Thema zu kommen. Doch sie scheitert im ersten Anlauf an den Bedingungen, die ihr die AWO für einen Dreh während des Trainings stellt. Nach missglückten Versuchen, die Protagonistin auf der Straße zu finden kehrt sie ein Jahr später mit Erfolg zur Institution zurück. Sie lernt über ein anderes Mädchen Nazanin kennen und befand „…die ist witzig. Die würde ich gerne mal dazu bringen, ruhig und ernst zu sein.“ (Wahle). Es beginnt ein viermonatiger Versuch von Wahle, hinter die „toughe Fassade“ von Nazanin zu kommen.

Die Protagonistin als reine Oberfläche

Peter Ott merkt an, dass sich Wahles Film nur an dem aufhält, „was man oberflächlich nennen würde. Die ständige Ablenkung, das Telefonieren mit zwei Handies, der Base-Chat, der Computer. Alles findet an der Oberfläche statt.“ (Ott). Gab es ein Bestreben, dahinter die eigentliche Person zu suchen? Psychologische Fragen haben Wahle zu sehr an die Anti-Aggressionstrainerin erinnert. Aber, sie hat versucht dahinter zu kommen, was Nazanin eigentlich fühlt. Also gibt es doch etwas „Eigentliches“?

Der eigentliche Sinn des Lebens

Wahle hat ihre Protagonistin und auch sich während des Drehs gefragt, was der eigentliche Sinn des Lebens sei. Die Antwort Nazanins, es gäbe keinen Sinn, wertet Wahle als Zeichen der Auseinandersetzung und des Kokettierens mit dem „Eigentlichen“. Nazanin hat, so Peter Ott, die direkte Wahrheit gespürt, „Leben macht objektiv keinen Sinn. Alles was wir uns einbilden ist genauso Fake wie der Junge im Base-Chat“ (Ott). Im Schnitt, so Elisabeth Rassbach, hat sie sich „auf die Frage nach dem Wesentlichen“ konzentriert. Für sie war das Material eine neue Erfahrung, „das ruckelt halt, aber so ist sie ja auch“ (Rassbach).

Unterwegs sein

Ein Diskutant merkt an, dass ihm der Film sehr orts- und damit auch identifikationslos vorkam. Nazanin wird nur in Zwischenräumen gezeigt, es sind keine privaten Räume zu sehen. Wahle sagt, sie ist dem Lebensrhythmus der Protagonistin gefolgt, die entweder ohne Anwesenheit der Kamera zuhause ganze Tage verschlafen habe oder immer unterwegs gewesen sei. „Ästhetisch habe ich einfach nur versucht drauf zu halten“ beschreibt Wahle ihre Kameraarbeit.

Auf Pepe Danquarts Einwand, er halte Playgirl für ein konzeptionsloses Filmchen, in dem die Protagonistin ein wenig ausgebeutet wird, man keine Wärme spürt und die Inszenierung der Umwelt nicht reflektiert wird, antwortet Wahle: „Die ist immer so, das ist ihre Art, das ist ihr ‚Mode’“ Danquart hat den Eindruck, dass Wahle ihre Fragen an Nazanin so stellt, als ob sie eine bestimmte Antwort erwartet. Peter Ott widerspricht: Er hat das Verhältnis von Filmemacherin und Protagonistin als Freundschaft wahrgenommen. Sie hat Nazanin, so Wahle, gemocht wie eine kleine Schwester, hat sich um sie gesorgt und „wollte die Dinge wirklich in dem Moment wissen“ (Wahle). Sie hat Nazanin den Film gezeigt und diese fand sich „ehrlich dargestellt“ (Wahle). Ein Urteil, das der Filmemacherin wichtig war.

Im Grunde sprachlose Leute filmen

Aus dem Publikum kommt die Frage, wie man „solche Leute, die im Grunde genommen sprachlos sind“ (Diskutant) überhaupt filmen soll. Anna Wahle hat sich nicht an ihre Protagonistin angebiedert. „Das war schon ganz gut, könnte aber besser sein.“ (Diskutant) Danquart wendet sich mit der Bemerkung, dass das Leben keinen Sinn hat, „aber sich bemerkbar machen schon“ (Danquart) auch an Ott. Er wirft Wahle vor, durch die Auswahl der Ausschnitte ein unkomplettes Bild von Nazanin zu schaffen und sieht die Sequenz der Praktikumssuche als Inszenierung. Wahle widerspricht, es sei nichts inszeniert gewesen. Sie hat Nazanin morgens angerufen und gefragt, was sie machen werde und ob sie mit darf.

Bildungsbürgerliche Reflektionen

Eine Diskutantin identifiziert das Publikum als Bildungsbürgertum, das an den emotionalen Stellen des Films gelacht habe und nun „fragwürdige Kommentare“ (Diskutantin) abgeben würde. Genau dieser Begriff des „Bildungsbürgertums“ ist ihr, so Hilde Hoffmann, während des ganzen Films durch den Kopf gegangen. Sie findet die Fragen, die Wahle Nazanin stellt, sehr weit weg von deren Lebensrealität und diese Distanz hört für sie zu keinem Zeitpunkt auf. Wahle hat für Hoffmann ein klares Bild, was gutes Leben ist, das sie nie zugunsten einer Neugier auf die Protagonistin aufgibt. Nazanin reagiert auf Wahle, so Hoffmann weiter, wie sie selber auch auf eine Sozialarbeiterin reagieren würde, mit dem „Abrufen von eingeschliffenen Verhaltensweisen gegenüber einem Establishment“ (Hoffmann).

Den Begriff der Inszenierung, der durch den Raum schwebt, befindet Ott als fragwürdig. Der Sinn des Lebens ist ein Platz in der Gesellschaft und dieses Anliegen ist in dem Film präsent (Ott). Warum es mehr Dokumentarfilme über Arme als über Manager gebe, fragt sich ein Diskutant. Diese Frage wird (in der immer hitziger werdenden Diskussion) nicht beantwortet. Stattdessen werden von einer anderen Diskutantin Vorwürfe an das Publikum gemacht, es würde zu sehr die Unterscheidung „wir“ und „die“ treffen. Im Film geht es für sie um Grundsätzliches, das alle betreffen würde. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, Liebeskummer etc. sind klassenübergreifende Herausforderungen. „Absolut nicht,“ ist Peter Otts Einwand, der von einem lauten Zwischenruf unterbrochen wird: „Das ist doch Blödsinn. Der einzig aufrichtige Film wird vom Publikum vorgeführt.“ Die Regisseurin ruft von der Bühne aus, sie fühle sich „völlig angegriffen“ (Wahle).

Ein Diskutant, der sich selber zum Bürgertum zählt, fragt, ob Wahle mit der Szene im Aquarienhaus des Zoos die Sensibilität und Natürlichkeit einer artifiziellen Person zeigen wollte. Wahle antwortet, sie wollte mit Nazanin raus aus dem normalen Alltag, „vielleicht erinnert sie das an was. Sie war da so eins mit sich.“ (Wahle).

Eva Stotz (Sollbruchstelle) wendet gegen Ende der Diskussion ein, das jede Frage, die in einem Dokumentarfilm gestellt werde, richtig sei.

Fazit

Die Frage nach dem Sinn des Lebens, so Peter Ott, stelle sich jedoch nicht für jeden gleich. Natürlich, so eine Antwort aus dem Publikum, stelle sie sich für jeden gleich, nur die Antwort sei verschieden.

Ott widerspricht, denn über drei Dinge sollte man sich keine Illusionen machen:

1. Dass wir in einer Klassengesellschaft leben.

2. Dokumentarfilm und Inszenierung.

3. Die bürgerliche Vorstellung einer mit sich selbst identischen Person.

Gut, dass wir in Duisburg sind (Ott).