Synopse
Imam Mohammed Fazazi hielt in einer Hamburger Moschee einige seiner ‚Lektionen’: Zugleich theologischer Diskurs, religiöse Unterweisung, praktische Lebenshilfe. Die Rede ist vom Krieg gegen den Islam, von der Berechtigung, Beschmutzer des Islam umzubringen, aber auch von Zahnpasta und Fernsehserien. Lektionen auch für uns, hier, heute. Karmakar: „Dies ist ein deutscher Text.“
Protokoll
Auslöser für Romuald Karmakar sich mit den Predigten des Imam Fazazi zu beschäftigen, war der Artikel eines jungen Journalisten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der unter anderem einige Passagen aus drei von Fazazi im Januar 2000 gehaltenen und auf Video aufgezeichneten Reden zitierte. Karmakar kontaktierte ihn und erhielt auf diesem Wege die Videokopien mit den Vorträgen Fazazis sowie die vorhandenen Übersetzungen.
Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass diese Texte, angefertigt von deutschen Ermittlungsbehörden, gar nicht die gesamten drei Vorträge umfassten. – Er wollte sich einen Überblick verschaffen, und beauftragte denselben Übersetzer, von dem die bereits übersetzten Passagen der Ermittlungsbehörde stammten. Daraufhin zeigte sich, wie schwierig es war, die arabische Sprache mit größtmöglicher Genauigkeit zu übersetzen. Selbst der vereidigte, ägyptische Übersetzer brachte nur einen lückenhaften Text zustande. Da Imam Fazazi zwischenzeitlich auf marokkanisch zu seinen Zuhörern sprach, verstand jener nicht alles Gesprochene, auch nicht die Einwürfe der Zuhörer. Und selbst die zusätzlich hinzugezogene Marokkanerin, die die Sprache des Imam als sehr mannigfaltig bezeichnete, kannte nicht alle von Fazazi verwendeten Wörter. – Schicht um Schicht näherte sich Karmakar dem Text an, dem Ruzicka einen sehr philologischen Umgang bescheinigt. Natürlich war die Wortwahl in der Übersetzung von entscheidender Bedeutung: Wird einem eine Offenbarung zuteil oder empfängt man sie? Heißt Dschihad „für die Sache Gottes“ oder „heiliger Krieg“? – gibt Karmakar einige Beispiele.
Entgegen einer „Dramaturgie der Geschmeidigkeit“ werden die arabischen Begriffe oftmals in den übersetzten Text miteinbezogen. – Ein Verfahren, das sowohl in der Ermittlungsarbeit deutscher Behörden, als auch in wissenschaftlichen Übersetzungen angewandt wird, um den Bezug zwischen Übersetzung und Wort zu bewahren – und in diesem Falle auch um die Übersetzungsarbeit zu thematisieren. – Aus diesen Schwierigkeiten in der Textarbeit ergab sich die lektorierende Mitarbeit seines langjährigen Freundes Sten Nadolny, nach der Ruzicka fragt.
Die Dringlichkeit und die Faszination, sich mit den Texten eingehender zu beschäftigen und nach einer dokumentarfilmischen Umsetzung zu suchen, entstand für Karmakar u.a. aufgrund der Nicht-existenz deutscher filmästhetischer Annäherungen zu diesem Teil der Geschichte. – Zum Hintergrund: Der Zeitungsartikel war nach den Anschlägen in London am 7. Juli 2005 erschienen.
Neben der Textarbeit steht die Inszenierung des Textes im Zentrum und Barbara Pichler fragt nach der Konstruiertheit der Atmosphäre sowie nach der besonderen Form der Rekonstruktion des Ereignisses.
– Diese sehr besondere Weise, mit dem Text umzugehen, galt es für Karmakar auszuhalten. Das Originalvideomaterial blieb ganz außen vor. Niemand aus dem Team, auch keiner der Übersetzenden, hatte es zu sehen bekommen. Erst ganz zu Ende der Übersetzungsarbeiten wurden einzelne Sequenzen zum Abgleichen von Gesten herangezogen.
Während der Proben hatte Karmakar auch Aufnahmen mit einem jüngeren Schauspieler gemacht, wie er dies bereits bei Das Himmler-Projekt (df ́00) getestet hatte, kam jedoch zum selben Resultat: So ließe es sich nicht durchführen. – Erst Manfred Zapatka ermöglichte die angestrebte Autoritäts-struktur: ihm zuschauen zu können, die Rede zu verstehen und zugleich „eingesaugt“ zu werden während der Vortragende in „quasi neutraler Anmut“ den Text vortrage. Dabei musste natürlich auch das Setting ganz genau überlegt sein. Welche Art von Studio, Licht, Hintergrund? Zapatka sitzend oder stehend? Wo liegen die Papiere des Imam, die jener während seines Vortrages auf dem gespannten Tuch seines Gewandes auf den Knien liegen hat? Zapatka zu vermitteln, dass er am Eindrucksvollsten im Sitzen wirkt, war nicht so schwierig, da sich für dessen Verständnis große Schauspielkunst auch nicht unbedingt in den großen und lauten Gesten manifestiert. Überzeugungsarbeit brauchte es eher, dass Zapatka sich überhaupt an dem Projekt beteiligte – dem Filmen gingen eine Reihe von Gesprächen mit dessen Familie voraus, denn es war keinesfalls selbstverständlich, für ein solches Projekt seinen Namen, Stimme, Gesicht und Schauspielkunst zur Verfügung zu stellen.
Die Form der Darstellung wirkt auf die Zuschauer. Der Text als das Dokumentarische sowie die Immanenz der Textarbeit im Dokumentarischen (bspw. über den Variantenreichtum der Stimme) werden bewundert, und der Gedanke Bressons erwähnt, den Schauspielern das Schauspielen auszutreiben. Die Rationalität der Rhetorik wird deutlich, eine innere Logik des Texts als roter Faden erkennbar – in der Rede kristallisiert sich die Definition des Feindes.
Über eine Bemerkung aus dem Publikum, der Imam wirke besser und seriöser als er vielleicht in Wirklichkeit sei – im Film als so toller Rhetoriker hingestellt – will Karmakar nicht spekulieren. Hingegen interessiert den Filmemacher die Frage eines Zuhörers nach Bezügen zu Reden der Stalinzeit, die Karmakar darüber hinaus natürlich auch in rhetorischen Formen und Reden der Nazizeit und in Sprechweisen im linksradikalen Kontext erkennt. Interessant ist für ihn dabei vor allem auch der halböffentliche Rahmen in dem die Reden stattfinden und aufgezeichnet werden – mit der Ambition sie der Nachwelt zu überliefern. Ein bedrohliches Moment. – Und er geht noch einen Schritt weiter: wie sieht denn ein Gespräch „unter vier Augen“ aus, von dem der Imam redet, wenn er schon in der „Halböffentlichkeit“ so deutliche Worte findet – Worte, die in einem rechtsradikalen Kontext den Verfassungsschutz alarmieren würden.
Sein Film ermöglicht den Einblick in die Binnenlogik des radikalen Denkens. Der Text operiert mit realen und irrealen Argumenten, zieht Schlussfolgerungen, spielt mit Auslassungen. Ein Abgrenzungsdiskurs – einerseits als innermuslimischer Diskurs durch Verweise auf andere Imame und Gelehrte, und in Abgrenzung zu weniger konservativen Rechtsschulen, andererseits ganz stark als Predigen des „Wir-Gefühls“ in Abgrenzung zum „Sie-Gefühl“. Dabei sollen Denkweisen zu praktischem Handeln anregen.
Videoaufzeichnungen von Reden sind in jenen muslimischen Kreisen wesentlicher Bestandteil zur Verbreitung von Inhalten. Karmakar weiß über die Rede des Imam Fazazi, dass Videokopien ein Jahr später während einer Razzia des Landeskriminalamtes noch in einer Buchhandlung in der Nähe der Moschee gefunden wurden. Weitere Fragen zu den Hintergründen, auch zu den Einflüssen der Rede auf die Gemeinde, wofür es empirischer Forschungen bedürfte, kann Karmakar nicht beantworten. Es wäre reine Spekulation.
Barbara Pichler fragt nach dem Vorgehen des Filmemachers, sich dem Text mit all seinen Ambiva-lenzen, den manchmal zumindest beim ersten Sehen Heiterkeit hervorrufenden Floskeln, den Ermahnungen usw. in dieser reduzierten Rekonstruktion zu nähern. Auch interessiert sich Pichler für die Zusammenarbeit Karmakars mit Manfred Zapatka, der trotz der Reduktion des Settings und der Beschränkung seiner performativen Ausdruckskraft eine starke Wirkung erzielen musste und dies auch meisterte. Karmakar spricht von seinem persönlichen Erfahrungsschatz mit dieser Art der Rekonstruktion oder Rekreation, die auch die Reaktionen der Zuhörer samt der rhetorischen Gesten des Imam mit einbezieht; er arbeitet mit dem Moment, dass Öffentlichkeit immer inszenatorisch ist.
Eine Diskutantin tut kund, dass Karmakars Film mit den Mitteln des abendländischen Kinos spiele, eine Hermetik aufbaue, die sie gerne – ähnlich wie noch in Das Himmler-Projekt angewendet – durch wohltuende Versprecher oder Geräusche aufgebrochen gehabt hätte, um einen Freiraum für das eigene Lesen/Zuhören zu erhalten. Karmakar fragt zurück, ob das Gefühl einer einengenden Hermetik nicht eher durch das Bedrohungspotential der Inhalte zustande käme.
Eine Frage aus dem Publikum bezieht sich auf die Auslassung dokumentarischer Bilder vom Innern der Moschee und der stattdessen vorgenommenen Beschreibung des sozialen Raums mittels Inserts, die in ihrer Art als „Verbesserung des Ermittlungsprotokolls“ gelesen werden könnte – vom Regisseur fast schon als Beleidigung verstanden. Natürlich geht es um mehr, als nur zu zeigen, „der Raum ist wirklich da.“ Karmakar vermeidet doch bewusst die Standardisierung des Fernsehformats, will die Choreografie des Bösen nicht weiterspielen, sondern durch den Text den Inhalt vermitteln. Und durch die Inserts schafft er die Möglichkeit das Dialogische der Rede zu erfassen – die Auslassungen werden von der Gemeinde verstanden und kommentiert. Werner Ruzicka verweist auf das Weitreichende der Definition des sozialen Raums – immerhin ist die Moschee, in der das Ursprungsvideo gedreht wurde, eine von sechzehn, allein in St. Georg. Von außen ist die Moschee eingebettet in ein normales Bürogebäude. Durch die Stimmen der Frauen und Kinder wird der Bezug eines familiären Rahmens hergestellt, in dem sich die Predigt abspielt.
Beim Sehen bzw. Hören der Hamburger Lektionen passiert ungeheuer viel, findet ein Diskutant – „wir als Westler“ kriegen ein Bild geliefert mit dem wir uns während des Zuhörens auseinandersetzen müssen, und eigentlich parallel eine Distanzierungsleistung vollführen müssen. Der Film leistet Großartiges, da er dabei alle dämonisierenden Mittel vermeidet.
Die Bereitschaft, sich mit Dingen, die uns bedrohen, auseinanderzusetzen, sei heutzutage generell sehr niedrig, bedauert Karmakar. Es ist für ihn keinesfalls selbstverständlich, dass das Interesse an Hamburger Lektionen und einer Diskussion darüber so groß ist wie hier an der Duisburger Filmwoche. An der Berlinale hatte er noch „das Glück“, dass der Karikaturenstreit das Interesse am Film erhöhte. Am Münchner Dokumentarfilmfestival war es bereits abgeflaut.
Ruzicka betont den Verdienst des Films, die Macht der Rede, ihre Auratisierung, zu reflektieren. Nur noch selten erlebt man öffentliche, oratorische Momente mit solcher Wirkung. Der Film vermittelt eine Faszination des Sprechens – eine Bezauberung, von der Heise (siehe Diskussionsprotokoll Nr. 11) ahnte, dass er sie in den Erzählungen seiner Protagonisten – aufgrund ihres medienkompatiblen, selbstinszenatorischen Gebarens – nicht erreichen würde, und deshalb bewusst andere Wege inhaltlichen Vermittelns gewählt hatte. Gerade darum hat Karmakar die Hamburger Lektionen genau so konzipiert. Im Erleben des Textes durch die Inszenierung im Kino – durch das Ausgeliefertsein – kann etwas Außergewöhnliches entstehen.