Film

Gibellina – Il terremoto
von Joerg Burger
AT 2007 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 31
07.11.2007

Diskussion
Podium: Joerg Burger
Moderation: Birgit Kohler
Protokoll: Roman Fasching

Synopse

1968 hat ein Erdbeben Gibellina weggerissen. Beim Wiederaufbau wurde der Ort zum Schauplatz einer Kunstutopie von Stadtentwicklern, Künstlern, Architekten und einem engagierten Bürgermeister. Die Bewohner hängen jedoch am alten Gibellina, der Neuentwurf ist fremd geblieben. Es herrscht Bevölkerungsschwund, trotz Kunst im leeren öffentlichen Raum. 

Protokoll

Das im positiven Sinne übersichtliche und dennoch komplexe Gespräch kreist großteils um Burgers frühes Statement, dass das eigentliche Problem der Leute in Gibellina nicht die Kunstwerke dort sind. Der Kunst wurde in dem Fall eine Aufgabe zugeschoben die sie nicht leisten kann. Das Ganze wurde völlig überschätzt.

Die schlecht geplante Stadt selbst ist das Problem – und die damit verbundene Abwanderung. Es fehlt an Arbeit, aber auch an (den nicht geplanten) Plätzen zur Kommunikation. Burger weist darauf hin, dass man die Probleme die aus einer schrumpfenden Bevölkerung in kleinen Dörfern entstehen, auch in anderen Gegenden, zum Beispiel im Bayrischen Wald oder in Österreich kennt.

Burgers Berichte und Anekdoten vom Dreh, sowie seine zusätzlichen Hintergrundinformationen beschreiben im Laufe des Gesprächs noch einmal stückweise die skurrile wie tragische Situation in Gibellina:

Einwohner: freundlich, freuen sich über sein Interesse, reden gerne.

Einwohner vor der Kamera: Erinnerungslücken, reden nicht ganz so gerne. Mafia: schweigen.

Einwohnerzahl: offiziell ca. 4000, Burgers Eindruck: 200.

Abwanderung: alle, die in den Norden gingen, wurden Hausmeister. Atmosphäre in Gibellina: grenzenlose Langeweile, Gedröhne der Motor-Scooter Alte linke und neue rechte Bürgermeister: unfähig, mögen Kunst

Bauruinen mit eingestürztem Dach: heißen offiziell Baustellen, es wird seit Jahren prozessiert.

Umland: sumpfig, verursacht regelmäßig Hochwasserprobleme in der Stadt.

Glockenturm: Wasserschaden in der Steuerungselektronik, Lautstärke übersteuert deswegen.

Der Bau der neuen Stadt: erst nach Demonstrationen in Palermo und Rom.

Der Plan der Stadt: aus den 1940er Jahren, skandinavisch, schnell aus der Schublade geholt.

Die Kunstwerke: fast keines wurde extra für die Stadt gemacht, wurden nur hingeführt.

Der Stern am Ortseingang: Die einzige Skulptur mit der sich die Bewohner identifizieren.

Der Tourismus: katastrophal, unklar für wen genau dort gerade ein Hotel gebaut wird. Visionen: fehlen, niemand kümmert sich wirklich.

„Es gibt irgendwie Hoffnung, aber es glaubt niemand daran.“ So beschreibt Burger die unberechtigte Hoffnung der Leute, die sie in den real nicht funktionierenden Tourismus setzen. Es gibt zum Beispiel Initiativen wie private Bed & Breakfest, aber die sind katastrophal organisiert. Touristen übernachten nicht in Gibellina, sie fahren nur durch.

Das Podium ist im Gespräch mit dem Publikum bald einig. Der Film ist einerseits ein „starkes, tragisches Klagelied über feudale Verhältnisse die einer politischen Utopie [aus den 1970er Jahren] das Wasser abgegraben haben“ (Hilde Hoffmann), der aber mit der Tragik auch die (skurrile) Absurdität dieses Dorfes zeigt. Burger merkt dazu an, dass das Premierenpublikum bei der Viennale während der Projektion 5-mal mehr gelacht hat als das Duisburger Publikum. Wien ist also echt anders.