Film

Hippie Masala – Für immer in Indien
von Ulrich Grossenbacher, Damaris Lüthi
CH 2006 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
07.11.2006

Diskussion
Podium: Ulrich Grossenbacher, Damaris Lüthi
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Aycha Riffi

Synopse

Mitte der 60er Jahre zogen tausende Hippies auf der Suche nach Erleuchtung nach Indien. Für die meisten vergebens, nach Monaten war der Trip vorbei. Doch nicht alle kamen auch zurück. Meera aus Belgien, Hanspeter aus der Schweiz, Robert aus Holland oder Cesare aus Italien sind noch immer auf der Suche. Ein weiter Weg.

Protokoll

Die schöne Nachricht vorweg: Hippie Masala ist für den Schweizer Filmpreis nominiert – natürlich in der Kategorie Dokumentarfilm.

Wie im Katalog nachzulesen ist, gab es für die beiden Autoren verschiedene Wege zum Filmstoff: Ulrich Grossenbacher war selbst Ende der 70er Jahre für ein Jahr in Indien und lernte dort Menschen kennen, die bereits seit mehr als 10 Jahren in Indien unterwegs waren. Auch wurde er durch das Buch „Inseln der Illusion. Briefe aus der Südsee“ von Robert James Fletcher inspiriert.

Damaris Lüthi, promovierte Ethnologin – sie befasst sich u.a. mit tamilischen Flüchtlingen in der Schweiz – interessierte sich vor allem für den Aspekt der „umgekehrten Immigration“: Wie werden Westler in Indien aufgenommen und was passiert mit ihnen?

In den 60er Jahren sind „Millionen“ Menschen nach Indien gefahren – was, wie Werner Ruzicka bemerkte, „allerhand“ ist – und eine Reaktion der Inder auf die vielen ärmlich gekleideten Hippies war, dass es „im Westen wohl eine Hungersnot geben muss“, so auch der Anfangstext im Film.

Werner Ruzicka möchte zu Beginn der Diskussion wissen, wie die beiden Autoren ihre Protagonisten gefunden haben.

Bei einer Ferienreise nach Indien und Goa lernte Grossenbacher ein Paar kennen, das seit 20 Jahren in Indien lebt. Avesh (mit bürgerlichem Namen Serge Valentin) und seine Frau Vasha (Ursula Grace) hatten dieselbe Idee einen Film über noch in Indien lebende Hippies zu machen. Beide arbeiteten dann auch am Filmprojekt mit: Avesh wurde zwischendurch zum Tonmann angeleitet und Vasha übernahm die Aufnahmeleitung. Bei zwei weiteren Recherchereisen fanden sich dann viele für den Film interessante Menschen. Der Film war aber von Beginn an so angelegt, dass nur vier bis sechs Personen porträtiert werden sollten. Wichtig war für Grossenbacher, dass ein Asket darin vorkommt, weil die Asketen für die Hippiebewegung so wichtig waren. Auch der „romantische Aussteiger“ sollte seinen Platz im Film haben – gefunden in Robert aus Holland. Sowie der Schweizer Hans-Peter, der sich in Indien frei von den heimatlichen Zwängen bewegen will und irgendwie nebenbei ein großbürgerliches Haus baut.

Nicht im Film wollten sie – so Lüthi – „den Drogendealer, der sich in Indien ein schönes Leben macht“. Wichtig waren Menschen mit einer „großen Aura und starker Persönlichkeit“. Alle Protagonisten, so erzählen die Autoren, waren ungeheuer offen und erzählfreudig. Abgesehen von ein paar „Touristenmonaten“ leben sie alle relativ einsam. Die lange Recherchezeit in Indien bzw. der insgesamt lange Kontakt zu den Protagonisten wurde als Grund genannt, dass es kein Misstrauen zwischen Filmern und Gefilmten gab. „Es ist nicht nur ein Nehmen, man gibt auch was“, so Grossenbacher. Und letztlich haben sie auch erwartet, dass man sich Zeit nimmt für sie.

Die Protagonisten wurden nach ihren Lebensgeschichten befragt, was aber kein systematisches Abfragen war. Bestimmte wiederkehrende biografische Eckpunkte wie das Verhältnis zu den Eltern waren zum Beispiel Themen, die von Caesare oder Hans-Peter aufgebracht wurden. Interessant war – entgegen einer vielleicht europäischen Annahme – dass auch die indischen Frauen „sehr offen“ gegenüber dem Filmprojekt waren. Die Lebensgefährtin des Schweizers Hans-Peter entschied von sich aus vor der Kamera darüber zu sprechen wie sie ihre Lebenssituation einschätzt und was sie sich für ihr weiteres Leben erträumt.

Im Film gibt es einzelne Szenen, die dem Zuschauer zeigen, dass hier keine Idylle präsentiert wird. Werner Ruzicka nennt als Beispiele die Szene mit dem Fleisch, das aus hygienischen Gründen schnell verarbeitet werden muss oder die Situation der Frau, die sozial ausgegrenzt wird – sei es weil der Ehemann gestorben ist oder sie geschieden ist. Daran schließt sich für ihn die Frage an, ob es Dinge gab, die von den Filmemachern nicht gezeigt werden konnten?

Damaris Lüthi erklärt, dass sie aus organisatorischen Gründen den Blickwinkel der Einheimischen nicht im Film einbauen konnten. Es hätte zuviel Zeit gekostet, aber sie hätten durch die vorhandenen Statements, zum Beispiel von Hans-Peters Lebensgefährtin, indirekt diese Perspektive mit im Film. Für Grossenbacher hätte eine „Tour durchs Dorf“ und die Frage „Was denken Sie über den ansässigen Europäer?“ unpassend gewirkt, denn „es wären dieselben Vorurteile wie überall gegenüber Fremden gewesen“.

Es gibt, so Werner Ruzicka, das Motiv des romantischen Aussteigers. Das aber beinhaltet, dass man zurückkommt, eine Phase abgeschlossen hat und quasi geläutert ist. Die Leute im Film aber sind aus diesem Bild raus gefallen. Wieso sind sie in Indien geblieben? Grossenbacher und Lüthi beschreiben ihre Protagonisten anders: Sie wollen nichts mehr mit der Gesellschaft zu tun haben. Ihr Antrieb ist ja eine Zivilisationsflucht; auch eine Flucht vor der Justiz zu Hause.

Dies ist in der Duisburger Diskussion die einzige Kontroverse, dass bei all den schönen Bildern die „tiefen Fragen“ im Film nicht angesprochen werden: Das Traurige, das „Sitzen- gebliebene“ der Menschen, die ja keine Inder sind. So zeigt der Film – zumindest für einen Diskutanten – nur einen Ist-Zustand und unterlässt ein Nachfragen an die Protagonisten nach dem wirklichen Grund für ihr „in Indien bleiben“. Grossenbacher sagt dazu, dass es ihm gefällt, dass man gewisse Dinge nur erahnen kann und nicht alles ausformulieren muss.

In seinem Schlussstatement führt Werner Ruzicka diese Offenheit so zusammen: Dass der Untertitel des Films „Für immer Indien“ für ihn mit einem Fragezeichen zu lesen ist.