Film

Sieben Mulden und eine Leiche
von Thomas Haemmerli
CH 2007 | 81 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
09.11.2007

Diskussion
Podium: Thomas Haemmerli
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Nina Selig

Synopse

Während der Vorbereitungen zum eigenen Geburtstag kommt die Nachricht vom Tod der Mutter. Das Eintreffen in ihrer Wohnung. „unfucking- believable“! Unfassbare Massen warten auf Entsorgung. Dabei kommen Zeugnisse der Vergangenheit ans Licht. Trauerarbeit als Suche nach der Person dahinter. Dazwischen kartonweise Glühlampen.

Protokoll

Ein Film über den Umgang mit einer toten Mutter, bei dem viel dem Zufall geschuldet ist. Haemmerli erfährt an seinem Geburtstag vom Bruder Erik, dass die Mutter gestorben ist. Als langjähriger Fernsehjournalist hat der Regisseur die Kamera eh immer dabei und in der Konfrontation mit der Wohnung dient sie als Schutzschild. Der Bruder, Haemmerli selbst und die befreundete Filmemacherin Ariane Kessissoglou filmen die zweiwöchigen Aufräumarbeiten ohne dabei an einen Film zu denken. In erster Linie räumen sie auf, erst in zweiter wird gedreht. Dann wird Haemmerli von einer Produzentin angesprochen, die mit ihm einen Film machen will. Er schickt ihr das ungesehene Material.

Beim Schneiden dann ist er erschrocken über „diesen Jungsgroove“, in dem sich die Brüder auf dem Material wieder finden. Zu Beginn dachte er auch noch, dass dies vielleicht ein 30minütiger Film für Freunde werden würde, mehr nicht.

„Das ist meine Mutter, bzw. das ist, was von ihr übrig blieb.“ Ein Satz, der die „uneindeutige Sachlichkeit“ des Films (Ruzicka) direkt zu Beginn exponiert. Auf die Frage, warum er sich für diese Art der Erzählweise entschieden habe, antwortet Haemmerli, dass es ihm wichtig war, den Tod nicht als „Skandalon“ zu behandeln. Er paraphrasiert den französischen Philosophen Phillip Ariès, der von einer in den 1950ern Jahren stattgefunden Verbannung des Todes in die Hospitäler schrieb. Haemmerli spricht von einem den Tod betreffenden „Bilderverbot“.

Aus der Tatsache, dass alle Personen, die im historischen Film- und Fotomaterial seiner Filme vorkommen, schon tot sind, beschließt der Regisseur, die Art der Erzählung „rücksichtslos“ zu gestalten. Als Sohn hätte er es gerne gehabt, dass seine Mutter normal gewesen wäre und auch ihr Tod anders ausgesehen hätte. Als Journalist aber, so Haemmerli, muss er sich sagen „je abgedrehter, desto besser“. So hat er anfängliche Hemmungen überwunden und „Schritt für Schritt alles gezeigt“. „Jetzt gehen wir auf tutti.“ Auf die Frage aus dem Publikum, warum er und sein Bruder nie in der Wohnung des Mutter gewesen seien, berichtet er von den Lügenstrategien, mit denen viele Messies der Entdeckung ihrer Krankheit durch andere entgehen wollen. Eine Vermutung hätten sie jedoch immer schon gehabt.

Ruzicka beschreibt den Film als „Apple-like“. Es gibt eine Oberfläche und darunter läuft aber ein Betriebssystem. Ruzicka geht auf die Momente des Films ein, in denen Haemmerli beschreibt, dass er nach der Arbeit in der Wohnung auch Ablenkung gesucht hat. Der Film ist doch auch eine Abarbeitung, die als eine Ebene immer mitläuft. Haemmerli geht in seiner Antwort auf die Szene ein, in der er den Dildo der Mutter findet. Für ihn erlischt die Distanz zu den Eltern im Moment des Todes, sie schrumpfen auf „einen Menschen“ zusammen. Er findet die Szene peinlich, aber nur, weil er selber bei der Entdeckung des Dildos rot geworden ist

Ein Film, der auch als Sittenportrait verstanden werden will. Kofi Annan, so gibt der Regisseur zu, spiegelt nicht nur die damalige Zeit und das Umfeld seiner Eltern wieder, sondern ist auch ein „Werbenagel“ für den Film, den er in jedem Pressetext erwähnt.

Ein Diskutant stellt fest, dass er den Film erfrischend fand, aber dennoch die Mutter reduziert sieht zu einer „lächerlichen Figur“. Er fragt, ob für Haemmerli die Mutter nicht mehr war als das. Der Regisseur antwortet, dass er in den meisten Situationen immer erst das Komische sehe. An anderer Stelle beschreibt er, dass er und sein Bruder auf den Anblick von Horror gerne immer mit einem „blöden Spruch“ reagieren. Er hat nie überlegt, die Krankheit der Mutter als Tragödie darzustellen. Die Zumutung der Wohnung ist der Ausgangspunkt für den Film gewesen.

Werner Ruzicka fragt nach dem Musikkonzept des Films. Die Musikvideo-ähnliche Ästhetik erklärt Haemmerli damit, „nichts Langweiliges machen zu wollen“. Außerdem habe der schnelle Rhythmus geholfen, das oft mangelhafte Material („Wir sind keine Kameramänner“) aufzuwerten. Bei der Verlesung der Scheidungsakte, die zu einer Szene erfolgt, in der Erik Haemmerli mit einem Hammer die Möbel zertrümmert, dient der Ton, das harte Klopfgeräusch, zur Verdeutlichung des Textes. Die Scheidungsakte bekommt im Film auch aus politischen Gründen so eine wichtige Rolle, denn in der Schweiz, so erzählt Haemmerli, gibt es momentan aus dem rechten politischen Lager wieder Forderungen, die Abschaffung der Schuldfrage bei Scheidungen (die erneut zu einer Offenlegung intimster Details in vielen Akten führen würde) wieder rückgängig zu machen.

Ein Diskutant fühlt sich in vielen Szenen des Films an Slapstick-Einlagen von Charlie Chaplin oder Dick und Doof erinnert. Haemmerli erklärt dies mit der gewohnten Reaktion seiner Familie auf Horror, die sich eben auch in Einlagen wie dem Kampf mit dem Katzenkörbchen entlädt. Gerade diese Szene ist ihm am Schnittplatz wieder aufgefallen und für ihn hochsymbolisch. Aber er gibt auch zu, dass es Momente gibt, wo er und sein Bruder einfach nur dasitzen und erschöpft sind.

Zum Schluss erzählt Haemmerli noch einen „Joke“, den er gerne auf Festivals erzählt: Immer noch, und vom Vermieter bisher unentdeckt, lagern in der Garage des Hauses unzählige Bretter.