Film

Jona (Hamburg) 
von Peter Ott
DE 2004 | 84 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 28
09.11.2004

Diskussion
Podium: Peter Ott
Moderation: Gudrun Sommer, Mark Stöhr
Protokoll: Torsten Alisch

Synopse

Hamburg, Klassengeografie einer Stadt. Es gibt Zonen der Fitness und Zonen der Gewalt. Altjunkie Werner führt durch das Drogenmilieu hinterm Hauptbahnhof, wo Elend und Repression herrschen. Ist eine Position des Filmemachens möglich, die über Analyse und Empörung hinaus geht? Der Prozess eines Kurswechsels: Vom sozialen Dokument zum Alten Testament – Bürger Hamburgs, kehrt um!  

Protokoll

Der drogenabhängige Protagonist Werner als Jesus-Junkie: Er nimmt die Leiden der Welt auf sich und kann noch wirklich mit den Menschen ins Gespräch kommen. Das „nackte Leben“, ausgestellt im Ausnahmezustand einer „verkommenen Unterklasse“. Die Junkies saugen den Dreck unserer Gesellschaft auf, wie Kleenex-Taschentücher. Und junge Mädchen werden unter Drogen gesetzt, um die angestauten sexuellen Energien dieser Welt zu absorbieren, während die Hamburger Praxis der „Platzverweise“ die Aufweichung von Bürgerrechten markiert. Filme sollten radikal an den Grundfesten unserer Gesellschaft/-sordnung rühren und ihre „menschengemachten“ Zustände bloßlegen. Filmemacher sollten nicht nur reflektieren, sondern sich angreifbar machen: sich in die Wirklichkeit hineinwerfen.

Fromme Wünsche von Pastor Ott.

Ein Dokumentarist als Prophet, ein Weltverbesserer des Kinos: Darf das sein? Auf der Duisburger Filmwoche?

Filmemacher Ott ist da selbstkritischer: Die Person des „scheiternden Filmemachers“ war schon im ersten Konzept festgelegt, aber es sollte kein Diskurs des Jammerns & Beklagens werden. Wie der Welt-Hunger auch Jobs produziert, so gibt es auch zwischen den Hilfsorganisationen der Drogentherapie wirtschaftliche Konkurrenz. Und die Hamburger Junkies sind „medienerfahren“: als bezahlte Protagonisten unzähliger (Spiegel-)TV-Dokus sind sie Objekte medialer Repräsentation dieser „Outcasts“; und Objekte medialer Projektion (der Macher und Zuschauer dieser Dokus).

Das Verstörende am Film ist die Vermischung der theologischen mit der weltverbesserlichen Ebene, quasi eine Befreiungstheologie der deutschen Mittelschicht für Hamburger Junkies, die den Filmemacher in ein „Dilemma“ stürzt, während manche Zuschauer sich „erschlagen“ fühlen und nun beim Zuhören/Diskutieren mehr verstehen als beim Film. Oder war dies gar ein Film über den Begriff des „Genies“, den genialen filmischen Welterfinder im Erlöser-Rausch, der sich am Ende Jim Morrison-like den letzten Schuss setzt.

Immer wieder erwähnt Peter Ott „persönliche Gründe“ für diesen Film (den er ohne Finanzierung und über viele Jahre „nebenher“ gemacht hat) und dessen theologische Vater-Sohn-Ebene, ohne diese „Gründe“ zu konkretisieren oder vom Publikum darum gebeten zu werden. Ein „Feierabendfilm“ (Ott), entstanden zwischen Lohnarbeiten für den NDR, wo er in Berichten über Filmfestivals die Kameramänner & Gesprächspartner bei Laune halten und auf ein oder zwei zitatfähige Sätze hoffen musste.

Kritische Anmerkungen gibt es zur Bildersprache, die im Text behauptete Sozial- Geographie lässt sich nicht abbilden:

– das Abfilmen von Polizei-Containern muss auf der Tonebene durch das Erzählen von Geschichten (damals & heute) Sinn erfahren.

– das Abfilmen der heutigen Hamburger Baubehörde im Gebäude der ehemaligen Gestapo-Zentrale behauptet eine Kontinuität von Geschichte, für die Peter Ott keine weiteren Belege findet.

Die Emotionalität und Offenheit des Junkie-Protagonisten Werner sowie die längere Tanzszene wurden von allen gelobt: Eine fast klassenlose Figur, der man nicht entnehmen kann, welchem Milieu sie entstammt und in welchem Milieu sie jetzt lebt – fast schon wie ein Angestellter mit festen (Arzt-)Terminen, fester Freundin & festem Wohnsitz.

Eine Vielschichtigkeit im Film reflektiert die Wirklichkeit, der Parallelkommentar des selbstreflektierenden Filmemachers schreibt den Bildern die Zweifel am einfachen dokumentarischen Abbilden ein. Fast schon ein Spielfilm, aber inszeniert in realen Settings mit realen Personen. Ein Film wie ein Labyrinth. Es gibt keine Karten. Alles ist vernetzt. Gebiete lassen sich nicht mehr trennen.