Film

Black Sea Files
von Ursula Biemann
DE 2005 | 43 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 30
07.11.2006

Diskussion
Podium: Ursula Biemann
Moderation: Barbara Pichler
Protokoll: Roman Fasching

Synopse

Der asiatische Raum wird in Angriff genommen: Protagonistin ist die Ölpipeline, die das Kaspische mit dem Mittelmeer verbindet – ihre Entstehung und ihre Strömungsgrade. Mit dem Erdöl fließen Kapital und Macht. Geschäftliche Transaktionen bleiben unsichtbar. Wer hat hier eigentlich die Fäden in der Hand?

Protokoll

Ursula Biemann erklärt anfangs organisatorische Details und arbeitstechnische Hintergründe des Projektes. Bei ihrer Recherche zeigte sich, dass (und wie) Europa Expansionspläne über transnationale Infrastrukturen anstrebt. Ein weiterer Ansatzpunkt stellte die Thematik der Migration im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Expansion dar. Anders gesagt: Transitive Geographie in der post-sozialistischen Ära.

Anfangs plante die Künstlerin das Projekt als Doppelprojektion. Es wurde dann allerdings größer, als Installation mit 10 Monitoren konzipiert und erstmal auch so umgesetzt. Mit Erfolg. Nach dem Start in Berlin zeigen nun Museen weltweit die Installation. Bescheidenheit, freut sich Biemann, hätte sich da nicht ausgezahlt, und das Duisburger Publikum freut sich hörbar mit.

Wenn Feldforschungsarbeit in der Kunstproduktion im Moment immer gängiger wird, so Biemann, muss man sich fragen, wie man damit außerhalb eines journalistischen oder lokal geographischen Rahmens umgeht. So ergab sich bei Black Sea Files die Idee der Geheimagentin und die Idee der Files (deutsch: Akten), denn aus einer Sammlung von Notizen entsteht darin ein Netz aus Information. Dadurch zeigen sich langsam Zusammenhänge zwischen Orten und Zeiten, was wiederum in eine Forschung über Globalisierungsarbeit passt. Dabei enthüllt sich offen ersichtlich nur eine Perspektive von vielen, entsprechend für diese Art des Filmessays. Sie betont, dass ihr in der Wahl des Kommunikationsmittels (Bild, Erzählstimme, Texteinblendungen) im Film immer dessen Effizienz wichtig war.

Ein Diskutant stellt die Frage nach der „Evidenz, die anders ist.“ Obwohl diese Figur der Geheimagentin viel eröffnet, verschließt sie doch auch gewisse Möglichkeiten. Klammert man so nicht die elementaren Machtverhältnisse auch wieder aus? Wie kann der Film Evidenz schaffen, die man sonst nicht sieht? Biemann antwortet, sie wollte den US- zentristischen Öl-Diskurs aufbrechen, eben nicht die Pipeline zum Fokus des Films machen, keine Dekonstruktion von Öl und Machtverhältnissen, auch nicht den beteiligten Konzernen in irgendeiner Weise das Wort geben. In ihrer inoffiziellen Funktion war es schwierig, eine der Baustellen überhaupt zu finden. Wäre sie offiziell angemeldet erschienen, hätte sie auch nur offizielle Bilder bekommen. Das wollte sie natürlich nicht. Produktion von Evidenz die man sonst nicht sieht. In dem Zusammenhang steht auch das Kapitel mit dem Bombenattentat in Istanbul: Der Bosporus spielt eine wichtige Rolle in der Entscheidung, dass diese Pipeline gebaut wird. Die Sättigung von Engpässen wird aus europäischer Sicht wichtiger werden als die direkte Produktion am Ölfeld. Dies zeigt die Fragilität von Orten, die für Europas Ölversorgung vital sind.

Im Kontext (nicht) sichtbarer Evidenz bezeichnet Biemann die Dreharbeiten mit den Prostituierten als von vornherein absurd. Die Zuhälter konnte sie sowieso nicht filmen, die Frauen waren nicht vorinformiert, worum es bei dem Treffen gehen wird, und im Raum waren insgesamt vier Männer anwesend. Sie wusste also, dass inhaltlich dabei nichts herauskommen wird. Ihre (Forschungs-)Arbeit wurde in der Situation eigentlich untergraben, dennoch zeigt dieses Kapitel eindeutig wie die Machtverhältnisse aussehen.

Es war eigenartig, erzählt Biemann, einfach in eine trotz Vorrecherche eher unbekannte Region zu gehen. Eigentlich musste sie immer alles vor Ort in Erfahrung bringen, oft von Menschen, die nicht gewohnt sind offen mit Fremden zu sprechen. Dazu kamen natürlich die Sprachbarriere und die manchmal unverlässliche Übersetzung. Aber: „Man muss ja nicht immer hinhören.“ Teilweise wusste sie gar nicht was ihr die Menschen vor der Kamera sagten. Die Essenz der Kommunikation ist wichtig, und sie selbst ist erstaunt, wie kommunikativ der Film im Endeffekt wirkt.

So ergab sich, auch mangels Skript, eine Masse aus der man dann kleine Kapitel herausbekommt. Die Frage, was genau es heißt Geschichte zu schreiben, hat sie vor allem im Schnitt beschäftigt. Was von der Materie wird zurückgehalten, so dass wir dann unser Bild von einer bestimmten Region bekommen? Normalerweise sehen wir ja nur gelenkte Bilder, nämlich dann, wenn in so einer Region etwas Außergewöhnliches passiert.

In den letzten 3-5 Jahren verortet Biemann einen Ansturm von dokumentarischen Praktiken in der Kunst. Wieso weiß sie selber nicht genau, aber vielleicht versuchen Künstler gewisse Leerstellen in den Medien (durch verschärfte Wettbewerbsbedingungen, erhöhten Zeitdruck, dadurch kürzere Recherchen, usw.) ein wenig aufzufüllen. Wir müssen uns fragen, wie man Kunst und Zusammenhänge in der Kunst recherchieren kann.

An dem Punkt nimmt Eva Hohenberger Biemanns Einladung an, vielleicht etwas zum Thema möglicher Formen von visueller Theoriebildung zu sagen – allerdings für eine Kritik am Film. Biemanns Aufnahme von sich selber im Film fand Hohenberger nicht so gut, weil diese Art von Selbstreflexion ein Gestus ist, der inzwischen anscheinend ein Muss in der Kunst geworden ist. Aber „Jetzt ist mal genug mit Selbstreflexion.“ Es gab genug indirekte, konstruktive Selbstreflexion im Film. Dem fügt Biemann nur hinzu, dass sie sich sonst in ihren Werken nicht selbst zeigt.

Warum importiert die Kunst, besonders im Kontext der Globalisierung, zurzeit so viel Dokumentarisches? Biemann meint dazu, dass auch Kunst der Globalisierung unterliegt, aber ebenso der Kritik an den westlichen Hochkulturdiskursen. So wird in der Kunst das Dokumentarische oft (noch?) als unbelastete Lingua Franca gesehen. Eine Diskutantin verlangt im Gegenzug dokumentarische Filme ohne Museums-Käfig rundherum. Denn der Punkt ist vielmehr: Was hat der Dokumentarfilm davon, wenn im Kunstkontext dokumentarisches Material unreflektiert verwendet wird?

Barbara Pichler summiert, dass es hier doch nun um eine Frage des Repräsentationsgestus gehe, da die Bilder im Film und in der Installation ja eigentlich die selben seien. Diese Etikettierung wird hier zur Frage: Was für wen? Die Antwort gab Biemann schon am Anfang der Diskussion: Sie hatte bei der Produktion kein spezielles Publikum im Auge, aber „eher ein Kunstpublikum.“

Biemann verweist auch auf die verschiedenen Formate in dem Projekt (Installation, Film, Buch). Inhaltlich konnte sie in einem veröffentlichten 70-Seiten Bericht weiter ausholen, im Film wollte sie ihre Position eher in Bildern und Interviews zeigen. Sie räumt allerdings ein, dass es bei der Installation bis jetzt noch keine Diskussion mit Publikum gab, sie somit noch kein Feedback bekam wie hier in Duisburg.

Am Ende der ausgiebigen Diskussion vergleicht eine Teilnehmerin im Saal noch kurz die Installation (Berlin) mit dem Film (Duisburg). Wichtigstes Merkmal: Beim Film sieht sie die Autorin präsenter.