Film

Chinesisch von Vorteil
von Sylvie Boisseau, Frank Westermeyer
DE 2008 | 40 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 32
07.11.2008

Diskussion
Podium: Sylvie Boisseau, Frank Westermeier
Moderation: Hilde Hoffmann
Protokoll: Judith Funke

Synopse

Eine Versuchsanordnung: In Deutschland lebende, junge Chinesen sinnieren im Unterricht über die chinesische Mentalität. Deutsche, die Chinesisch lernen, erzählen von ihren Eindrücken in China. Alle müssen ihre Worte sorgsam wählen.

Protokoll

Zwei Gruppenfotos von Teilnehmern einer Stuttgarter Sprachschule für Chinesisch sind dem Film vorangestellt. Eines zeigt chinesischstämmige Kinder, das andere deutsche Geschäftsleute. In einem Ort konzentriert werden hier, wie Boisseau formuliert, zwei gegenläufige Bewegungen der Migration sichtbar; „Motor des Ganzen“ sei deren Spannungsverhältnis.

Wie in einer „Versuchsanordnung“ (Hoffmann) werden die beiden Gruppen (in der ursprünglichen Konzeption als Videoinstallation auch räumlich) gegenübergestellt, gegensätzliche Sichtweisen der chinesischen Kultur miteinander konfrontiert.

Die Kursteilnehmer äußern sich in mehr oder weniger mühsam vorgetragenen, schriftlich vorbereiteten Texten zu ihrem Verhältnis zu China, wobei sich frappierende Gegensätze ergeben: Die Kinder möchten nicht zurück in ihre Heimat (bzw. die der Eltern), beschreiben ein China, das von zu großem Leistungsdruck und einer harten, rücksichtslosen Mentalität geprägt ist. Für die Deutschen dagegen – die, so Westermeier, „eher auf der Vorstellungsebene migrieren“ – scheint China Inbegriff der Selbstverwirklichung und des sozialen Statusgewinns zu sein, ein Land der Freundlichkeit, vor allem aber der unbegrenzten (beruflichen) Möglichkeiten.

Angesichts dieses Kontrasts stellt Hilde Hoffmann die grundlegende Frage nach der Konstruiertheit dessen, was als Kultur diskutiert wird. „Jaja“, bestätigt Boisseau, natürlich sei Kultur immer konstruiert. „Jeder baut sich seine eigene kleine Kultur“. Westermeier wirft ein, man dürfe die Kultur-Frage nicht zu sehr verallgemeinern. In der westlichen Kultur spiele die „Projektion auf den Anderen“ seit jeher eine große Rolle, was sich beispielsweise in Strömungen wie dem Exotismus zeigt oder auch, im Bereich der Populärkultur, bei Karl May. Um China in dieser Hinsicht einschätzen zu können müsste man aber mehr über die klassische chinesische Kultur wissen.

Boisseaus und Westermeiers gemeinsame Arbeiten gehen immer von einem ganz konkreten Ort aus, in diesem Fall die Sprachschule, deren „merkwürdige Durchgangsräume“ (Hoffmann) in Verbindung zur Sprachthematik gesetzt werden. Das Verhältnis von Sprache und Räumen verändere sich durch die Migration: Es eröffnen sich andere Handlungsräume als die, aus denen die Sprachen hervorgegangen sind.

Gelobt wird vom Publikum die szenische Umsetzung, der „hohe Stilisierungsgrad“ sowie die „enorme Zuspitzung“ auf die Art und Weise, wie gesprochen wird. „Befremdlich, aber ehrlich“ habe Westermeiers Auftritt als Fremdkörper in der Schulklasse gewirkt.

Hoffmann sieht eine „ungeheure dokumentarische Qualität“ des Films in der Fähigkeit, das Bemühen um Sprache einzufangen. Dieses sei essentiell für das „Sprachraumthema“, so Boisseau, denn das Sprechen von Fremdsprachen bedeute schließlich eine „physische Anstrengung (Boisseau).

„Zwischen Loriot und TV-Sprachkurs der 80er Jahre“ verortet ein Diskutant die komische Dimension des Gesehenen. Boisseau: „Also gegen Humor und Lachen haben wir nichts.“ Ein Glück, denn wie Hoffmann bereits eingangs festgestellt hatte, wurde der Film in Duisburg „extrem munter“ aufgenommen. Für das Filmerlebnis scheint Chinesisch allerdings nicht zwangsläufig von Vorteil zu sein: Eine chinesische Diskutantin möchte die negativen Aussagen der Kinder zum Schulsystem relativieren und erstaunt die Filmemacher mit ihrer Kritik an der Interpretation der von den Kindern nacherzählten Passage von Lu Xun (dem ersten modernen Schriftsteller Chinas). Es sei „sehr traurig, dass die Kinder schon so eine falsche Einstellung haben, weil sie den Hintergrund gar nicht kennen“.

Die Lektüre von Lu Xun hatten die Filmemacher für die Schulklasse vorgeschlagen, um noch ein drittes Element einzuführen: der Schriftsteller als ein Chinese, der „rausgegangen ist“, der das Andere, und das heißt hier: den Westen sucht, erläutert Westermeier.

Hoffmanns Frage, ob der Film auch eine Möglichkeit bieten solle, die spätestens seit Olympia allzu präsenten medialen Chinabilder in Frage zu stellen, wird verneint. Man liefere ja kein Insiderwissen und lasse durchaus auch Platz für Klischees. Die Sprachraumthematik steht für Boisseau im Vordergrund, es werde sichtbar, wie groß die Distanz zwischen verschiedenen Kulturen tatsächlich ist. Denn trotz des Versuches, eine fremde Sprache zu lernen, bleibe der Kontakt an der Oberfläche.